20 Jahre Max Weber Stiftung – Deutsche Geisteswissenschaftliche Institute im Ausland (MWS)

Die Max Weber Stiftung – Deutsche Geisteswissenschaftliche Institute im Ausland (MWS) ist die einzige Einrichtung der Bundesrepublik, die Grundlagenforschung ausschließlich im Ausland betreibt. Worauf die MWS zu ihrem 20. Jubiläum stolz ist, erfahren Sie hier im Interview mit dem Präsidenten der Max Weber Stiftung Prof. Dr. Hans van Ess.

Herr Prof. van Ess, mit ihren elf Auslandsinstituten betreibt und fördert die MWS Spitzenforschung in den Geistes- und Sozialwissenschaften (GSW). Wenn Sie zurückblicken, worauf sind Sie besonders stolz? Bitte geben Sie uns ein Beispiel.

Prof. Dr. Hans van Ess

Prof. Dr. Hans van Ess ist seit 2015 Präsident der Max Weber Stiftung

Hans van Ess

Die MWS ist vor allem auf ihre wissenschaftlich autonomen Institute stolz, von denen sehr viele älter sind als zwanzig Jahre. So haben beispielsweise die Gründungen der Deutschen Historischen Institute in Frankreich und Großbritannien nach dem 2. Weltkrieg sicherlich zum Verständnis der jeweiligen Forschungsgemeinschaft mit derjenigen in Deutschland beigetragen. Diese Kooperationen stehen heute für einen engen wissenschaftlichen Austausch der grundsätzlich keine Grenzen kennen sollte. Da jede Generation ihre Geschichte neu liest, müssen wir uns immer wieder mit ihr auseinandersetzen und vor allem die Geschichte unserer Gesprächspartner in aller Welt genauso gut kennen wie unsere eigene. Nur auf dieser Grundlage kann Verständigung wirklich gelingen.
Persönlich freue ich mich, dass es uns gelungen ist, in dieser Zeit, die weltweit von politischen Schwierigkeiten und nicht zuletzt von der Corona-Pandemie gekennzeichnet ist, in China nicht nur den Aufbau einer kleinen Forschungsstation anzustoßen, sondern diese über eine Kooperation mit französischen und chinesischen Partnern vor Ort auch zu entwickeln.

Warum ist diese Brückenfunktion zwischen den Gastländern und Deutschland gerade in diesen Zeiten von so großer Bedeutung?

Es bereitet uns allen große Sorge, dass die Autonomie der Wissenschaft in vielen Teilen der Welt bedroht ist. Ein zentraler Auftrag der MWS ist es, Freiräume für den ungeschminkten Austausch wissenschaftlicher Expertise zu schaffen. Unsere Institute bieten den Rahmen für offene und kritische wissenschaftliche Auseinandersetzung. In Kooperation mit befreundeten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern definieren sie vor Ort relevante und spannende Themen, die für Stärkung und Ausbau bilateraler Wissenschaftsbeziehungen unverzichtbar sind.

In manchen Regionen ist es doch sicher schwierig, gegenseitiges Verständnis und Vertrauen aufzubauen und zu wahren. Wie kann das gelingen?

Kommunikation und Verständigung sind immer schwierig, auch oder gerade dann, wenn man sich dessen nicht bewusst ist. Der fortgesetzte Dialog, Offenheit, Neugier und Wertschätzung tragen dazu bei, belastbare Beziehungen selbst da aufzubauen, wo es auf den ersten Blick kaum möglich erscheint, und sie zum gegenseitigen Nutzen zu erhalten. Grundlage jeglicher Kommunikation ist ein Verständnis für die Sprache und Kultur des Anderen. Nicht umsonst haben einige unserer Institute in Ländern, über die man in Deutschland zu wenig weiß, Übersetzungsprogramme aufgelegt, die zentrale Werke der jeweiligen Disziplinen im Gastland bzw. in Deutschland in die jeweils andere Sprache übertragen. Schon für die Identifikation herausragender Werke bedarf es fachlicher und regionaler Expertise. In der fachkundigen Übersetzung stehen diese Publikationen dann einer breiteren Öffentlichkeit zur Verfügung und können auch grenzüberschreitend Wirkung entfalten.

Welche Forschungsfragen aus den GSW stehen derzeit verstärkt im Fokus?

Die MWS ist in den letzten Jahren inhaltlich stark gewachsen. Ein Beispiel dafür ist das gemeinsame vom BMBF geförderte Projekt „Wissen entgrenzen“, im Rahmen dessen fast alle Institute zusammen an Themen wie Mobilität, Wissen und Bildung gearbeitet haben. Durch die Erweiterung der Stiftung um die neuen Standorte in Indien, China und an der Westküste der USA sowie über die Kooperation des Deutsche Instituts für Japanstudien mit der National University in Singapur kann nun auch der geostrategisch immer wichtiger werdende pazifische Raum verstärkt Beachtung finden.

Wie führen Sie die Erkenntnisse und Perspektiven aus verschiedenen Weltregionen zusammen?

Die deutschen Auslandsinstitute tauschen sich regelmäßig aus. In der MWS-Strategie 2030 nennen wir das „Zusammenarbeit in und durch Vielfalt“, und vor allem mit dem Ziel einer „Vernetzung der Netzwerke“. In diese Netzwerke binden wir mittlerweile zahlreiche Partnereinrichtungen in Deutschland, unseren Gastgeberländern und darüber hinaus ein.
Ein gutes Beispiel dafür ist das gemeinsame Forschungsprojekt „Europäische Gegenbewegungen“ der MWS und des Hamburger Instituts für Sozialforschung, das euroskeptische Entwicklungen in Großbritannien, Italien, Polen und Deutschland seit dem 2. Weltkrieg untersucht.

Auch über die Frage der Entwicklung von klimarelevanter Politik haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der MWS-Institute in Washington und Moskau bereits gemeinsam gearbeitet. Im Austausch über ihre spezifische regionale Expertise konnten unsere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler neue Erkenntnisse gewinnen, die auch für Herangehensweisen in Europa relevant sind.

Welche Regionen, welche Themen sollten zukünftig stärkere Beachtung finden?

Die Welt ist in einem steten Wandel, der den Wissenschaftsstandort Deutschland und die von ihm ausgehenden Forschungen vor große Herausforderungen stellt. Bereits jetzt ist die MWS in zentralen Regionen verankert, doch wird sie auch darüber hinaus überall dort Kooperationen suchen und Netzwerke knüpfen, wo sich zentrale Fragen für die deutsche Wissenschaft aufdrängen. Dabei darf sie auch den direkten Kontakt mit wissenschaftlich wichtigen Regionen mit einer komplexen politischen Problemlage nicht scheuen. In diesem Sinne versteht sie sich als global player. Dieser Aufgabe wird sie nur gerecht, wenn sie alle Möglichkeiten der Digitalisierung nutzt, welche das Potenzial hat, Fragestellung der Geistes- und Sozialwissenschaften in einer Form anzugehen, wie dies in der Vergangenheit nicht möglich war.

Herzlichen Dank, Herr Prof. van Ess für die interessanten Einblicke!


(Das Interview erfolgte schriftlich am 23.09.2022)

Max Weber Stiftung – Deutsche Geisteswissenschaftliche Institute im Ausland

Die Max Weber Stiftung – Deutsche Geisteswissenschaftliche Institute im Ausland (MWS) fördert die Forschung mit Schwerpunkten auf den Gebieten der Geschichts-, Kultur-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften in ausgewählten Ländern und damit das gegenseitige Verständnis. Sie unterhält zurzeit weltweit elf Institute sowie weitere Forschungsgruppen und Büros. Durch eine unmittelbare Nähe zu den Forschungsgegenständen und im Austausch unterschiedlicher Perspektiven und Herangehensweisen bietet die MWS beste Voraussetzungen für exzellente grenzüberschreitende geistes- und sozialwissenschaftliche Forschung.
Das Verbundprojekt „Europas Gegenbewegungen. Euroskeptische Verflechtungen von den Anfängen der Europäischen Integration bis heute" der Max Weber Stiftung und des Hamburger Instituts für Sozialforschung wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) in der Förderlinie „Zusammenhalt in Europa“ gefördert.