Wie Wörter wandern - Kleine Fächer erforschen alle Winkel unserer Welt
Die Erforschung von Lehnwörtern, alten Schriften oder deren Neuinterpretation schafft Wissen über unsere Vergangenheit. Und nur so können wir unsere Gegenwart verstehen und gestalten. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert in der Förderlinie „Kleine Fächer – große Potenziale“ Projekte, die in die Geschichte unserer Sprache blicken und dabei die Zukunft vor Augen haben.
Etymologisches Wörterbuch: Baltische Lehnwörter der ostseefinnischen Sprachen
Wie hat sich die finnische Sprache von der alten uralischen Muttersprache zum heutigen Finnisch entwickelt? Welche Faktoren haben ihre Entwicklung beeinflusst? Wann und woher kamen die Wörter in die finnische Sprache und welche Bedeutung haben sie? Diese und weitere Fragen erforscht Postdoktorand Santeri Junttila seit dem Wintersemester 2019/20 am Fennistik-Institut der Universität Greifswald im Rahmen seines Projekts „Baltische und ostseefinnische Sprachen im vorhistorischen Kontext“ (Projektdauer: 9/2019 bis 8/2022).
Junttila will ein grundlegendes Überblickswerk zu den Spuren vorhistorischer ostseefinnisch-baltischer Sprachkontakte im Wortschatz erarbeiten. „Diese Kontakte vor zwei- bis dreitausend Jahren haben uns eine Menge baltischer Lehnwörter in alle heutigen ostseefinnischen Sprachen (Finnisch, Karelisch, Wepsisch, Wotisch, Estnisch, Livisch und Südestnisch) gebracht. Diese Wörter werde ich in meinem etymologischen Wörterbuch behandeln“, betont Junttila, der Finnisch, Estnisch und Südestnisch spricht. „Die ostseefinnischen Sprachen sind so nah verwandt, dass ich die übrigen auch verstehe. Natürlich habe ich auch die baltischen Sprachen Lettisch, Lettgallisch und Litauisch studieren müssen, um die Kontakte mit ihnen zu erforschen.“
Noch heute gibt es etwa zwei- bis dreihundert baltische Lehnwörter. „Die Kontakte müssen lang und intensiv gewesen sein“, so Junttila, „dafür sprechen auch die Bedeutungen einzelner baltischer Entlehnungen, die menschliche Körperteile oder Familienmitglieder bezeichnen. Wahrscheinlich hat es also eine zweisprachige baltisch-urfinnische Sprechergemeinschaft gegeben“. Der Charakter des Lehnwortschatzes lässt wichtige Schlüsse auf die kulturgeschichtliche Entwicklung im östlichen Ostseeraum zu und hat u.a. zu einer genauen Neudatierung wichtiger Sprachkontakte geführt. Zudem ist es gelungen, ein hochentwickeltes Instrumentarium zur Erkennung von Lehnwörtern zu schaffen. Das nacheinander bearbeitete lexikalische Material wird über eine eigens gestaltete interaktive Plattform online zur Kommentierung bereitgestellt. Weitere Informationen findet man auf der Webseite der Universität Greifswald.
Buddhismusforschung: Dzogchen-Schriften des Gelehrten Nubchen
Auch Dr. Dylan Esler blickt in die Vergangenheit, genauer gesagt, in bislang unerforschte Texte des tibetischen Gelehrten Nubchen aus dem 10. Jahrhundert. Als Tibetologe und Übersetzer von tibetischen buddhistischen Texten arbeitet Dylan am Centrum für Religionswissenschaftliche Studien (CERES) der Ruhr-Universität Bochum. Dort leitet er das Projekt „Eine Untersuchung zur Herausbildung der Dzogchen-Tradition in den Kommentaren des tibetischen Gelehrten Nubchen Sangye Yeshe“. Diese bis heute weitgehend unerforschte Sammlung von Texten ist aufgrund seiner archaischen und sehr speziellen Terminologie nur wenigen Experten weltweit zugänglich. Dylan Esler ist einer von ihnen. Mit der philologischen Untersuchung dieser Textquellen ist es jetzt erstmals möglich, eine Grundlage für deren ideengeschichtliche Erschließung zu schaffen und sie einem Publikum außerhalb der tibetologischen Forschung zugänglich zu machen.
„In der Geistesgeschichte Tibets hat die philosophische und kontemplative Tradition des Dzogchens eine prägende Rolle gespielt. Ihre besondere Sichtweise, die das ungezwungene Nichtstreben und die bereits vorhandene innere Vollkommenheit hervorhebt, bot einen bereichernden Rahmen zur Interpretation der buddhistischen Lehre. Auch heute noch ist diese Tradition im tibetisch-sprechenden Raum lebendig“, erläutert Esler. Und nicht nur dort. „Seit der tibetische Buddhismus in den letzten Jahrzehnten in Europa, und unter anderem in Deutschland, bekannt geworden ist, erfreut sich auch die Dzogchen-Tradition, gerade wegen ihrer vermeintlich antirituellen Rhetorik und dem Charisma vieler ihrer Linienhalter, besonderer Beliebtheit. Dieses Interesse spiegelt sich in vielen Veröffentlichungen unterschiedlicher Qualität und in Praxiszentren wider, die nun Teil der interreligiösen Landschaft Europas sind“, so Esler. Um das Gedankengut dieser Tradition im Blick auf ihre frühe Entwicklungsphase (10. Jh.) und den dazugehörigen Abgrenzungsprozessen zu verstehen, ist ein religionswissenschaftlicher Ansatz von Vorteil. „Mein Ziel ist es auch, einige der bis jetzt unerforschten frühen Dzogchen-Kommentare aus dem Alttibetischen ins Englische zu übersetzen, um diese einem breiten Publikum zugänglich zu machen.“ So schlägt Esler mit seiner wissenschaftlichen Arbeit wichtige Brücken – von der Vergangenheit in unsere Gegenwart, von Tibet nach Europa. Weitere Informationen findet man auf der Webseite der Ruhr-Universität Bochum.
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