Mit insgesamt rund 12 Mio. Euro fördert das BMBF seit Januar 2021 dreizehn interdisziplinäre Verbundprojekte aus den Digital Humanities. Eines davon beschäftigt sich mit der Modellierung prähistorischen Jagdverhaltens. Prof. Dr. Eleftheria Paliou und Dr. Tilman Lenssen-Erz von der Universität zu Köln gehen in Namibia mit ihrem Team auf innovative Spurensuche.
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Wie waren prähistorische Gesellschaften organisiert? In welchen Landschaften lebten die Menschen und wie haben sie sie genutzt? Was stand auf dem Speiseplan, und welche Strategien haben die frühen Jäger-Sammler für ihre gesicherte Lebensführung genutzt? Mit diesen und weiteren Fragen befasst sich die Prähistorische Archäologie. Das Spannende daran: Zu diesem Zeitabschnitt aus der Geschichte des Menschen, der vor ungefähr 2,5 Millionen Jahren beginnt, liegen keine schriftlichen Quellen vor.
Auf den Spuren unserer Vorfahren
Die Jagd war für das Überleben und die soziale Entwicklung der Menschen in der frühen Vorgeschichte von wesentlicher Bedeutung. „Heutzutage haben wir jedoch nur sehr wenige Möglichkeiten, traditionelles Jagdverhalten zu beobachten. Heutige indigene Jägergemeinschaften verfügen aber über einzigartiges Wissen, das für die archäologische Forschung wertvoll ist. Wir arbeiten daher mit indigenen Ju/‘hoansi-San in Namibia zusammen, die Experten der traditionellen Jagd sind. Ihre Strategien sind der prähistorischen Jagd wahrscheinlich sehr ähnlich. Was wir wissen möchten ist: Welche Jagdstrategien könnten prähistorische Menschen entwickelt haben, um die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Jagd zu erhöhen? Wie haben sich unterschiedliche ökologische Bedingungen (Vegetation, Topographie, Klima usw.) auf den Jagderfolg und die Entwicklung des Sozialverhaltens in Jäger- und Sammlergruppen ausgewirkt? Die Beantwortung solcher Fragen kann uns helfen, die Nahrungsbeschaffung, die Überlebensfähigkeit und die soziale Entwicklung der frühen menschlichen Gesellschaften besser zu verstehen“, erklärt Projektleiterin Dr. Eleftheria Paliou, Professorin für Computational Archaeology (Archäoinformatik) an der Universität zu Köln. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt auf der Untersuchung neuer archäologischer Forschungslinien mit Hilfe von georäumlichen Analysen und Computersimulationen sowie auf dem konzeptionellen Beitrag dieser Methoden zur gesellschaftlichen Analyse von Kulturlandschaften und urbanen Umwelten.
Mit „Mastertrackern“ auf traditionellen Jagdzügen in Namibia
Ziel des Projekts „Modellierung prähistorischen Jagdverhaltens“, das seit Juni 2021 für drei Jahre läuft, ist es, die wenigen bisher vorhandenen empirischen Grundlagen theoretischer und computergestützter Modelle über prähistorisches Jagdverhalten zu verbessern und zu erweitern. Dazu begleitet das Forscherteam der Uni Köln indigene Experten in Namibia bei ihren traditionellen Jagdzügen in verschiedenen Wüstenlandschaften. Das heißt, sie streifen wie eh und je zu Fuß durchs Revier, ohne Feuerwaffen, Ferngläser oder Jagdhunde. Doch anders als früher haben sie jede Menge Equipment im Gepäck, um Daten zu sammeln, etwa zu GPS-Bewegungspfaden, Windverhältnissen oder zum Kalorienverbrauch. Zudem machen sie Video- und Audioaufzeichnungen, um Einblicke in das menschliche Verhalten während der Jagd festzuhalten, etwa zu Entscheidungsprozessen oder zu physischen Einschränkungen. „Mit all diesen Daten wollen wir neue Einsichten in die Wechselwirkungen zwischen Mensch, Tier und Umwelt gewinnen“, betont Paliou.
Gute Startbedingungen für das Projekt ergaben sich durch die Einbeziehung von Fährtenlesern der Ju/‘hoansi-San aus Namibia, die ihre Fähigkeiten bereits in den Dienst eines anderen wissenschaftlichen Projektes gestellt hatten, das Dr. Tilman Lenssen-Erz mit seinem Kollegen PD Dr. Andreas Pastoors durchgeführt hatte. Dadurch sind sie mit der Zusammenarbeit mit westlichen WissenschaftlerInnen ebenso vertraut wie mit einer dichten Datenerhebung während ihres Tuns.
Neue Daten und Modelle
„Die Jagdstrategien der Ju/‘hoansi-San spiegeln viel eher die der prähistorischen Menschen wider als die Praktiken, die von den meisten zeitgenössischen Jägern heute angewandt werden. Man muss bedenken, dass Menschen bei der Jagd zu keiner Zeit auf Fähigkeiten jagender Tiere bauen konnten, wie etwa Schnelligkeit oder Sprungkraft. Vielmehr musste der Mensch sowohl in der Prähistorie als auch heute auf seine Intelligenz und seine Deutungsmöglichkeiten zum Beispiel von Spuren bauen“ erläutert Lenssen-Erz.
Die bei der Feldforschung gesammelten Daten werden anschließend in bestehende theoretische und in computergestützte Modelle von Jäger-Sammler-Gesellschaften integriert, insbesondere in agentenbasierte Modelle (agent-based models, ABM), um dynamische Aspekte des menschlichen Verhaltens in der Landschaft zu simulieren. Bei agentenbasierten Modellen handelt es sich um Computersimulationen, die es ermöglichen verschiedene Hypothesen über das menschliche Verhalten bei der Nahrungsbeschaffung in der Vergangenheit zu überprüfen, indem Auswirkungen verschiedener Faktoren (Interaktionen zwischen Mensch und Tier, menschliche Kooperation, Topografie, Vegetation und klimatische Bedingungen) berücksichtigt werden. „Auf lange Sicht soll so ein Grundgerüst an empirischen Daten und Erkenntnisseen zur Nahrungsbeschaffung angelegt werden, so Lenssen-Erz, mit dem sich Regionen mit Fundstellen prähistorischer Jäger in ariden Landschaften besser erklären lassen. Denn diese Daten und Erkenntnisse sind nicht Hypothesen von Forschern, sondern tatsächliche Verhaltensmuster von realen Jägern.“
Zum Anschauen: Auf den Pfaden der Forschenden
Wenn Sie mit auf die Jagd gehen wollen, schauen Sie mal hier: Die Multimedia-Präsentation zeigt einen typischen Tag der Feldarbeit in der Trocken- und Regenzeit. Sie wurde im Rahmen des IKAi-Projekts gesammelt. Die Karten bestehen aus schwebenden Tafeln mit Bildern und Text, die georeferenziert sind, sodass Sie den Weg der Forschenden verfolgen können. Je nach Internetverbindung kann es einige Zeit dauern, bis die Bilder geladen sind.
BMBF-Förderung der Digital Humanities
Mit der Förderrichtlinie (Bundesanzeiger vom 22.07.2019) fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) die theoretische, methodische und technische Weiterentwicklung der Digital Humanities. Mit interdisziplinären Herangehensweisen aus den Geisteswissenschaften, den Digital Humanities, der Informatik und den Ingenieurwissenschaften forschen die Projekte an unterschiedlichsten Fragestellungen aus den Bereichen Geschichte, Archäologie, Kulturanthropologie, Film, Musik, Sprache und Literatur.
Um neue Einsichten in die Wechselwirkungen zwischen Mensch, Tier und Umwelt zu gewinnen, begleitet das Forscherteam der Uni Köln indigene Experten bei ihren traditionellen Jagdzügen in verschiedenen Wüstenlandschaften.
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