Die Junge Akademie: interdisziplinäres Projekt erforscht 'Traumgeschichte(n)'
Träume faszinieren die Menschheit seit jeher. An der Jungen Akademie erforscht das interdisziplinäre Projekt „Traumgeschichte(n) vom Mittelalter bis zur gegenwärtigen Wissenschaftsgeschichte“ – und führt so die geistes- und neurowissenschaftliche Forschung über Träume zusammen.
Von der Geschichte von Joseph und dem Pharao in der Genesis über Penelopes Unterscheidung zwischen bedeutenden und unbedeutenden Träumen in Homers Odyssee bis in die moderne Kinogeschichte und den Hype um luzides Träumen in Mindfulness-Apps – seit jeher werden Träume als Vorboten bedeutender Ereignisse gewertet. Auch das Mittelalter ist reich an unentdeckten Ideen und Praktiken und bietet neue Einsichten: Träume wurden vielfach als übernatürliche Botschaften verstanden, aber auch soziale und kulturelle Aspekte wurden in mittelalterlichen Traumtheorien betrachtet. Darüber hinaus verwendeten Gelehrte und Dichter Träume als literarisches Genre – als Vehikel für ihre Vorstellungen von Gesellschaft, Religion und menschlichem Wohlergehen.
Geistes- und neurowissenschaftliche Forschung
Können Erkenntnisse aus den Neurowissenschaften helfen, die mittelalterlichen Quellen neu zu erschließen? Und können im Umkehrschluss Ideen aus dem Mittelalter inspirierend wirken für Experimente im neuropsychologischen Bereich? Das erforschen die Professoren/innen Martin Dresler, Lara Keuck und Racha Kirakosian im Projekt der Jungen Akademie „Traumgeschichte(n)“. Im ersten Modul wurden mentale Bilder als Gegenstand der mittelalterlichen Textkultur einer neuropsychologischen Neubewertung unterzogen. Im zweiten Modul widmet sich eine wissenschaftshistorische Untersuchung im Labor der Frage, wie der Luzidtraum, in dem sich der Träumende seines Traumes bewusst ist, zu einem neurowissenschaftlichen Forschungsgegenstand wurde. Hierzu betreuen Martin Dresler und Lara Keuck gemeinsam die im Labor eingebettete wissenschaftshistorische Forschungsarbeit von Marieke McKenna, in deren Zentrum die Durchführung und Auswertung von Oral History Interviews zur Luzidtraumforschung stehen.
Neue Forschungsrichtung „Neuromedievalism“
„Mentale Bilder, etwa in Visionen, Tagträumen und Schlafträumen, spielten bei epistemologischen Prozessen, religiösen Erfahrungen und künstlerischen Auseinandersetzungen eine wichtige Rolle für die Frage der Wahrheitsfindung und -repräsentation. Trotz ihrer Bedeutung für das historische Verständnis vom menschlichen Hirn bleiben aber mittelalterliche Konzepte des „inneren Sehens“ untererforscht“, erläutert die Mediävistin Kirakosian zum ersten Modul des Projekts. „Deshalb verbinden wir mit unserem Projekt mittelalterliche Konzepte des Vorstellungsvermögens mit neuen Erkenntnissen aus neurowissenschaftlicher Sicht, indem wir nach gemeinsamen Schnittstellen fragen.“
Im Juni 2022 lud Kirakosian Forscher/innen der Mittelalter- und Geschichtswissenschaft sowie der Neurowissenschaften zu einem interdisziplinären Dialog nach Hamburg ein, zum Workshop „Mentale Bilder im Mittelalter und Neuroscience – neue Perspektiven“. Gefördert wurde er vom Hamburger Institute for Advanced Study (HIAS) und der Jungen Akademie. „Aktuelle Erkenntnisse aus den Neurowissenschaften helfen dabei, mittelalterliche Quellen neu zu erschließen. Zum Beispiel ermöglichen Forschungen zum luziden Traum die mittelalterliche Textgattung ‚Traumvision‘ in einem neuen Licht zu untersuchen“, sagt Kirakosian. Auch im Umkehrschluss wirken Ideen aus dem Mittelalter inspirierend für innovative Experimente im neuropsychologischen Bereich, wie der renommierte Neurowissenschaftler Rainer Goebel hinzufügt.
Bei dem Workshop waren sich alle einig, dass die Forschungsrichtung „Neuromedievalism“ das Potenzial hat, mittelalterliche Vorstellungskonzepte ins Bewusstsein der Neurowissenschaften zu rücken. Um die interdisziplinären Bemühungen erfolgreich fortzusetzen, sind eine gemeinsame wissenschaftliche Terminologie und neue Erklärungsmodelle notwendig.
Über Fachworkshops und öffentliche Vorträge machen die Forscher*innen „Traumgeschichte(n)“ in der Öffentlichkeit bekannt – und sorgen für neue Impulse in der Wissenschaftsgeschichte sowie der Neuropsychologie. So konnte Kirakosian im November 2022 als Winner in der Kategorie Humanities & Social Science beim Falling Walls Summit ihre Ideen zu „Neuromedievalism“ in Berlin vor einem internationalen und interdisziplinären Publikum zur Debatte stellen.
Die Junge Akademie
Die Junge Akademie wurde im Jahr 2000 als weltweit erste Akademie für herausragende junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ins Leben gerufen. Ziel der Jungen Akademie ist es, jungen Wissenschaftler:innen und Künstler:innen aus allen wissenschaftlichen Disziplinen und den Künsten neben ihrer eigenen Forschung die Möglichkeit zu geben, den Dialog an der Schnittstelle von Wissenschaft, Kunst und Gesellschaft aktiv und kreativ mitzugestalten. Die Junge Akademie steht in der Trägerschaft der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (BBAW) und der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina. Finanziell getragen wird sie zu 90 Prozent vom BMBF; jeweils fünf Prozent der Zuwendungen kommen vom Land Sachsen-Anhalt und der BBAW.
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