Projekt „Bilderfahrzeuge“ treibt Warburg-Forschung voran
Fünf bedeutende kunst- und kulturhistorische Institute in vier europäischen Ländern arbeiten seit 2013 im internationalen Forschungsverbund „Bilderfahrzeuge – Warburg’s Legacy and the Future of Iconology“ zusammen, gefördert vom BMBF – angelehnt an Aby Warburgs Konzept der „Bildwanderung“ erforschen sie die Formation, Transformation und Interaktion von Kulturräumen.
Er hat eine „Arena der Wissenschaften“ erschaffen, ein Zentrum der interdisziplinären Forschung und des weltweiten Austauschs der Geisteswissenschaften: Aby Warburg (1866-1929), ein deutsch-jüdischer Kunsthistoriker und Kulturwissenschaftler. 1903 begründete er die Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg in Hamburg, die heute in London beheimatet ist (siehe hier). Warburg hat das vielfältige Weiterleben der Antike in der europäischen Kultur anschaulich gemacht und damit unter anderem die Ikonografie als eigenständige Disziplin der Kunstwissenschaft etabliert. Im Jahr 1906 prägte er den Begriff ‚Bilderfahrzeuge’, mit dem er einer gerade Bildern innewohnenden Dynamik zu entsprechen suchte (siehe auch Dr. Steffen Haugs Text zur Geschichte des Begriffs), den er später auf alle beweglichen Bildträger ausgedehnt hat, auf Grafiken, Bücher und Handschriften (mehr dazu hier).
Seit 2013 fördert das BMBF das internationale kunsthistorische und kulturwissenschaftliche Verbundprojekt „Bilderfahrzeuge“ mit Hauptsitz am Warburg Institute in London. Getragen wird es von der Max Weber Stiftung (MWS), der Universität Hamburg/Warburg-Haus, der Humboldt-Universität zu Berlin sowie der Max-Planck-Gesellschaft, in Zusammenarbeit mit der Universität Basel. Das Board of Directors stetzt sich zusammen aus Andreas Beyer (Sprecher), Horst Bredekamp, Uwe Fleckner, Bill Sherman und Gerhard Wolf.
Ausgehend von Warburgs Metapher der „Bilderfahrzeuge“ erforschen Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen im Projektverbund, wie Medien die verschiedenen Kulturräume in ihren zeitlichen, räumlichen und in ihren bedeutungs- bzw. ideen-bezogenen Dimensionen „durchfahren“, genauer gesagt, wie Bilder, Formen und Ideen durch die verschiedenen Kulturen migrieren und sie somit verbinden. Damit werden Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft im europäischen Kulturraum verflochten – und weit darüber hinaus.
Zweite Laufzeit für internationalen Forschungsverbund „Bilderfahrzeuge“
Seit 2019 wird der Verbund für weitere fünf Jahre bis 2023 mit 6,3 Mio. Euro gefördert. In der zweiten Phase untersuchen internationale Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Migration von Bildern, Objekten, Ideen und Texten in transkultureller und diachroner Perspektive. Der Schwerpunkt der zweiten Phase liegt auf „Politische Ikonologie – Bilder als Akteure des Politischen“, „Globale Bilderfahrzeuge und mobiles Gedächtnis“ sowie „Kunst und Nation. Bilderfahrzeuge und Staatskultur“ (mehr dazu siehe hier). „Nicht erst in unserer Gegenwart betreffen Bilder alle Aspekte des Lebens, etwa die Unterhaltungsindustrie oder die politische Sphäre. Sie wirken sich insbesondere auf alle Bereiche des Wissens und der Forschung aus, über die sie daher auch in besonderer Weise Auskunft zu geben vermögen“, betont Projektkoordinator Johannes von Müller. Sich dessen wohl bewusst, beschäftigte sich bereits Aby Warburg ebenso mit Werken der sogenannten „Hochkunst“ wie auch mit der populären Bildkultur wie sie uns in der Werbung begegnet, in der Zeitungsfotografie oder auch in Form von Briefmarken.
Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses
Mit der Förderung des Projekts „Bilderfahrzeuge“ unterstützt das BMBF junge Geisteswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene. Es fördert ihren Weg in internationale Forschungszusammenhänge, erhöht ihre Mobilität und verbessert die Zusammenarbeit von Forschungseinrichtungen. Wie sich die Internationalität des Verbundes auf die Forschenden auswirkt, zeigen die beiden Kurzinterviews.
Wie ist es, in London zu forschen? Gibt es Unterschiede zu Deutschland?
Eine strukturelle Besonderheit des Forschungsverbundes ist, dass wir als zugehörige Wissenschaftler/innen auf vier Standorte in Berlin, Hamburg, Neu-Delhi und London verteilt sind. Insofern sind wir im Arbeitsalltag zwar räumlich und institutionell getrennt, können aber im Zuge unserer Arbeitstreffen die jeweiligen Forschungsinstitutionen vor Ort näher kennenlernen und nutzen. Vor allem das insgesamt breite und vielfältige Angebot Londons, in akademischer und kultureller Hinsicht, unterscheidet sich deutlich von Berlin oder Hamburg und birgt gerade deshalb besondere Möglichkeiten. Denn für uns als Kunsthistoriker/innen ist der Umgang mit den Objekten vor Ort in Archiven oder musealen Sammlungen sowie der internationale Austausch mit dem Fachkollegium notwendiger Bestandteil unserer wissenschaftlichen Tätigkeit.
Wie profitieren Sie und Ihre Forschung von der Internationalität des Verbundes?
Zusammen mit meinem Kollegen Yannis Hadjinicolaou arbeite ich im Hamburger Warburg-Haus, wobei die regelmäßigen Reisen zum Londoner Warburg Institute und an die Humboldt-Universität Berlin in jeder Hinsicht bereichernd sind. So verbinden wir unsere Arbeitstreffen an den drei Standorten immer auch mit gemeinsamen Aktivitäten – wie z.B. Museumsbesuchen vor Ort –, die den wissenschaftlichen Austausch in der Gruppe und unsere inhaltliche Diskussion, nicht zuletzt bezogen auf die jeweiligen eigenen Forschungsprojekte, wesentlich befördern.
Wie ist es, in London zu forschen? Gibt es Unterschiede zu Deutschland?
Der Standort London ist für meine Forschungen zentral, da sich hier der Nachlass des Hamburger Kulturwissenschaftlers Aby Warburg (1866-1929) befindet, dessen Arbeit zwischen Wort und Bild sowie Politik und Kunstgeschichte der Jahre 1914-20 ich derzeit untersuche. Sein Archiv wurde im Dezember 1933 mit der Emigration seiner Bibliothek nach London gerettet, und so ist die Forschung an diesem Ort grundsätzlich von der politischen Geschichte geprägt.
Die Forschung in London ist aber auch im Alltag sehr international, weit stärker als in Deutschland, was sich im Forschungsverbund, im Warburg Institute und in der Wissenschaft hier grundsätzlich spiegelt. Im Institut kommen Forscher aus dem englischsprachigen Raum, aus Italien – aufgrund des Forschungsschwerpunktes zur italienischen Renaissance –, aus Deutschland und zahlreichen weiteren Ländern zusammen. So gibt es einen intensiven Austausch – in den wöchentlichen Vorträgen wie in persönlichen Gesprächen –, in dem man neben den Themen und Methoden zugleich die verschiedenen Forschungstraditionen kennenlernt. An den Universitäten sind hier die Geisteswissenschaften stark international vertreten, was ich als sehr positiv empfinde.
Dass sich Großbritannien gerade politisch von Europa entfernt, ist in den Geisteswissenschaften glücklicherweise nicht zu spüren. Vielmehr stärken Projekte wie die „Bilderfahrzeuge“ gerade diesen kulturellen Austausch.
Wie profitieren Sie und Ihre Forschung von der Internationalität des Verbundes?
Die Internationalität des Verbundes bereichert meine Forschung sehr. Im Austausch mit den Kolleg/innen lerne ich über deren Projekte und Methoden, und zugleich geben sie mir Hinweise aus ihrer Perspektive, von Ideen bis zu internationaler Forschungsliteratur, die ich nicht kannte. Für das eigene Projekt stellt sich die Frage, was ist aus internationaler Perspektive daran interessant. Mit Warburgs Forschung zu den „Bilderfahrzeugen“, zum Austausch von Motiven zwischen den Kulturen, haben wir ein gemeinsames Thema. Durch die Internationalität des Verbundes wird es aber weit über Warburgs Perspektive hinaus erforscht, wir lernen über die Migration der Bilder in Asien, Persien, Lateinamerika oder Afrika. Ich selbst forsche zu Warburg, so dass ich die Entwicklung seiner Methoden und Gedanken untersuche. Von den anderen Kolleg/innen lerne ich aber, wie diese Ansätze in anderen Kulturkreisen heute neu angewendet werden, und das ist sehr anregend.
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