Mit Leib und Seele: Die Edition der Werke von Galen von Pergamon

Mit seinem Œuvre prägte Galen von Pergamon (129-216 n. Chr.) die medizinische Wissenschaft von der Antike über das europäische und das arabische Mittelalter bis weit in die Neuzeit hinein. Das Akademienvorhaben „Galen als Vermittler, Interpret und Vollender der antiken Medizin“ ediert, übersetzt und kommentiert seit 2009 seine maßgeblichen Schriften.

Galen seziert ein Schwein, um die zentrale Funktion des Gehirns nachzuweisen Rahmenillustration (Detail) des Titelblatts der Editio Iuntina der Werke Galens, Venedig 1625

Galen seziert ein Schwein, um die zentrale Funktion des Gehirns nachzuweisen
Rahmenillustration (Detail) des Titelblatts der Editio Iuntina der Werke Galens, Venedig 1625

Projekt "Galen als Vermittler, Interpret und Vollender der antiken Medizin"

Galen, Kupferstich von Georg Paul Busch, 1719.

Galen, Kupferstich von Georg Paul Busch, 1719.

Porträtsammlung/Österreichische Nationalbibliothek (https://onb.digital/result/10F82353)

„Mehr als 100 Werke und mehr als 10.000 Seiten – das Galenische Corpus ist eine der größten überlieferten Schriftensammlungen eines griechischen Autors. Allerdings liegen bis heute große Teile seines Œuvres nicht in wissenschaftlichen kritischen Editionen vor“, sagt Prof. Dr. Philip van der Eijk, der das Akademieprojekt der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften leitet. „Wir haben uns bis zum Projektende 2034 viel vorgenommen: Wir edieren die wichtigsten Schriften zum ersten Mal und machen sie mitsamt Erläuterungen in moderner Übersetzung für Forschung und Öffentlichkeit zugänglich. Jedes Jahr bringen wir zwei Bände heraus.“ Sie erscheinen sowohl gedruckt als auch online in der Schriftenreihe Corpus Medicorum Graecorum, eine nahezu allumfassende Schriftenreihe der Medizinschriftsteller der Antike.

Arzt und Vordenker

Galen von Pergamon prägte die Medizin nachhaltig: In seinen medizinischen Schriften fasste er das medizinische Wissen seiner Zeit zusammen und bereicherte es durch eigene Forschungen, etwa zur Funktion des menschlichen Körpers aber auch zu philosophischen und wissenschaftstheoretischen Grundlagen des medizinischen Erkennens und Handelns. Galen war bis ins hohe Alter überaus produktiv, er war Hofarzt des römischen Kaisers Marc Aurel, war sehr einflussreich, besuchte jeden Tag mehrere Patientinnen und Patienten, führte Experimente durch und schrieb seine Erfahrungen nieder. „In seinen Werken spürt man die Verbindung zu den Menschen, dem alltäglichen Leben. Galen hatte unglaubliche Geschichten zu erzählen“, weiß van der Eijk. Für ihn ist Galen eine herausragende Persönlichkeit: Galen wirkte nämlich nicht nur als Arzt, vielmehr als Denker und reflektierender Mediziner, der sich intensiv mit Pflichten, Rechten und Begrenzungen seiner Disziplin auseinandersetzte. Kein Wunder, dass die Werke Galens vom 6. bis ins frühe 19. Jahrhundert hinein die medizinische Terminologie und das Selbstverständnis der Ärzte weltweit beeinflussten. „Noch heute ist Galen erstaunlich aktuell und wirklich sehr inspirierend“, so van der Eijk.

Verankerung der Seele im Körper

Portrait von Philip van der Eijk

Prof. Dr. Philip van der Eijk, Leiter des Akademienvorhabens „Galen als Vermittler, Interpret und Vollender der antiken Medizin“ der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (2021-2034). Alexander von Humboldt Professor für Klassische Altertumswissenschaften und Wissenschaftsgeschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin.

David Ausserhofer

Ein Aspekt, der Galens Werke durchzieht, ist die untrennbare Verbindung von Körper und Seele. Aber wo sitzt sie? Eine Frage, die bereits in der Antike rege diskutiert wurde und bis heute trotz aller Möglichkeiten nicht final geklärt ist. Während Aristoteles den Sitz der Seele im Herzen verortete, war für Galen das Gehirn das zentrale Organ für die wichtigsten geistigen und seelischen Funktionen. Seine Überzeugung stützte sich auf anatomische Studien und Experimente, die er hauptsächlich an Tieren durchführte. „Galens Erkenntnis, dass das Gehirn die Quelle von Gedanken und Sinneswahrnehmungen ist, hatte einen nachhaltigen Einfluss auf die Medizin und Philosophie. Seine Arbeiten legten den Grundstein für die Erforschung der Gehirnfunktionen, des Nervensystems und der Psyche“, betont van der Eijk.

Psychologie und philosophische Reflexion

Selbstreflexion, Mentoring, Coaching – all das ist alles andere als neu. Schon Galen erkannte, dass die Psyche eine zentrale Rolle für die Gesundheit spielt – und umgekehrt. Durch Gespräche sollten emotionale Belastungen und psychische Konflikte identifiziert und gelöst werden. Zudem empfahl er, philosophische Lehren zu studieren und anzuwenden, um eine ausgeglichene und vernünftige Lebensweise zu fördern. Besonders die stoische Philosophie, die Gelassenheit und emotionale Kontrolle waren für ihn von großer Bedeutung, ebenso wie die regelmäßige Selbstreflexion. Er riet seinen Patientinnen und Patienten, ihre eigenen Emotionen und Verhaltensweisen niederzuschreiben, um innere Konflikte zu erkennen und zu bewältigen. Hinzu kamen eine gesunde Ernährung, regelmäßige Bewegung und ausreichender Schlaf, um sowohl körperliche als auch psychische Gesundheit aufrechtzuerhalten und zu fördern.

„Über die Unverdrossenheit“

Wie Galen selbst mit den Herausforderungen und Widrigkeiten des Lebens umging, lässt sich in seinem Werk „Über die Unverdrossenheit“ (De indolentia) neuerdings nachlesen. Jahrhundertelang galt es als verschollen, im Jahr 2005 tauchte es wieder auf. „Ein sensationeller Fund, der zeigt, dass wir Philologen nicht nur mit Altbekanntem hantieren, sondern auch Neues entdecken!“, sagt van der Eijk. Bei einem verheerenden Brand in Rom im Jahr 192 n. Chr. verlor Galen fast alles, seine Bücher, seine Notizen, seine Instrumente und Medikamente. In Briefform beschreibt Galen seine Reaktion auf den materiellen Verlust und betont die Bedeutung der inneren Stärke und der Fähigkeit, trotz Rückschlägen und Schwierigkeiten unermüdlich weiterzumachen. Diese stoische Haltung legte Galen auch seinen Patientinnen und Patienten nahe. „Galen hat die Wechselwirkungen zwischen Psyche und Körper genauestens erforscht und lebensnah beschrieben“, so van der Eijk. „Auch wenn sich vieles verändert hat, Galens Werke geben noch immer gute Anregungen für unser heutiges Leben!“

Autorin: Katrin Schlotter

Codex Mutinensis alpha.P.5.20 (fol. 38v) aus dem 15. Jh. Abgebildet ist der Anfang einer Schrift von Galen zur Therapeutik

Codex Mutinensis alpha.P.5.20 (fol. 38v) aus dem 15. Jh. Abgebildet ist der Anfang einer Schrift von Galen zur Therapeutik

Biblioteca Estensa Universitaria di Modena

Codex Vindobonenis Medicus gr. 22 (fol.1r) aus dem 15. Jh. Abgebildet ist der Anfang der diagnostischen Schrift Über das Erkennen erkrankter Körperteile, in der Galen sich u.a. mit dem Leib-Seeleproblem auseinandersetzt

Codex Vindobonenis Medicus gr. 22 (fol.1r) aus dem 15. Jh. Abgebildet ist der Anfang der diagnostischen Schrift Über das Erkennen erkrankter Körperteile, in der Galen sich u.a. mit dem Leib-Seeleproblem auseinandersetzt

Österreichische Nationalbibliothek

Codex Parisinus Supplément gr. 634 (fol. 381v) aus dem 12. Jh. Abgebildet ist eine Textpassage (mit Scholien, d.h. Anmerkungen am Rande) aus Galens Hauptwerk über die therapeutische Methode zur Behandlung von verwundeten Eingeweiden

Codex Parisinus Supplément gr. 634 (fol. 381v) aus dem 12. Jh. Abgebildet ist eine Textpassage (mit Scholien, d.h. Anmerkungen am Rande) aus Galens Hauptwerk über die therapeutische Methode zur Behandlung von verwundeten Eingeweiden

Bibliothèque nationale de France

Codex Monacensis gr. 610,6 (verso) aus dem 4. Jh. Das einzige Papyrusfragment von Galens Schrift über die therapeutische Methode

Codex Monacensis gr. 610,6 (verso) aus dem 4. Jh. Das einzige Papyrusfragment von Galens Schrift über die therapeutische Methode

Bayerische Staatsbibliothek

Galen, Lithographie von Pierre Roche Vigneron, ca. 1825-1829.

Galen, Lithographie von Pierre Roche Vigneron, ca. 1825-1829.

Porträtsammlung/Österreichische Nationalbibliothek (https://onb.digital/result/10F823DA)

Mittelalterliche Darstellungen der inneren Anatomie des Menschen nach Galen: Venen (links), dann Arterien (rechts)

1 von 2: Mittelalterliche Darstellungen der inneren Anatomie des Menschen nach Galen: auf S. 6 (fol. 2v) erst Venen (links), dann Arterien (rechts),

Bayerische Staatsbibliothek München, Kodex Clm 13002, S. 6-7 (https://www.digitale-sammlungen.de/en/view/bsb00104093?page=6,7)

Mittelalterliche Darstellungen der inneren Anatomie des Menschen nach Galen: auf S. 6 (fol. 2v) erst Venen (links), dann Arterien (rechts), auf S. 7 (fol. 3r) dann Knochen, Nerven und Muskeln.

2 von 2: Mittelalterliche Darstellungen der inneren Anatomie des Menschen nach Galen: S. 7 (fol. 3r) dann Knochen, Nerven und Muskeln.

Bayerische Staatsbibliothek München, Kodex Clm 13002, S. 6-7 (https://www.digitale-sammlungen.de/en/view/bsb00104093?page=6,7)

Galen seziert ein Schwein, um die zentrale Funktion des Gehirns nachzuweisen

Galen seziert ein Schwein, um die zentrale Funktion des Gehirns nachzuweisen

Projekt "Galen als Vermittler, Interpret und Vollender der antiken Medizin"

Das Akademieprojekt „Galen als Vermittler, Interpret und Vollender der antiken Medizin“

Das Vorhaben "Galen als Vermittler, Interpret und Vollender der antiken Medizin" der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften ediert, übersetzt und kommentiert medizinische Texte von Galen von Pergamon (129–216 n. Chr.), die – aus heutiger Sicht – im Spannungsfeld zwischen Natur- und Geisteswissenschaft stehen.


Galen, der im 2. Jahrhundert n. Chr. in Rom unter anderem als medizinischer Berater Kaiser Marc Aurels wirkte, wurde mit seinem umfangreichen Œuvre zur maßgebenden Autorität der Medizin von der Antike über das europäische und das arabische Mittelalter bis weit in die Neuzeit hinein. Er sah sich selbst als Vertreter und Vollender der hippokratischen Heilkunst, hat aber auch das gesamte medizinische Wissen seiner Zeit aufgenommen und selbständig bereichert. Seine Werke wurden ins Lateinische, Syrische, Arabische und Hebräische übersetzt und waren im Orient und im Okzident zugleich Grundlage des medizinischen Wissens und Inspirationsquelle für neue Entwicklungen.

Die medizinischen Schriften der Antike

Das „Corpus Medicorum Graecorum / Latinorum“ (CMG / CML) gibt die medizinischen Schriften der Antike in textkritischen Editionen heraus. Dabei werden auch indirekte Überlieferungen in griechischer, lateinischer, syrischer, arabischer, hebräischer und mittellateinischer Sprache berücksichtigt. Um die antiken Schriften einem breiteren Publikum zugänglich zu machen, sind sie in moderne Sprachen übersetzt und mit Erläuterungen versehen. Seit 2011 werden die Schriftenreihen CMG/CML durch das Projekt „Galen als Vermittler, Interpret und Vollender der antiken Medizin“ betreut.