DDR-Forschung: Unrecht fassbar machen

Mit 40 Millionen Euro fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) seit Herbst 2018 die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der DDR und dem SED-Unrecht. Was ‚Zersetzung‘ bedeutet, hat unlängst ein Teilprojekt des BMBF-geförderten Forschungsverbundes „Landschaften der Verfolgung“ untersucht – und damit viel bewirkt. Geben Sie uns Ihr Feedback in einem Kommentar!

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Gut drei Jahrzehnte nach dem Ende der DDR sind die Ursachen, Ausmaße und Auswirkungen politischer Verfolgung in Ostdeutschland zwischen 1945 und 1989 noch immer unzureichend erforscht. Das ändert sich mit dem interdisziplinären Verbundvorhaben „Landschaften der Verfolgung“. Eines der Teilprojekte befasst sich mit den „Rechtsfolgen politischer Verfolgung im wiedervereinigten Deutschland“, genauer gesagt, mit der Rehabilitierung und Entschädigung der Opfer. Geleitet wird das Teilprojekt an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) von Rechtsanwalt und Honorarprofessor für Medienrecht Prof. Dr. Johannes Weberling.

Aufarbeitung von Unrecht

Auf welchen gesetzlichen Grundlagen werden die Opfer entschädigt, wie werden diese Gesetze in der Praxis umgesetzt? Und ist die Wiedergutmachung das, was sie verspricht? Fragen von großer gesellschaftlicher Relevanz, die weit über die Gegenwart hinausgehen. „In unserer Arbeitsgruppe thematisieren wir immer wieder die mangelhafte Umsetzung der rechtlichen Aufarbeitung von DDR-Unrecht und wie sich das auf das heutige rechtsstaatliche Bewusstsein auswirkt“, erläutert Weberling. Als Jurist und Historiker weiß er: „Wenn wir nicht wissen, warum unsere Biografie so verlaufen ist, können wir nicht unbelastet die Zukunft gestalten. Belastungen und Blockaden werden sogar über Generationen hinaus weitergegeben“. Umso wichtiger ist es, Jahrzehnte nach dem Ende der DDR, dieses Unrecht fassbar zu machen.

Prof. Dr. Johannes Weberling

Prof. Dr. Johannes Weberling

Heide Fest

Bestrafung ohne Verurteilung

Unrecht nach so langer Zeit nachzuweisen, ist bei den so genannten Zersetzungsmaßnahmen besonders schwierig. Ein ganzes Bündel geheimdienstlicher Methoden wurde vom Ministerium für Staatssicherheit aber auch von nicht-staatlichen Akteuren in Betrieben eingesetzt, um Menschen zu „zersetzen“, die nicht der Linie der Sozialistischen Einheitspartei Deutschland (SED) entsprachen. Die Liste der Zersetzungsmaßnahmen ist lang und perfide: Sie reicht von Misstrauen säen im privaten und beruflichen Umfeld über gezielte Rufschädigung als „Spitzel“, „Perverser“ oder „Krimineller“ bishin zur Zerstörung des Selbstvertrauens. Die Maßnahmen konnten jeden treffen, doch anderes als bei Inhaftierung, merkten die Opfer von der gezielten Manipulation oft nichts und suchten die Fehler für ihr Scheitern bei sich selbst. „Menschen sollten in ihren eigentlichen Überzeugungen gebrochen werden“, fasst Weberling das Ziel der Zersetzungsmaßnahmen in der DDR zusammen.

Späte Wiedergutmachung

Erst seit Ende 2019, dreißig Jahre nach dem Fall der Mauer, können Opfer von Zersetzungsmaßnahmen rehabilitiert werden und haben Anspruch auf einmalig 1.500 Euro Wiedergutmachung. „Noch immer fehlt es Gerichten und Rehabilitationsbehörden an der Kenntnis über die Tragweite von derartigen Zersetzungsmaßnahmen“, bedauert Weberling, „auch die Opfer wissen zu wenig über ihre Rechte“.

Um die Methoden der Zersetzung und die Möglichkeiten zur Rehabilitation bewusster zu machen, fand im September 2020 ein gemeinsamer Workshop des Projektes „Rechtsfolgen politischer Verfolgung im wiedervereinigten Deutschland“ statt. Hauptziel des Workshops war, eine handhabbare Definition des Zersetzungsbegriffes für den neu eingeführten §1 a Abs. 2 des Verwaltungsrechtliches Rehabilitierungsgesetzes (kurz: VwRehaG) zu entwickeln. Die Ergebnisse des Workshops sind im Februar 2021 in Sonderbeilage der Zeitschrift „Neue Justiz“ zum Thema „Zersetzung“ erschienen. Herausgeber sind Johannes Weberling, Christian Booß, Myra Frölich und Natalie Kowalczyk. Zudem werden die Ergebnisse allen Behörden und Institutionen zur Verfügung gestellt, die über die Anträge zur Wiedergutmachung von Zersetzungsmaßnahmen entscheiden. Ein entscheidender Schritt, um Betroffenen zu ihrem Recht auf Rehabilitierung zu verhelfen.

Moralische und finanzielle Rehabilitierung

„Es ist eine Frage der Gerechtigkeit; die Betroffenen bekommen ein Stück ihrer Geschichte zurück“, betont Weberling. Er rechnet mit einigen zehntausend Menschen, die Anträge stellen können – es sind all die, die von derartigen Methoden betroffen waren und noch nicht auf andere Weise entschädigt wurden. Die nun erfolgte Ergänzung im entsprechenden Paragraphen des Rehabilitierungsgesetzes stellt für Johannes Weberling „den vorläufigen Schlusspunkt einer seit rund 20 Jahren anhaltenden Diskussion über die bisher nicht erfolgte moralische und materielle Rehabilitierung der Gruppe der Zersetzungsopfer dar“.

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Der Forschungsverbund „Landschaften der Verfolgung“

Der Forschungsverbund „Landschaften der Verfolgung“ ist einer von insgesamt 14 Verbünden, die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) auf dem Gebiet der DDR-Forschung (siehe Förderrichtlinie) unterstützt werden. Zu den zentralen Zielen des Programms gehören eine stärkere Verankerung der DDR-Forschung an den Hochschulen sowie der Wissenstransfer von Forschungsergebnissen in eine breitere Öffentlichkeit. Der Förderzeitraum beträgt insgesamt vier Jahre (2019-2022). Im Forschungsverbund arbeiten acht Institutionen zusammen. Neben wissenschaftlichen Forschungseinrichtungen (Geschichte, Politikwissenschaften, Medizin und Jura) sind auch mehrere Gedenkstätten und Stiftungen am Verbund beteiligt.

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