Verknüpfung des Wissens: Die hybride edition humboldt
Wie kein anderer hat Alexander von Humboldt das Verständnis von Natur und Kultur als komplexes System geprägt, in dem alles mit allem zusammenhängt. Gleiches gilt für die Erkenntnisse aus seinen Forschungsreisen. Diese Zusammenhänge deckt das Akademienvorhaben „Alexander von Humboldt auf Reisen – Wissenschaft aus der Bewegung“ auf und macht sie mit der hybriden edition humboldt zugänglich.
Der Berliner Natur- und Kulturforscher Alexander von Humboldt (1769–1859) unternahm ausgedehnte Forschungsreisen durch Europa, Amerika und Sibirien. Die Auswertung seiner hemisphärischen Reisen beschäftigt Humboldt über Jahrzehnte. Es entstehen umfangreiche Werke zu den amerikanischen Tropen und Zentralasien, Meilensteine der Forschung jener Zeit. Seine Erkenntnisse, etwa in der Botanik, Geografie, Meteorologie und Sozialforschung, hielt er in seinen einzigartigen Reisetagebüchern fest. Darin finden sich chronologische Expeditionsbeschreibungen, Messreihen, Literaturauszüge, wissenschaftliche Schlussfolgerungen sowie seine persönlichen Beobachtungen und Reflexionen. All das brachte er immer wieder miteinander in Verbindung, sein Leben lang. Auch im (Brief-)Austausch mit Wissenschaftlern auf der ganzen Welt mehrte er sein Wissen – und teilte es mit anderen Forschenden und auch der Öffentlichkeit.
Pionier der Open Science
„Humboldt war der Pionier der Open Science!“, betont Dr. Tobias Kraft, Arbeitsstellenleiter des Akademieprojekts „Alexander von Humboldt auf Reisen – Wissenschaft aus der Bewegung“ der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. „Humboldt hat in seinem Werk eine einzigartige Mischung aus Breite und Tiefe“, so Kraft, „Er erforscht die Phänomene und Gesetzmäßigkeiten der Natur und er beforscht den Menschen in seiner Sozial- und Kulturgeschichte. Beides – Natur und Kultur – stehen bei ihm in einem direkten Zusammenhang – dieser Zusammenhang interessiert ihn in den unterschiedlichsten Bereichen.“
In den Reisetagebüchern hielt Humboldt nicht nur seine Erkenntnisse fest, sondern hat sie ein Leben lang weiterentwickelt – darauf bezieht sich übrigens auch der Name des Akademieprojektes „Wissenschaft aus der Bewegung“. „Die Forschungsreisen waren die Voraussetzung dafür, dass ihm am Ende seines Lebens so ein Gesamtentwurf wie der ‚Kosmos – Entwurf einer physischen Weltbeschreibung‘ überhaupt möglich war. Darin unternahm er den Versuch, eine Weltwissenschaft zu begründen, die zwar nicht alles erklärt, aber die Phänomene der Welt miteinander in Verbindung bringt und sie der Welt zugänglich macht“, erläutert Kraft. Mehr als ein guter Grund, erstmals eine vollständige, historisch-kritische Edition des Quellenmaterials rund um Humboldts Reisen zu erarbeiten.
Reisemanuskripte in hybrider Edition
Seit 2015 entsteht im Rahmen des Akademieprojekts die edition humboldt, eine digitale und gedruckte Edition der Reisemanuskripte und Nachlass-Schriften zu Humboldts großen Forschungsreisen in Amerika und Asien. Dazu zählen Reisejournale, Tagebücher, Denkschriften, Publikationen in den bereisten Ländern und Regionen sowie Korrespondenzen. Im Zentrum der Edition stehen die Manuskripte sowohl der Amerikanischen Reisetagebücher (1799–1804) als auch der Russisch-Sibirischen Reisetagebücher (1829). Geleitet wird das Vorhaben mit einer Laufzeit von 18 Jahren von Projektleiter Prof. Dr. Ottmar Ette. Die Edition der Reisetagbücher wird elf Bände umfassen, die Edition der Themenschwerpunkte (siehe Kasten) aus Nachlass und Korrespondenz fünf Bände. Ganz im Sinne Humboldts ist der Zugang zu den Ergebnissen der Editionsforschung so offen und zugänglich wie möglich. Die edierten Quellen und ihre Kommentare erscheinen sowohl als Printausgaben als auch als digitale Edition im Netz, ohne Zugangsbeschränkung oder ‚Paywall‘.
Edition: Work in Progress
„Unser Konzept einer vernetzten Edition basiert auf dem Humboldt’schen Gedanken der Verknüpfung des Wissens, also darin, Dinge sinnvoll miteinander zu verbinden“, sagt Kraft, der zusammen mit seinem fünfköpfigen Forschungsteam die lange Tradition der Humboldtforschung ins digitale Zeitalter bringt und anschlussfähig macht. „Im Zuge der Digitalisierung ist die (Editions-)Wissenschaft in ständiger Bewegung. Auch die Erstellung der Datenbestände der edition humboldt digital ist ein fortlaufender Prozess, Tag für Tag wachsen Umfang und Genauigkeit der Daten. Jede digitale Ressource, die wir im Akademieprojekt erstellen, soll auf Dauer gestellt sein, nachhaltig, vorhaltbar, nachvollziehbar, bearbeitbar und zitierbar sein. „Deshalb folgen wir dem Prinzip ‚digital first‘“, erläutert Kraft. „Wir erstellen einen digitalen Code nach den Richtlinien der Text Encoding Initiative (TEI-XML).“ Mit dieser seit 1988 entwickelten Sprache für die formale Auszeichnung historischer Schriften können Quellen und Textsorten nach gemeinsamen Standards kodiert, verknüpft und weiterbearbeitet werden – und zwar weltweit mit digitalen Archiven, die dieselben Standards nutzen. Die Regeln dieser Kodierungssprache werden in einer internationalen Community ständig weiterentwickelt und dienen als Basis sowohl der digitalen als auch der gedruckten Edition (siehe auch Richtlinien der edition humboldt digital).
Digital erforschen
Die digitale Edition ist Plattform und Forschungsinstrument zugleich. „Sie setzt auf Vollständigkeit der Quellenwiedergabe und auf die weitest gehende Treue zum Dokument“, erklärt Kraft. „Der Mehrwert der digitalen Edition besteht darin, dass alles mit allem verbunden und online einsehbar und nachschlagbar ist.“ Reisetagebücher, Themen, Briefe, Chronologie und Register – wie viel diese digitale Edition zu bieten hat, muss man sich wirklich anschauen. Sie ist ausgestattet mit umfassenden Suchfunktionen und Verlinkungen. So ist das Register, etwa zu Personen, Orten und Pflanzen, an andere Datenbanken angebunden. Auch eine Chronologie der Lebensereignisse mit rund 1.600 Einzelereignissen ist dort zu finden, ebenfalls vernetzt mit dazugehörigen Quellen, um nur ein paar Highlights zu nennen. „All das versuchen wir, intelligent miteinander zu verknüpfen und aktuell zu halten“, berichtet Kraft. „Einmal im Jahr veröffentlichen wir eine neue digitale Lieferung, eine neue Version unserer Edition also, mit neu editierten Texten, die hier erstmals erscheinen. Seit der Version 8 haben wir auch eine Versionsgeschichte, die alle neu hinzugefügten Quellen und Entwicklungsschritte auflistet und dazu noch den Zuwachs an Forschungsdaten statistisch auswertet.“
In diesem Jahr erschien der digital erstmals 2018 als Beta-Version veröffentlichte erste Band der Amerikanischen Reisetagebücher Humboldts in einer umfassend überarbeiteten Version neu. Seite für Seite ist der edierte Text neben dem Faksimile der Original-Handschrift zu sehen. Und es gibt noch eine Besonderheit: Der Code ist jederzeit einsehbar und steht der Forschungscommunity mittlerweile als Rohdatensatz zum Download bereit. „Früher wäre das völlig undenkbar gewesen, jeder Forscher, jede Forscherin hätte das als geistigen Selbstmord betrachtet. Heute betrachten wir es als unsere Aufgabe, unser Wissen zu teilen“, erklärt Kraft.
Gedruckte Lesefassung
Was in der digitalen Edition bereits zu sehen ist, geht derzeit in den Druck: Der von Carmen Götz herausgegebene Band Von Spanien nach Cumaná (1799/1800) aus der edition humboldt print bietet erstmals die vollständige Edition von Band 1 der Amerikanischen Reisetagebücher in einer schön gestalteten, umfassend kommentierten Leseausgabe. Auch sie beruht auf dem Code, aber anders als in der digitalen Edition geht es in der Lesefassung nicht um die Vollständigkeit aller Materialien. „Die Lesefassung ist in klarer Linearität zu lesen. Sie gibt profunde Einblicke in aussagekräftige und größtenteils noch unveröffentlichte Zeugnisse, Briefe und Dokumente rund um Humboldts epochale Reiseprojekte.“ Der erste Band schildert Humboldts Weg von der Abreise in Spanien über den Besuch der Kanaren bis zur Landung in Cumaná (heute Venezuela) und den Aufenthalt dort (1799/1800). Mehr wird nicht verraten.
„Alexander von Humboldt auf Reisen – Wissenschaft aus der Bewegung“
Weiterführende Informationen zu Themenschwerpunkten
Die Themenschwerpunkte erschließen unveröffentlichte Schriften aus Humboldts Nachlass, vornehmlich aus den Beständen in Berlin und Krakau. Die Forschungen im Umfeld der Reisen dokumentieren Humboldts Lektüre- und Schreibpraktiken und zeigen, wie er weltweit Daten sammelte sowie Wissen und Gelehrte vernetzte.
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