Vom Käte Hamburger Kolleg zum internationalen Hub für Umweltforschung: Das Rachel Carson Center Umwelt und Gesellschaft

Das Rachel Carson Center Umwelt und Gesellschaft, das von 2009 bis 2023 vom BMBF als Käte Hamburger Kolleg gefördert wurde, erforscht das Verhältnis von Natur und Kultur interdisziplinär in unterschiedlichen Kontexten.

Christof Mauch

Prof. Dr. Christof Mauch

Christof Mauch

Wie geht es nach der BMBF-Förderung weiter?  Das Rachel Carson Center hat ein in Deutschland einzigartiges Promotionsprogramm „Environment and Society“ entwickelt, das den Forschungsschwerpunk zu Umwelt und Gesellschaft an der LMU München weiter stärken wird. Mit welchen globalen Herausforderungen der Gegenwart sich die Forschenden beschäftigen, erfahren Sie hier.

Im Interview: Prof. Dr. Christof Mauch, Direktor des Rachel Carson Centers.

Herr Prof. Mauch, im Special „Stimmen aus den Kollegs“ haben Sie schon die Erfolge und Meilensteine des Rachel Carson Center für Umwelt und Gesellschaft Revue passieren lassen. Wenn Sie auf unsere aktuellen globalen Heraufforderungen blicken, wie reagiert das RCC darauf?

Die Forscherinnen und Forscher des Carson Centers beschäftigen sich mit vielen zentralen Herausforderungen der Gegenwart – von Pandemien über Umweltverschmutzung bis zu globaler Ungerechtigkeit, Klimawandel und Ressourcenverschwendung. Anders als in den Ingenieur- und Naturwissenschaften stehen Mensch und Gesellschaft und damit die großen geschichtlichen, ethischen und politischen Zusammenhänge im Vordergrund. Forscherinnen und Forscher stellen zum Beispiel Fragen nach den Umweltbelastungen von Fast Fashion; nach prekären Beschäftigungen im globalen Vergleich; nach den Auswirkungen unterschiedlicher Naturwahrnehmung von Kindern im Dschungel von Ecuador versus Deutschland oder nach den ökologischen und sozialen Auswirkungen von Chinas „Neuer Seidenstraße“. Insgesamt geht es darum, die oft unbeabsichtigten Konsequenzen ökonomischer und politischer Weichenstellungen kritisch in den Blick zu nehmen und in historischer Perspektive und mit Blick auf die Zukunft zu verstehen.


Mit dem RCC haben Sie ein in Deutschland einzigartiges Promotionsprogramm “Environment and Society” entwickelt. Wie würden Sie die Besonderheiten des Programms beschreiben?

Das Promotionsprogramm Proenviron ist in hohem Maße international und interdisziplinär. Es bringt etwa 40 Doktorierende aus derzeit 20 Ländern, fünf Kontinenten und zahlreichen Disziplinen – von Ethnologie über Geographie bis Ethik und Medizin, von Geschichte bis Jura – zusammen. Unser Programm ist keine „Schule“, die sich bestimmten Methoden oder Theorien verpflichtet hat. Es lebt von der Diversität der Ansätze und vom Austausch unter dem großen Themenschirm ‚Umwelt und Gesellschaft‘. Teile des Programms – Workshops, Lesegruppen, Exkursionen, skills sessions – werden von den Doktorierenden selbst organisiert. Zum mehrtägigen Oberseminar ‚Environment and Society‘ gehören neben Diskussionen der laufenden Arbeiten auch Miniexkursionen ins ‚Feld‘ mit Expertinnen und Experten, etwa aus Imkerei, Forstwirtschaft oder Geologie etc. Eine Besonderheit des Programms besteht auch darin, dass es am Carson Center neben den Doktorierenden Masterstudierende, Visiting Scholars, Postdocs und etablierte Professorinnen und Professoren aus aller Welt gibt. Dies ermöglicht zum einen die Einbindung der Doktorierenden in die Lehre (co-teaching), zum anderen den Austausch über Generationsgrenzen hinweg.

Die Doktoranden beleuchten natürliche und gesellschaftliche Prozesse auch aus internationaler und interdisziplinärer Perspektive. Gibt es Beispiele, die diesen Mehrwert deutlich machen?

Die Mehrzahl der Arbeiten ist entweder komparativ oder interdisziplinär angelegt. Eine aus der brasilianischen „Ökostadt“ Curitiba stammende Doktorandin stellt zum Beispiel die Frage nach der historischen und aktuellen Entwicklung von Mobilität in den „Fahrradstädten“ Portland, Oregon und München. Sie fragt, was man in der einen Stadt von der anderen lernen kann. Eine türkische Doktorandin arbeitet auf der Grenze zwischen Biologie und Ethnologie und fragt nach historischen Rezepten und der kulturellen Rolle von fermentierten Gerichten in der Türkei und Bulgarien. Eine niederländische Künstlerin arbeitet über Visualisierungen gegenwärtiger Krisen und integriert ihre eigene computergenerierte Kunst in die „Mediendissertation“. Und eine chinesische Doktorandin arbeitet über die unterschiedliche Perzeption von Wildschweinen in Deutschland und China. Sie befasst sich mit den Problemen, die Wildschweine, jenseits der Grenzen von Nationalparks, verursachen. Als externer Betreuer fungiert hier ein Chinaexperte und Forstökologe. Die Ergebnisse der Arbeit sollen am Ende in policy papers oder politische Richtlinien münden.


Herzlichen Dank für Ihre interessanten Einblicke, Herr Professor Mauch!

(Das Interview erfolgte schriftlich am 5. Juni 2023, Fragen: Katrin Schlotter)

Regina Bichler

Regina Bichler

Die Umweltschäden, die durch unseren Müll entstehen oder verschärft werden, sind mittlerweile allgemein bekannt. Aber wir lösen das globale Müllproblem nicht allein, indem wir im Haushalt Abfall trennen und mit unserem Jutebeutel einkaufen gehen. Ich will mit meiner Forschung zu Zero-Waste-Initiativen in Japan und Deutschland dazu beitragen realistische Wege zu finden, vor Ort die Menge der anfallenden Abfälle deutlich zu verringern und mit dem Müll, den wir nicht vermeiden können, verantwortungsvoll umzugehen.

Moussa Douna

Moussa Douno

Die Bedrohung durch neue und wiederauftretende Krankheiten nimmt ständig zu. Meine Forschung zum verheerenden viralen Lassa-Fieber zielt darauf ab, zu verstehen, wie frühere und aktuelle Herangehensweisen an die Krankheit das biomedizinische Verständnis auf gemeinschaftlicher und institutioneller Ebene geprägt haben. Mein Ziel ist es, durch einen One-Health-Ansatz, der die Tier-, Menschen- und Umweltgesundheit integriert, ein neues Lassa-Fieber-Narrativ zu entwickeln, um zur Epidemie- und Pandemievorsorge in sogenannten Krankheits-„Hotspots“ beizutragen, wo die Armut überwältigend ist und grundlegende Gesundheitsdienste fehlen.

Moussa Douno / Rachel Carson Center (LMU)

John Fayiah

John Fayiah

Meine Forschung untersucht, wie Plantagen- und Bergbaukonzessionen in Liberia die Waldregion Oberguineas veränderten, neue Krankheitsmuster und Belastungen schufen und Interventionen im Bereich der öffentlichen Gesundheit prägten. Arbeitsmigration und Umweltzerstörung veränderten die Interaktionen zwischen Menschen und Tieren und trugen dazu bei, dass sich Krankheiten wie Malaria, Schlafkrankheit oder Onchozerkose (Flussblindheit) ausgebreiten konnten. Durch die Erforschung der historischen Zusammenhänge zwischen Umweltveränderungen und neu auftretenden Infektionskrankheiten werde ich zur Bewältigung globaler Gesundheitsherausforderungen beitragen.

John Fayiah / Rachel Carson Center (LMU)

Andreas Jünger

Andreas Jünger

Wie können wir Lebensmittel sozial gerecht und umweltfreundlich herstellen? Als Umwelthistoriker sehe ich es als entscheidend an, dass wir uns mit den positiven und negativen Erfahrungen vergangener Jahrzehnte auseinandersetzen. Am Beispiel Südspaniens untersuche ich daher, wie Menschen ökologische Produktionsweisen entwickelt haben und welche Lehren daraus zu ziehen sind. Wie unter einem Brennglas werden in dieser Region soziale und ökologische Fragen bei der Lebensmittelproduktion sichtbar, die aufschlussreich sind, um nachhaltige Ernährungssysteme zu entwickeln.

Andreas Jünger

Shadrach Kerwillain

Shadrach Kerwillain

Meine Forschung über die sich verändernden Wahrnehmungen und Beurteilungen der Wälder in Liberia zielt darauf ab, Erkenntnisse zu liefern, die zur Bewältigung von Armut und Verlust der biologischen Vielfalt beitragen, denn diese gehören zu den größten Herausforderungen dieses Jahrhunderts. Die Umsetzung nachhaltiger Waldbewirtschaftungspraktiken, die ökologische, wirtschaftliche und soziokulturelle Aspekte miteinander in Einklang bringen, kann zur Bewältigung dieser Herausforderungen beitragen. Darüber hinaus kann eine ordnungsgemäße Bewirtschaftung der Wälder Liberias, der Kohlenstoffsenken und der größten Wälder Westafrikas, dazu beitragen, den Klimawandel abzumildern, der seinerseits die Wohlstandsungleichheit und das Artensterben verschärft.

Shadrach Kerwillain/ Rachel Carson Center (LMU)

Lu Klassen

Lu Klassen

Das Konzept der planetaren Gesundheit betrifft die komplexen Wechselbeziehungen zwischen der Gesundheit von Menschen, Tieren und Ökosystemen und dem Wohlergehen des Planeten als Ganzes. Diese Zusammenhänge zu verstehen und anzuerkennen ist notwendig, um die Ursachen der Umweltzerstörung zu adressieren, anstatt nur die Symptome zu behandeln. In meiner Dissertation untersuche ich verschiedene Darstellungen der planetarischen Gesundheit in Wissenschaft, Kunst und Aktivismus. Damit hoffe ich zu einem Bewusstseinswandel beizutragen für ein ganzheitliches Verständnis von Wohlbefinden auf planetarer Ebene.

Lu Klassen/ Rachel Carson Center (LMU)

Katie Kung

Katie Kung

Meine Forschung hinterfragt negative Wahrnehmungen von invasiven Arten – Tieren wie Pflanzen. Inwieweit verbergen sich hinter solchen Wahrnehmungen Fremdenfeindlichkeit und kulturelle Vorurteile? Durch eine kritische Erweiterung unseres Verständnisses und die Konzentration auf effektive Lösungen möchte ich dazu beitragen, dass sich unsere Wahrnehmung von der „Invasion“ von Arten ändert und an die sich schnell verändernde Welt anpasst.

Meine Forschung hinterfragt negative Wahrnehmungen invasiver gebietsfremder Arten (IAS) und thematisiert Fremdenfeindlichkeit und kulturelle Vorurteile. Ich konzentriere mich auf Tier- und Pflanzenarten und ihre mikrobiellen Pendants wie Viren und Pilze, auf Hauskatzen und auf Lyme-Borreliose. Mein Ziel ist es, unsere wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Perzeptionen und Herangehensweisen an die schnell sich ändernde Welt anzupassen. Angesichts der globalen Herausforderungen wie dem Klimawandel und dem Verlust der biologischen Vielfalt ist es wichtig, dass wir auch unsere Einstellungen zum Naturschutz überdenken und  damit den irreversiblen ökologischen Veränderungen Rechnung zu tragen.

Wing Tung, KUNG/Rachel Carson Center (LMU)

Huiying Ng

Huying Ng

Braucht die Welt mehr Nahrung oder eine veränderte Agrarökologie? Kann sich die Lebensmittelproduktion von chemieintensiven Monokulturen loslösen, indem sie ihr Augenmerk auf die ökologischen Beziehungen zwischen Boden, Mensch und Erde bezieht? Meine Doktorarbeit folgt der Arbeit von Landwirten und staatlichen Wissenschaftlern in Thailand. Dort gibt es, wo der Übergang zu agroökologischen Formen der Bewirtschaftung Unterstützung erfährt, Anzeichen für Hoffnung. Wichtig ist es, materielle Dinge und Lebewesen zusammenzudenken und neue Narrative zu entwickeln.  

Huiying Ng/Rachel Carson Center (LMU)

Maria del Pilar

Maria del Pilar

Ich möchte mit meiner Arbeit zur Anerkennung und Würdigung der Umweltaktivistinnen beitragen, die in Kolumbien zunehmend bedroht, zum Schweigen gebracht und ermordet werden. Ich hoffe, dass dies Aufmerksamkeit auf das Leben derjenigen Frauen lenken kann, die vergessen wurden; auf die Morde, die gerechtfertigt oder bagatellisiert wurden und auf die Stimmen von denen, die die Umwelt und das Land auf dem sie leben schützen. Die Lebensgeschichten der kolumbianischen Frauen sollen dazu beitragen, dass sich ähnliche Tragödien nicht wiederholen, dass ihr Wirken Anerkennung erfährt und dass wir der Zerbrechlichkeit des Lebens gewahr werden.

Maria del Pilar Peralta Ardila/Rachel Carson Center (LMU)

Kasten:

Rachel Carson Center for Environment and Society

Das Rachel Carson Center arbeitet mit der Ludwig-Maximilians-Universität München sowie dem Deutschem Museum München zusammen und versammelt Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die das Verhältnis von Natur und Kultur über Disziplinengrenzen hinweg sowie in unterschiedlichen zeitlichen und geografischen Kontexten erforschen. Es wurde von 2009 bis 2023 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung als Käte Hamburger Kolleg gefördert.