Virtuell vereint: Buddhistische Höhlenmalereien der Kuča-Region
Sie erzählen Geschichten und bezeugen Geschichte, weit über ihren Entstehungsort hinaus: die buddhistischen Höhlenmalereien in der Kuča-Region der nördlichen Seidenstraße. Mit dem Projekt der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig werden sie erschlossen, dokumentiert und wissenschaftlich ausgewertet. Zahlreiche Malereien sind schon online zu sehen – in all ihren Details.
Kizil 224, Rekonstruktion, Museum für Asiatische Kunst, Nr. III 9189, Smithsonian American Art Museum, Nr. LTS 1985.1.325.15 und 16, Rest in situ.
SAW, Buddhistischen Höhlenmalereien in der Kuča-Region / Zhao Li
Über die Seidenstraßen gelangte der Buddhismus von Indien nach China, darunter auch ins tocharische Königreich Kuča, von dem man bis heute noch nicht allzu viel weiß. Die Hauptstadt des Reiches war zwischen dem 2. Jh. v. Chr. und dem 11. Jh. n. Chr. ein bedeutendes, multikulturelles Zentrum. Handelsgüter aus Gebieten zwischen dem Mittelmeerraum und dem Fernen Osten wurden hier ebenso ausgetauscht wie Ideen, Sprachen und Religionen.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts brachen Forschungsexpeditionen, darunter die deutschen „Turfan-Expeditionen“, in den Nordwesten Chinas auf, wo sie u. a. die buddhistischen Felsenklosteranlagen des Königreichs Kuča entdeckten. Dort, nahe der heutigen Stadt Kuqa (库车市), fanden sie Manuskripte und Artefakte der zuvor unbekannten Kultur der Tocharer und prachtvolle Wandmalereien aus dem 5. bis 10. Jahrhundert. Vieles davon nahmen sie in ihre Heimatländer mit.
Die Malereien der Kuča-Region erzählen vom Leben und Wirken des Buddha, sind aber auch Zeugen der religiösen und intellektuellen Geschichte des Buddhismus in Zentralasien. Die weltweit größte Sammlung von Gemäldefragmenten ist heute Teil des Museums für Asiatische Kunst in Berlin und wird seit September 2021 im Humboldt Forum ausgestellt (siehe Kasten).
Weltweit größtes Zentrum für die Erforschung der Kuča-Malereien
Prof. Dr. phil. habil. Monika Zin ist seit 2016 Arbeitsstellenleiterin des Akademievorhabens und Honorarprofessorin am Institut für Indologie und Zentralasienwissenschaften der Universität Leipzig.
Matthias Eimer
Seit 2016 baut die Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig – in Kooperation mit Forschenden aus Europa, China, Japan und den USA – das weltweit größte Zentrum für die Erforschung der Kuča-Malereien auf. „Wir arbeiten international und interdisziplinär. So gelingt es uns, alle Höhlenmalereien, also auch die Fragmente, die in Museen in aller Welt verteilt sind, für die religions-, kunst- und kulturwissenschaftliche Erforschung des Buddhismus und dessen Verbreitung nach Ostasien zu erschließen“, betont Prof. Dr. Monika Zin. Seit 2016 leitet sie die Arbeitsstelle des Akademievorhabens; zugleich ist sie Honorarprofessorin am Institut für Indologie und Zentralasienwissenschaften der Universität Leipzig.
Seither erfasst und erforscht das zwölfköpfige Forschungsteam in Leipzig sämtliche Malereien in einem digitalen Informationssystem. Eine annotierte Bibliographie der relevanten Literatur in europäischen Sprachen, Chinesisch, Japanisch und Koreanisch, bündelt zudem das bisherige Wissen und macht es für zukünftige Forschungsarbeiten nutzbar (siehe Kasten).
Das Projekt-Team: Dr. Ines Konczak-Nagel, Prof. Monika Zin, Olga Kienzler, Marion Frenger M.A., Robert Schulz M.A., Ji Ho Yi M.A., Fang Wang M.A., Robert Arlt M.A, Luca DeFabritiis M.A., Astrid Klein M.A., Dominika Klimaszewski M.A., Dr. Ulf Jäger, Dr. Erik Radisch (IT)
Ines Konczak-Nagel
Buddhismus in der Kuča-Region
Doch warum ist uns das heute so wichtig? Spätestens im 3. Jh. n. Chr. entwickelte sich der Buddhismus in Kuča zur vorherrschenden Religion. Etwa ab dem 5. Jh. entstanden zehn Klosteranlagen, die zu den schönsten in Zentralasien zählen und noch immer viele Rätsel aufgeben. Seit 2014 ist die größte und bekannteste Anlage, Kizil, Teil der UNESCO-Welterbestätte Seidenstraßen: das Straßennetzwerk des Chang'an-Tianshan-Korridors. Die Anlagen in den weichen Felsen umfassen allein in Kizil über 300 Höhlen; weitere finden sich in Kumtura, Simsim, Kizilgaha und anderen Fundorten. Sie dienten Mönchen als Meditations-, Wohn- und Versammlungsorte; die bemalten Höhlen waren Orte des Kultes für buddhistische Gemeinden aus benachbarten Ortschaften, aber auch für vorbeiziehende Karawanen. „Die Klöster waren von größter Bedeutung für den gelebten Buddhismus, wie zahlreiche Inschriften und Manuskripte zeigen. Säkulare Dokumente bezeugen, dass die Klöster in den Handel involviert waren“, erläutert Zin.
Die Sprache der Religion war Sanskrit; die Sprache der Klöster, der säkularen Verwaltung und der herrschenden Elite des Landes, deren Vertreter sich mit exquisiten Waffen und in den langen Mänteln der Reiter darstellen ließen, war Tocharisch, ebenso wie Sanskrit eine indogermanische Sprache. Die Kultur der Tocharer war iranisch geprägt, ihr Reich im Lauf der Zeit mehr oder weniger stark von China abhängig, ihre geistige Kultur aber war indisch.
Die Region erlebte in ihrer wechselhaften Geschichte Zeiten der Abhängigkeit von Tang-China und von Tibet. Selbst die seit dem 9. Jh. herrschenden Uiguren, so zeigen es die Malereien, führten die tocharische Kultur weiter.
Manuskripte und Gemälde als unschätzbare Quelle
Dr. Erik Radisch (IT), Fang Wang M.A., Dr. Ines Konczak-Nagel, Astrid Klein M.A., Prof. Monika Zin in den Räumen der Arbeitsstelle
Takayoshi Oshima
Kein Wunder, dass die Manuskripte eine wertvolle Quelle von Informationen über Religion und Alltagskultur der Tocharer und später der Uiguren sind. Gleiches gilt für die Malereien in den Kulthöhlen aus dem 5. bis 10. Jh., die etwa ein Drittel der Höhlen ausmachen. Sie zeigen Bildnisse von Buddhas, Bodhisatvas, Gottheiten oder Dämonen; die meisten Malereien haben narrativen Charakter. „Die Tocharer haben am traditionellen indischen Buddhismus festgehalten und ihn unabhängig von chinesischen Einflüssen bewahrt, vielleicht als Teil ihrer Identität“, betont Zin. „Das Repertoire der Geschichten, die in einer Höhle illustriert wurden, wurde mit der Zeit immer umfangreicher“, berichtet sie und hebt hervor: „Man sieht nicht nur die Personen, zu denen der Buddha spricht, sondern auch worüber“ (siehe Bildergalerie). Interessant ist auch, dass die Platzierung der Bilder einem festen Plan folgte und den Weg zur Erlösung darstellte (siehe Publikationen). Betrachtet man die filigranen Malereien heute, spürt man ihre Bedeutung – künstlerisch, historisch, aber auch spirituell.
Astrid Klein M.A., bei der Arbeit an der Analyse dekorativer Stoffmuster in den Malereien von Kuča
Takayoshi Oshima
Kizil: Höhlenanlage mit der Skulptur von Kumarajiva, einem aus Kuča stammenden, berühmten Mönch und Übersetzer buddhistischer Texte ins Chinesische
Ines Konczak-Nagel
Rothaarige tocharische Stifter Kizil Höhle 8, Höhle der 16 Schwertträger, Humboldt Forum, Berlin / Museum für Asiatische Kunst, Nr. III 8691.
Die Zeichnung von Albert Grünwedel, Leiter der deutschen Expeditionen, zeigt ein Fragment, das im 2. Weltkrieg in Berlin zerstört wurde. Die Szene gehört zu dem Bildzyklus um den Tod des Buddha, der in den hinteren Korridoren der Höhlen dargestellt wurde.
Der Buddha erzählt eine berühmte Parabel, die im Bild mit dargestellt ist: Eine Schildkröte kommt nur alle 100 Jahre an die Oberfläche des Ozeans, auf dem eine Holzplanke mit einem Loch treibt. So gering wie die Wahrscheinlichkeit, dass die Schildkröte durch das Loch in der Planke auftaucht, ist auch die Chance, als Mensch wiedergeboren zu werden.
Monika Zin, CC BY-NC-SA
Kizil 224, Zeichnung mit annotierten Erkennungsmerkmalen der Szene. Nur die Reste des Buddha in der Mitte sind heute in situ.; das rechte Fragment ist in Berlin. Die Fragmente links und unterhalb des Buddha befinden sich in Washington DC. Im Rahmen des Projekts konnte die originale Position aller Fragmente anhand der Beschreibung von Grünwedel und von Vergleichsdarstellungen mit den gleichen ikonographischen Elementen rekonstruiert werden.
Monika Zin, CC BY-NC-SA
Kizil 114, gut erhaltene Vergleichsdarstellung. Verehrung des Buddha durch die Brahmanen
Monika Zin, CC BY-NC-SA
Fliegende Gottheiten über dem Totenbett des Buddha im hinteren Teil der Höhle Kizil Höhle 8, Höhle der 16 Schwertträger, Humboldt Forum, Berlin / Museum für Asiatische Kunst, Nr. III 8642.
Das Akademieprojekt „Wissenschaftliche Bearbeitung der buddhistischen Höhlenmalereien in der Kuča-Region der nördlichen Seidenstraße“
Das Projekt an der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig erschließt die Malereien der Kulthöhlen inklusive der zahlreichen Fragmente, die die verschiedenen Expeditionen in ihre jeweiligen Heimatländer brachten, dokumentiert sie in einem datenbankgestützten Informationssystem und wertet sie wissenschaftlich aus. Erstmalig werden buddhistische Höhlenmalereien in ihrer Gesamtheit für die religions-, kunst- und kulturwissenschaftliche Erforschung des Buddhismus und dessen Verbreitung nach Ostasien zugänglich gemacht.
Insgesamt gibt es in der Kuča-Region zehn buddhistische Komplexe, in acht von ihnen haben sich bis heute Höhlen erhalten: 235 nummerierte Höhlen in der größten Anlage Kizil, 113 in Kumtura, 57 in Simsim, 52 in Kizilgaha, 44 in Mazabaha, ca. 30 in Touhulake’aiken, 18 in Taitaie’er und eine in A’ai. Ungefähr ein Drittel aller Höhlen enthalten Wandmalereien. Aus den Höhlen entnommene Malereifragmente befinden sich heute in 28 Museen der Welt. Welche Malereien wo zu finden sind, was in ihnen abgebildet wird, welche Bedeutung sie haben, welche Quellen es gibt, ob bereits Forscher über diese Malereien gearbeitet haben, alles das und mehr lässt sich schon in der Testversion des Kucha-Informationssystems entdecken.
Sehenswert: Humboldt Forum in Berlin
Seit September 2021 präsentiert das Humboldt Forum in Berlin in Zusammenarbeit mit internationalen Partnern und Mitgliedern der Herkunftsgesellschaften unterschiedliche Perspektiven auf die Kulturen der Welt. Ein Highlight ist das Modul „Turfan-Sammlung Zentralasien“ im Kuppelraum: Es zeigt die teilrekonstruierte „Höhle der 16 Schwertträger“ aus Kizil als Teil der buddhistischer Tempelanlagen des 5. bis 11. Jahrhunderts.
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