Was steht denn da? Inschriften entdecken und verstehen
Ob flüchtige Kritzelei oder kunstvoll in Stein gehauen – Inschriften sind eine einzigartige historische Quelle. Das Projekt „Die Deutschen Inschriften des Mittelalters und der Frühen Neuzeit“ zielt darauf ab, die Inschriftenüberlieferung in Deutschland und Österreich sowie Südtirol für Forschung und Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Mit zehn Forschungsstellen von sechs Mitgliedsakademien und der Österreichischen Akademie ist das Inschriftenprojekt das größte interakademische Vorhaben im Akademienprogramm. Gesammelt, ediert, kommentiert und übersetzt werden erhaltene und abschriftlich überlieferte Inschriftentexte, die im Zeitraum vom frühen Mittelalter bis 1650 entstanden sind. Publiziert werden sie in der Reihe „Die Deutschen Inschriften“ (DI). Über hundert Bände sind mittlerweile erschienen! Davon sind bereits rund 60 Bände digitalisiert und in einer durch zahlreiche Abbildungen erweiterten Fassung über das Portal „Deutsche Inschriften Online“ Open Access verfügbar; weitere sollen folgen.
Hoher Quellenwert der Inschriften
Inschriften sind eine hochrangige historische Quelle mit einer großen Vielfalt an Erscheinungsformen und Inhalten, die in engem Bezug zum jeweiligen Träger und der Entstehungssituation zu entschlüsseln sind. „Annähernd jeder materielle Gegenstand kann zum Inschriftenträger werden. Annähernd jeder Text kann zur Inschrift werden“, sagt Dr. Helga Giersiepen, die seit 1986 als wissenschaftliche Mitarbeiterin des Inschriften-Projekts tätig ist. Sie erfasst und ediert im Auftrag der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste zurzeit die mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Inschriften in Köln.
Aber was genau hat es mit den Inschriften auf sich? Was steht dort in oft schwer lesbarer Schrift, von wem stammen die Inschriften, was haben sie uns mitzuteilen und warum stehen sie gerade an diesem Platz? Darauf geben die Editionsbände Antworten, in denen die Inschriften der jeweiligen Region oder Stadt systematisch erfasst sind. Die reich bebilderten Publikationen enthalten einen chronologisch angeordneten Katalog, in dem die Träger beschrieben und die Inschriftentexte ediert und übersetzt werden. Im Kommentar findet man Angaben zur Schrift, philologischen Besonderheiten, zur Entstehung, zu beteiligten Personen, zum Inhalt der Inschrift und zu weiteren Fragen.
Authentische historische Zeugnisse
Inschriften sind Teil der Alltagskultur ihrer Zeit. „Ganz gleich, ob in Stein gemeißelt, in Metall gegossen, in Leder geprägt oder auf Glas oder Textilien gemalt – Inschriften finden sich fast überall, auf fast jedem Material. Mit Inschriften wollten unsere Vorfahren Bedeutsames festhalten“, sagt Giersiepen. „Sie legen Zeugnis ab vom Leben der Menschen im Mittelalter und der Frühen Neuzeit und das jenseits dessen, was uns Urkunden und Chroniken berichten“.
Man denke nur an Hausinschriften, die den Bewohnern und Bewohnerinnen Glück verheißen, oder Grabinschriften, die den christlichen Wunsch auf ein ewiges Leben in Frieden zum Ausdruck bringen. Inschriften berichten beispielsweise über Baubeginn und Baufortschritt von Gebäuden, über Zuwendungen von Stiftern und Stifterinnen und erinnern an die Taten und Leistungen von Verstorbenen, die wir sonst in keiner anderen historischen Quelle greifen können. Damit ergänzen und berichtigen Inschriften die Kenntnisse über die damalige Lebenswelt und helfen dabei, Geschichte zu rekonstruieren und lebendig zu halten.
Ab dem 14. Jahrhundert finden sich erst vereinzelt, dann immer häufiger Inschriften in deutscher Sprache. Dabei sind die Texte oft in der Sprachform (Nieder- oder Hochdeutsch) bzw. dem Dialekt abgefasst, die bzw. der damals in der betreffenden Region gesprochen wurde. Inschriften dokumentieren also regionale Unterschiede und die historische Entwicklung der Sprache.
Als authentische Zeugnisse vergangener Zeiten sind Inschriften nicht nur für historische, sondern auch für theologische, volkskundliche, kunsthistorische und philologische Fragestellungen eine unverzichtbare Quelle. Daher dient die Arbeit der Epigrafik – also die Inschriftenkunde – Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern verschiedener Fachrichtungen als Basis für weitere Forschungen. Zugleich wenden sich immer mehr interessierte Bürger und Bürgerinnen an die Arbeitsstellen oder an das Online-Portal, um mehr über Inschriften aus ihrer Heimatregion zu erfahren und sie zu verstehen.
Bedrohung des Kulturgutes durch Umwelteinflüsse
Doch diese wichtigen Spuren sind vergänglich: Sie verwittern, verfallen, werden durch Kriege oder Umbauten zerstört oder schlicht falsch aufbewahrt. Deshalb führen einige Forschungsstellen seit 1989 ergänzend zur wissenschaftlichen Edition eine möglichst vollständige Fotodokumentation der Inschriftendenkmäler durch. Damit lassen sich die Inschriften zumindest in ihrem derzeitigen Zustand festhalten und stehen in digitaler Form der künftigen Erschließung und epigrafischen Aufbereitung zur Verfügung. Auch damit wird ein wichtiger Beitrag zur Sicherung unseres Kulturguts geleistet. Man darf auf zukünftige Publikationen gespannt sein!
Projektinfo „Die Deutschen Inschriften des Mittelalters und der Frühen Neuzeit“
Das Projekt „Die Deutschen Inschriften des Mittelalters und der Frühen Neuzeit“ ist Teil des von Bund und Ländern geförderten Akademienprogramms, das die Union der deutschen Akademien der Wissenschaften koordiniert. Neben der wissenschaftlichen Edition arbeiten seit 2009 Forschende im Projekt „Deutsche Inschriften Online“ (DIO) daran, die Inschriftenbände zu digitalisieren und online zugänglich zu machen. Das DIO-Projekt wird von der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen und der Akademie der Wissenschaften und der Literatur | Mainz umgesetzt. Langfristiges Ziel des Projektes ist die Digitalisierung und Online-Bereitstellung der Inschriftenbände der gesamten DI-Reihe (mehr dazu unter http://www.inschriften.net/projekt.html#c564).
Digitale Akademie in Mainz
Mit der Digitalen Akademie hat die Akademie der Wissenschaften und der Literatur | Mainz seit 2009 eine anerkannte Forschungsabteilung für Digital Humanities etabliert, in der nicht nur die Digitalisierung, sondern insbesondere die darauf aufbauenden digitalen Forschungsmethoden und -technologien gebündelt werden. Mehr dazu unter: https://www.adwmainz.de/digitalitaet/digitale-akademie.html und auf Twitter https://twitter.com/digicademy
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