Gestatten, Digitales Familiennamenwörterbuch Deutschlands (DFD)

Müller, Nowak oder Schneekönig – in Deutschland gibt es mehr als eine Million Familiennamen. Aber woher kommen sie, was bedeuten sie und wo sind sie verbreitet? Das erfahren Sie hier im Interview mit der Namensforscherin Dr. Rita Heuser, Arbeitsstellenleiterin des Akademieprojektes „Das Digitale Familiennamenwörterbuch Deutschlands (DFD)“ der Akademie der Wissenschaften und der Literatur | Mainz.

Wortwolke mit einer Auswahl publizierter Namen

Wortwolke mit einer Auswahl publizierter Namen

DFD

Im Jahr 2012 haben Sie und Frau Prof. Damaris Nübling zusammen mit der Technischen Universität Darmstadt das weltweit erste Forschungsprojekt auf die Beine gestellt, das den aktuellen Familiennamenbestand eines Landes umfassend erschließt und sämtlichen Nutzerinnen und Nutzern online zugänglich macht. Wie kam es dazu, Frau Dr. Heuser?

Dr. Rita Heuser, Arbeitsstellenleiterin Mainz

Dr. Rita Heuser, Arbeitsstellenleiterin Mainz

privat

Das Interesse an der Bedeutung von Familiennamen ist groß. Allerdings musste man unendlich viel recherchieren, um herauszufinden, woher ein Familienname überhaupt kommt. Das haben wir bei einem Vorgängerprojekt zu Familiennamen am eigenen Leib erfahren. Die vorhandenen Familiennamenlexika enthielten maximal 70.000 verschiedene Namen – weniger als 10 Prozent der Gesamtzahl. Wir mussten also gleich mehrere Wörterbücher und andere Quellen konsultieren und stießen dabei immer wieder auf große Lücken und Ungenauigkeiten. Daraus ist der Wunsch entstanden, es aktueller und einfacher zu machen – mit dem Digitalen Familiennamenwörterbuch Deutschlands (DFD).

Gesagt, getan: Seit Herbst 2014 ist das DFD unter www.familiennamenwoerterbuch.de online. Und dort kann man leicht alles Wissenswerte zu Familiennamen nachschlagen?

Deutschland-Karte zur Verbeitung des Familiennamens "Eis"

Verbreitungskarte für den Familiennamen Eis (graphisch nachgearbeitet). Der Familienname Eis geht auf die Kurzform eines alten Rufnamens zurück, der das althochdeutsche, altsächsische Namenglied īsan (= Eisen) enthält, z. B. Eisenhardt, Eisoldt.

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Ja, genau. Im DFD kann man einfach den Namen eingeben und schauen, was er bedeutet, wie er entstanden ist und wo Menschen mit diesem Namen in Deutschland leben, nebst diversen Suchfunktionen, Verknüpfungen, Hintergrundinformationen und Glossar. Natürlich können wir nicht alle Familiennamen in Deutschland aufnehmen. Die Grundlage für unsere Datenbank ist das digitale Telefonbuch der Telekom aus dem Jahr 2005. Zu dieser Zeit hatten noch gut 90 Prozent der privaten Haushalte einen Festnetzanschluss, sodass wir viel über die regionale Verteilung der Namen erfahren konnten. Nach und nach erfassen wir den Grundbestand der derzeit in Deutschland vorkommenden Familiennamen inklusive der fremdsprachigen Namen. Wir schauen, welche Informationen es bereits in anderen Wörterbüchern gibt, führen sie zusammen und prüfen sie. Und bei den Namen, zu denen es keine Einträge gibt, und das sind recht viele, erstellen wir gänzlich neue Wörterbucheinträge. Derzeit sind 59321 Namenartikel veröffentlicht. Bis zum Ende der Projektlaufzeit im Jahr 2035 planen wir, rund 200.000 Nameneinträge zugänglich zu machen.

Alle zwei Wochen publizieren Sie 300 bis 400 Namensartikel. Wie gehen Sie dabei vor?

Wir haben uns ein ausgefeiltes System ausgedacht: Zunächst einmal gehen wir nach der Häufigkeit laut Telefonbuch. Müller, Meyer, Schmidt etc., also die häufigsten Namen, haben wir längst erarbeitet, in all ihren Variationen wie Meyr, Mayr. Parallel dazu untersuchen wir verwandte Namen einerseits nach thematischen Gesichtspunkten, zum Beispiel alle Berufsnamen, die sich auf das Schmiedehandwerk beziehen (Schmitt, Faber, Schmiedel, Pinkepank) und andererseits nach formalen Kriterien, wie etwa Komposita (Messerschmidt, Kleinschmidt, Schmidthuber). So können wir nach und nach eine schöne Mischung aus bekannten und eher seltenen Namen online stellen.

Inzwischen haben Sie mit Ihrem Team knapp 60.000 Namen ‚inventarisiert‘ – was fasziniert Sie persönlich an Familiennamen?

Deutschlandkarte Verbreitung Familienname "Schneeweiß"

Die Verbreitung des Familiennamens Schneeweiß um 1890 (bezieht sich auf sehr helle oder weiße Haar- oder Hautfarbe)

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Menschen, Tiere, Orte oder was auch immer – wir Menschen sind dazu veranlagt, alles zu benennen. Namen haben eine Funktion, sie machen unterscheidbar, stiften Identität – das gilt insbesondere für Familiennamen. Ursprünglich waren die Namen Beinamen, sie beschrieben eine Eigenschaft, Fähigkeit oder die Herkunft einer Person. Kennt man also die Bedeutung des eigenen Nachnamens, erfährt man so auch etwas über die Geschichte der Vorfahren. Allerdings haben sich Familiennamen und Wortbedeutungen im Lauf der Jahrhunderte oft so stark verändert, dass die Ursprünge eines Namens heute nicht mehr ohne weiteres zu erkennen sind. Und das herauszufinden, ist immer wieder aufs Neue faszinierend. Familiennamen geben Einblicke in die Zeit, in der sie entstanden sind: Mit den Familiennamen können wir sozusagen in die mittelalterliche Welt schauen.

Familiennamen Schneekönig

Der Familiennamen Schneekönig geht auf eine regionale Bezeichnung für den Zaunkönig zurück und kann für jemanden stehen, der munter und lebhaft oder von kleiner Statur war, also an den kleinen, flinken Vogel erinnerte.

Friederike Kreil/DFD

Familienname Frost

Der Familienname Frost erinnert an einen strengen Winter. Der erste Namenträger hatte entweder ein kaltes, abweisendes Wesen oder musste oft unter Kälte leiden.

Friederike Kreil/DFD

Kamen hierzulande die ersten Familiennamen tatsächlich schon im Mittelalter auf?

Richtig. Die Entstehung der deutschen Familiennamen reicht bis ins Mittelalter zurück, sie fand vorwiegend zwischen dem 13. bis 16. Jahrhundert statt. Es gab immer mehr Menschen, sie zogen in die Städte, machten Geschäfte. Daher gab es nicht nur einen Otto oder einen Müller im Ort, sondern gleich mehrere, die es zu unterscheiden galt. So bekam jeder zusätzlich einen Beinamen, der sich dann später zum Familiennamen verfestigte. In der Regel war dieser Beiname ein signifikantes Merkmal, das mit der Herkunft, dem Beruf, der Wohnstätte, aber auch dem Aussehen oder der Persönlichkeit zu tun hatte. Auch der Rufname des Vaters konnte zum Familiennamen der Kinder werden. Durch die zunehmende Schriftlichkeit im Mittelalter verfestigten sich die Familiennamen und wurden überliefert. Spätestens seit der Einführung der Standesämter im 19. Jahrhundert hatte jede Familie einen festen weitgehend unveränderlichen Namen. Natürlich kamen und kommen durch Migration immer wieder Familiennamen aus anderen Ländern hinzu, etwa aus Frankreich, Polen, der Türkei, Russland oder den Niederlanden. In eigenen Texten („Thematische Informationen“) erläutern wir auch Namensysteme anderer Länder, sodass unser Portal weit über den Tellerrand der deutschen Namen hinausgeht.

Inwiefern lohnt sich der Blick in vergangene Zeiten für die heutige Forschung?

Ansicht der neuen Projektwebsite, die 2023 online gehen wird

Ansicht der neuen Projektwebsite, die 2023 online gehen wird

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In vielerlei Hinsicht. Die Familiennamen konservieren sprachliches Material, kulturelle Gegebenheiten, das berufliche Spektrum in seiner ganzen Breite und geben wichtige Hinweise auf Siedlungs- und Migrationsbewegungen. Über die Namen erfahren wir zum Beispiel, wie differenziert man insbesondere in Deutschland die Berufe aufgefächert hat oder mit welchen Werkzeugen oder Materialien gearbeitet wurde.
Interessant sind Namen auch für die Erforschung der deutschen verschiedenen Dialekte: Familiennamen sind eine reichhaltige sprachliche Quelle für die Dialektlandschaft, die zur Zeit der Namenbildung existierte. Daneben kann man anhand der heutigen Verbreitung erkennen, wie die Namenlandschaft vor 500 Jahren ausgesehen hat. Trotz aller Mobilität und Globalisierung leben die Menschen zum größten Teil heute in derselben Region, wie ihre Vorfahren. Als Ausnahme müssen wir aber auch die großen Migrationsbewegungen berücksichtigen, die aber meist gut erkennbar sind. Das ist wirklich sehr erstaunlich!

Familiennamen sind also eine hervorragende Quelle für die Historische Sprachwissenschaft, zugleich auch für die Kulturanthropologie, die Mentalitätsforschung, die Religionswissenschaften sowie Siedlungs- und Migrationsforschung. Genau deshalb ist das Interesse an der Bedeutung, Verbreitung und Herkunft von Namen so groß, sowohl in der Wissenschaft als auch in der Öffentlichkeit. Und mit jedem Familiennamen bekommen wir ein differenzierteres Bild sowohl von vergangenen Zeiten als auch von der Gegenwart. Demnächst haben wir einen neuen Webauftritt, der sehr schön und noch umfassender wird, zum Beispiel mit historischen Karten, mit denen man anhand der Familiennamen Wanderbewegungen noch besser nachvollziehen kann.

Wir sind sehr gespannt und wünschen viel Erfolg! Herzlichen Dank für das Interview, liebe Frau Dr. Heuser!

Digitales Familiennamenwörterbuch Deutschlands (DFD)

Das Akademieprojekt „Digitales Familiennamenwörterbuch Deutschlands (DFD)“ erschließt den aktuellen Familiennamenbestand Deutschlands und stellt die Ergebnisse sämtlichen Nutzerinnen und Nutzern leicht zugänglich digital zur Verfügung. Das Langzeitvorhaben der Akademie der Wissenschaften und der Literatur | Mainz wird von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz in Kooperation mit der Technischen Universität Darmstadt durchgeführt.

Leitung: Prof. Dr. Damaris Nübling (Mainz) und Prof. Dr. Nina Janich (Darmstadt)

Arbeitsstellenleitung: Dr. Rita Heuser (Mainz) und Prof. Dr. Andrea Rapp (Darmstadt)

Laufzeit: 2012 bis 2035

Arbeitsschritte vom Beleg zum Online-Eintrag

Insgesamt sollen 200.000 Namen bearbeitet werden. Dabei sind für eine fundierte Namendeutung viele Arbeitsschritte erforderlich:
Zunächst werden sechs deutschsprachige Standardwerke (überregionale Familiennamenwörterbücher) konsultiert. Bei nichtdeutschen Namen werden entsprechende fremdsprachliche Standardwerke zu Rate gezogen.

Die so gewonnenen Ergebnisse werden zusammengefasst und, wenn nötig, kritisch bewertet.

Darüber hinaus ist eine Recherche in historischen Wörterbüchern, historischen Orts- und Rufnamenwörterbüchern, Dialekt- und Sachwörterbüchern sowie genealogischen Quellen nötig.

Ein Artikel wird nach dem Erstellen noch durch ein Redaktionsverfahren geprüft und anschließend publiziert.