Alles fake? Interview mit Dr. Dr. Niki Pfeifer über Schlussfolgerungen unter Unsicherheiten
Im Zeitalter von Fake News gibt es ein Übermaß an Informationen, jede einzelne Information ist jedoch unsicher. Unsicherheit ist daher ein aktuelles und wichtiges Problem der Gegenwart. Aber wie geht man damit um? Diese Frage hat Dr. Dr. Niki Pfeifer im Rahmen seines BMBF-geförderten Projekts aus wahrscheinlichkeitslogischen und wissenschaftstheoretischen Perspektiven erforscht.
Im Interview: Dr. Dr. Niki Pfeifer, Projektleiter des BMBF-geförderten Projekts „Logische und wissenschaftstheoretische Grundlagen des Schließens unter Unsicherheit“
Herr Dr. Pfeifer, wie sollen Schlussfolgerungen unter Unsicherheit gezogen werden und wie werden diese tatsächlich gezogen? Gibt es hierzu ein anschauliches Beispiel?
Alltägliche Schlüsse wie etwa „Wenn ich um 17:00 Uhr in den Zug steige, dann bin ich um 18:00 Uhr zu Hause, ich steige um 17:00 Uhr in den Zug; daher bin ich um 18:00 Uhr zu Hause“ sind mit Unsicherheit behaftet. Beispielsweise ist es unsicher, ob der Zug pünktlich ist. Unsicherheiten können mit Wahrscheinlichkeiten bewertet werden. Aus wahrscheinlichkeitslogischer Perspektive werden die Prämissen (das sind die Annahmen in einem Argument) zunächst mit Wahrscheinlichkeiten bewertet. In einem zweiten Schritt werden dann die Wahrscheinlichkeiten von den Prämissen auf die Konklusion (das ist die Schlussfolgerung des Arguments) übertragen.
Unter der Annahme der Prämissen wird mit mathematischer Sicherheit gezeigt, wie stark vernünftigerweise an die Konklusion geglaubt werden soll. Gute Argumente erlauben es, den Glauben an die Konklusion mit oberen und unteren Wahrscheinlichkeitsschranken einzugrenzen. Schlechte Argumente schränken die Konklusion nicht ein: In diesem Fall weiß man gar nichts über die Konklusionswahrscheinlichkeit. Im vorangegangenen Beispiel mit dem Zug ergibt sich die untere Schranke durch das Produkt der beiden Prämissenwahrscheinlichkeiten.
Unsere experimental-psychologischen Untersuchungen haben gezeigt, dass die meisten Versuchspersonen gute von schlechten Argumenten unterscheiden können und meist Glaubensgrade schlussfolgern, die innerhalb der idealen (wahrscheinlichkeitslogischen) Schranken liegen.
Gerade in Zeiten von Fake News und Unsicherheit ist es wichtig, dass auf die Begründung und Bewertung der Prämissen geachtet wird. Zudem muss geprüft werden, inwiefern die entsprechenden Konklusionen aus den Prämissen folgen beziehungsweise wieviel Glauben man ihnen schenken darf.
Dr. Dr. Niki Pfeifer
Welche Kleinen Fächer waren bei Ihren Untersuchungen involviert?
Im Projekt haben wir ausgewählte wahrscheinlichkeitslogische Argumentformen mit begriffsanalytischen, formal-mathematischen und empirisch-psychologischen Methoden untersucht. Mein Projekt war im Kleinen Fach "Philosophie: Logik und Wissenschaftstheorie" angesiedelt.
Wenngleich der Hauptfokus auf der Grundlagenforschung lag, haben wir durch den interdisziplinären Forschungszugang auch innovative Lösungen zu gesellschaftlich relevanten Problemen des Schließens und Argumentierens unter Unsicherheit erarbeitet. Zum Beispiel entwickelten wir eine Methode für die Analyse von Theorien über Verschwörungstheorien. Dadurch können grundlegende Positionen und deren logische Beziehungen untereinander systematisch dargestellt und untersucht werden; somit kann eine differenziertere Debatte über Verschwörungstheorienforschung geführt werden.
Was ist das Besondere an Ihren Forschungen? Welches Ergebnis hat Sie überrascht?
Im 20. Jahrhundert war die klassische Logik der Standard in der Psychologie des schlussfolgernden Denkens. Menschliche Schlussfolgerungen wurden als vernünftig bewertet, wenn sie mit den Gesetzen der klassischen Logik konsistent sind. Schlussfolgerungen, die die Gesetze der Logik verletzen, wurden als unvernünftig interpretiert.
Anfang des 21. Jahrhunderts kam es zu einem Paradigmenwechsel: Anstelle von Logik werden mittlerweile wahrscheinlichkeitstheoretische Ansätze in der Psychologie als Rationalitätsstandard verwendet. Dies bedeutet, dass menschliche Schlüsse nun durch die „wahrscheinlichkeitstheoretische Brille“ gesehen und entsprechend bewertet werden. Die Wahrscheinlichkeitslogik, die wir im Projekt weiterentwickelt haben, erlaubt überraschend gute Vorhersagen, wie Menschen tatsächlich Schlussfolgerungen ziehen. Interessant ist dabei, dass menschliches Schließen viel rationaler ist, als bisher in rein logik-basierten Ansätzen angenommen wurde.
Wahrscheinlichkeitslogik erlaubt zudem, viele vernünftige und psychologisch plausible Intuitionen zu berücksichtigen, die mit den Mitteln der klassischen Logik nicht formalisierbar sind. Beispielsweise ist der Satz „Wenn es regnet, dann regnet es nicht“ in der klassischen Logik merkwürdigerweise gleichbedeutend mit „Es regnet nicht“. In der Wahrscheinlichkeitslogik hingegen kann dieser Satz nur mit der geringsten Wahrscheinlichkeit (0) bewertet werden, dies ist natürlich plausibel. Klassische Logik erlaubt auch keine Revision der Konklusion im Lichte neuer Prämissen, wohingegen wahrscheinlichkeitslogisch Konklusionen revidiert werden können. Wie unsere Forschungen zeigen, ist Wahrscheinlichkeitslogik psychologisch viel plausibler als Rationalitätsstandard für menschliches Denken als klassische Logik.
Was bedeuten Ihre Erkenntnisse für die Wissenschaftskommunikation?
Für die Wissenschaftskommunikation ist es meiner Meinung nach wichtig, Unsicherheiten und versteckte Annahmen explizit zu machen. Dies kann beispielsweise in Form von Punktwahrscheinlichkeiten (z.B. Prozentsätze), Intervallwahrscheinlichkeiten (begrenzt durch untere und obere Wahrscheinlichkeitsschranken) oder mithilfe von Adjektiven wie „wahrscheinlich“ erfolgen. Wahrscheinlichkeitslogik kann neben quantitativen Bewertungen (z.B. Prozentsätzen) auch qualitative Bewertungen (wie „Satz A ist wahrscheinlicher als Satz B“) ausdrücken. Auch wenn nicht unbedingt immer konkrete Wahrscheinlichkeitswerte kommuniziert werden müssen, lassen sich mit Wahrscheinlichkeitslogik Konklusionen im Lichte der Prämissen vernünftig bewerten. Wichtig ist es, alle Annahmen explizit zu machen, um mögliche Schranken für die Konklusionswahrscheinlichkeit identifizieren zu können. Die Rechtfertigung der Prämissen ist wichtig, da unvernünftige Prämissen unvernünftige Konklusionsbewertungen nach sich ziehen können.
Förderlinie „Kleine Fächer – Große Potenziale“
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert das Projekt „LogWissUns“ in der Förderlinie „Kleine Fächer – Große Potenziale“. Fast 60 Projekte forschen unter der Devise „Kleine Fächer – Große Potenziale“ in verschiedenen Disziplinen, prägen dabei das einzigartige Hochschulprofil in Forschung und Lehre, entwickeln attraktive Studienangebote und eröffnen neue Forschungsfelder für Nachwuchswissenschaftler/Innen. Zudem verbessern Studien, Jahrestagungen, Konferenzen stetig das Wissen in und über die Kleinen Fächer.
BMBF-Projekt „Logische und wissenschaftstheoretische Grundlagen des Schließens unter Unsicherheit (LogWissUns, 01UL1906X)“
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