Gläsernes Erbe des Nationalsozialismus: NS-Architekturmodelle digital

Rund 1.800 großformatige Glasnegative zeugen im Messbildarchiv des Brandenburgischen Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologischen Landesmuseums von den Plänen Albert Speers und anderer führender Architekten der NS-Zeit. Jahrzehntelang waren sie für die Einsichtnahme gesperrt.

Die Glasnegative zeigen Gebäude, zugehörige Pläne und Modelle sowie Zeichnungen verschiedener Bauprojekte des Nationalsozialismus aus der Zeit von 1937-44, die als Großauftrag Albert Speers (1905-1981) an die Staatliche Bildstelle Berlin entstanden sind. Die Aufnahmen dienen als Quellen und Belege für die megalomanen Planungen verschiedener Architekten im „Dritten Reich“. Die Mehrzahl der Platten hat ein Format von 24 x 30 cm, aus Gründen der Materialersparnis wurden in den 1940ern zunehmend kleinere Formate (18 x 24 und 13 x 18) verwendet. Ein Vermerk aus den 1940er Jahren „Aufnahmen: Auftrag Speer sind nicht nur für den Verkauf, sondern auch für die Einsichtnahme gesperrt! (Soweit sie nicht veröffentlicht sind.)“ legt nahe, dass Speer den dokumentarischen Wert als besonders hoch einschätzte und sich die gezielte Publikation des Bestandes selbst vorbehielt.

Seit 2018 arbeitet Dr. Katharina Steudtner daran, dieses kulturelle Erbe wissenschaftlich zu erforschen und zu erschließen. Das vom BMBF im Rahmen der Förderlinie eHeritage geförderte Projekt ‚NS-Architekturmodelle digital‘ eröffnet die Möglichkeit, bislang unbekannte Aufnahmen von Bauprojekten des NS-Regimes online zugänglich zu machen. „Von der Existenz der Glasnegative wussten zu DDR-Zeiten nur wenige, auch in der BRD entwickelte sich die Auseinandersetzung mit Bauten und Planungen aus der NS-Zeit sehr allmählich. Prof. Wolfgang Schäche sichtete die Aufnahmen kurz nach der Wende. Aber erst durch die Digitalisierung wird nun nach außen kommuniziert, dass das Messbildarchiv über einen solchen Bestand verfügt“, erläutert Steudtner. Umfassend aufbereitet, stehen die Aufnahmen im kommenden Jahr der Forschung zur Verfügung.

Aufnahme eines Architekturmodells, Planungen Generalbauinspektor Albert Speer, „Großen Platz“ Berlin

Aufnahme eines Architekturmodells, das die Planungen des Generalbauinspektors Albert Speer für den „Großen Platz“ nordwestlich des Brandenburger Tores aus der Zeit um 1940 zeigt. Herausragend hierbei die gigantische „Große Halle“, die mehr als 150.000 Menschen fassen sollte. Das Modell wurde in eigens hergerichteten Räumen im Reichstag gezeigt. Die Aufnahme der Berliner Staatlichen Bildstelle lässt die Aufstellung des Modells auf einem fahrbaren Gestell erahnen, der Hintergrund war mit einem schwarzen Vorhang abgedunkelt. Zur Vorbereitung einer späteren Publikation wurde auf der Glasnegativplatte ein Bildausschnitt abgeklebt. Rund um die Kuppel der Großen Halle sind deutliche Spuren einer Kratzretusche zu erkennen.

BLDAM, MBA

Aufnahme eines Architekturmodells mit der in der Zeit des Nationalsozialismus geplanten Erweiterung der Berliner Museumsinsel.

Aufnahme eines Architekturmodells mit der in der Zeit des Nationalsozialismus geplanten Erweiterung der Berliner Museumsinsel. Der Architekt Wilhelm Kreis entwarf am Nordufer der Spree ein Ensemble aus Ostasiatischem, Ägyptischem und Germanischem Museum (v. l.n.r.). Das Glasnegativ aus dem Messbildarchiv des Brandenburgischen Denkmalamtes zeigt lasurartige Retuschen innerhalb des gewählten Bildausschnitts, der damit für eine zukünftige Publikation vorbereitet wurde. Über diese starken, irreversiblen Eingriffe entstand eine von Generalbauinspektor Speer gewünschte Bildästhetik, die er im Sinne seiner baupolitischen Propaganda, u.a. in der Zeitschrift „Baukunst“, strategisch einzusetzen wusste.

BLDAM, MBA

Entwurf eines massiven Hauptgebäudes mit vorgesetzten Arkaden und einer zentral dominierenden Aula

Mit dem „Wettbewerb Hochschulstadt“ beabsichtigte der Generalbauinspektor Albert Speer die Konzentration aller Hochschuleinrichtungen einschließlich der Universitätsmedizin im Westen Berlins – und wollte zugleich Platz für die Achsenplanungen schaffen. An dem zweistufigen Wettbewerb, der 1937-1939 für das nahe der Havel, südlich von Heerstraße und Olympiastadion gelegene Gelände durchgeführt wurde, nahmen zahlreiche Planer aus dem näheren Umfeld Albert Speers teil – neben Wilhelm Kreis u.a. Paul Bonatz, Ernst Sagebiel und der inoffiziell zum Sieger erklärte Hanns Dustmann. Der Architekt Friedrich Tamms, von dem ein größeres Konvolut des Messbildarchivs des Brandenburgischen Landesdenkmalamtes weitere Planungen an der Nord-Süd-Achse, aber auch Brückenstudien und Typenentwürfe für Flakbunker zeigt, reichte den Entwurf eines massiven Hauptgebäudes mit vorgesetzten Arkaden und einer zentral dominierenden Aula ein.

BLDAM, MBA

Forschung analog und digital

Ein Projektziel besteht darin, die Digitalisate zusammen mit Metadaten und Kurztexten zu den verschiedenen Teilbeständen in einer Datenbank online zu stellen. Zudem entsteht eine Dokumentation zur architekturhistorischen, historischen und kulturpolitischen Bedeutung des Konvoluts. Ein Katalog und elf Essays geben – ausgehend von Teilbeständen – Einblicke beispielsweise in die Planungen der Reichshauptstadt „Germania“ mit der gigantischen „Großen Halle“, die Albert Speer nahe des Brandenburger Tores errichten wollte. Ebenso behandelt werden der weit weniger bekannte Wettbewerb Hochschulstadt Berlin-Charlottenburg sowie Werke von Architekten wie Paul Bonatz, Wilhelm Kreis und Friedrich Tamms, deren Aufnahmen sich in baupolitischen Propagandawerken der NS-Zeit wie der Zeitschrift „Baukunst“ wiederfinden.

„Ähnlich wie bei archäologischen Grabungen geht es bei unserer Forschung auch darum, was über die Motive hinaus zu entdecken ist, etwa ob und wie die Glasnegative retuschiert worden sind oder in welchem Kontext sie entstanden sind. Eigens dafür hat die Fotografin und Kunsthistorikerin Ulrike Kohl eine Untersuchung zu Foto- und Retuschetechniken an den Glasplatten durchgeführt, die erstaunliche Details ans Licht gebracht hat und die man an den Digitalisaten niemals hätte erkennen können“, erklärt Steudtner, die zuvor am Deutschen Archäologischen Institut (DAI) tätig war.

Wissensnetzwerk zur NS-Architektur

Um bisherige Forschungen einzubeziehen, zu systematisieren und zu verknüpfen, hat Steudtner – neben der Quellen- und Archivrecherche – mit WissenschaftlerInnen unterschiedlicher Disziplinen zusammengearbeitet, etwa aus den Archiv-, Geschichts- und Bildwissenschaften, insbesondere der Architekturgeschichte, aber auch aus der Architektursoziologie und Provenienzforschung. „Diese Kooperationen und die Verbindung von analogen und digitalen Techniken haben dazu geführt, dass wir neue Erkenntnisse zu den Aufnahmen an sich, zu den abgebildeten Inhalten und zu deren Kontexten gewinnen konnten“, fasst Steudtner zusammen, „Erkenntnisse, die demnächst weitere regionale und internationale Forschungen anregen, wenn nicht gar erst ermöglichen“.

Kurzinfo zum Projekt

Digitalisierung, Archivierung, Erschließung und Präsentation der Glasnegative von Modell- und Planunterlagen zu Architektur des NS-Staates (03/2018-12/2020, 01UG1884X)

Projektleitung: Astrid Mikoleietz M.A

Wissenschaftliche Bearbeitung: Dr. Katharina Steudtner

Förderlinie. „eHeritage“ (Bundesanzeiger vom 22.06.2016)

Laufzeit: 1. Januar 2018 bis 31. Dezember 2020

Hintergrund: Messbildarchiv (MBA) des Brandenburgischen Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologischen Landesmuseums


Das MBA umfasst Fotografien der Königlich Preußischen Messbildanstalt und der Staatlichen Bildstelle Berlin mit ca. 100.000 Aufnahmen aus der Zeit von 1880 bis 1945 auf zumeist großformatigen Glasnegativen aus empfindlichem Spiegelglas. Sie sind in ihrer historischen Bedeutung und in ihrem Nutzen für aktuelle Forschungen einzigartig. Seit ca. 1980 konnten sukzessive 25.000 von insgesamt 100.000 Glasnegativ-Platten des MBA aus der Zeit von 1880 bis 1945 erschlossen, sicherheitsverfilmt und digitalisiert werden, insbesondere die 20.000 ältesten. Das Projekt „NS-Architekturmodelle digital“ betrifft die Erfassung und Digitalisierung von 1.800 Glasplatten-Negativen von Planzeichnungen, Modellen, Bauten und ihrer Ausstattung aus der Zeit von 1937-1944, um sie möglichst schnell und umfassend der Forschung verfügbar zu machen.


Weitere Informationen zum Messbildarchiv (MBA) des Brandenburgischen Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologischen Landesmuseums

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