Antisemitismusforschung: Verbundprojekt zur „Sammlung Wolfgang Haney”
Die „Sammlung Wolfgang Haney” umfasst 15.000 Zeugnisse des Antisemitismus und ist weltweit einzigartig. Das Verbundvorhaben des Zentrums für Antisemitismusforschung (ZfA) der Technischen Universität Berlin und des Deutschen Historischen Museums (DHM), Berlin, erforscht die Sammlung und macht sie Forschung und Öffentlichkeit zugänglich. Den Auftakt bildet eine Podiumsdiskussion am 16. Mai 2022.
In Erinnerung an die NS-Verfolgung seiner Familie hat Wolfgang Haney (1924‐2017) rund 15.000 Objekte zur Geschichte des Antisemitismus zusammengetragen. Darunter finden sich über 1.000 Bildpostkarten mit judenfeindlichen Motiven aus der Zeit um 1900, nebst antisemitischen Plakaten und Aufklebern sowie Fotografien zur Verfolgung der Juden während des Zweiten Weltkrieges. Auch Dokumente und Objekte zu fast allen NS-Lagern und NS-Ghettos sowie zur Aufarbeitung des Nationalsozialismus nach 1945 und vieles mehr sind in der Sammlung enthalten.
All diese Dinge zeigen, wie alltagsprägend antisemitische Bilder und Propaganda seit Mitte des 19. Jahrhunderts in Deutschland und anderen europäischen Ländern waren. Sie werfen aber auch Fragen zum Umgang mit diesen Zeugnissen in Ausstellungen und Sammlungen auf: Darf, soll, muss man antisemitische Objekte zeigen? Welche Wirkung haben Bilder und Objekte und welche kuratorische Kontextualisierung erfordern sie dadurch? Welche visuellen Fähigkeiten im Umgang mit Antisemitismus und Rassismus können und müssen wir schulen? Und sind Ausstellungen der richtige Weg dafür?
Podiumsdiskussion „Zeugnisse des Antisemitismus im Museum“
Zu diesem spannenden Thema findet am Montag, den 16.05.2022 um 18.30 Uhr, im Zeughauskino des Deutschen Historischen Museums in Berlin eine Podiumsdiskussion statt. Es diskutieren Hetty Berg, Direktorin des Jüdischen Museums Berlin, Dr. Anja Siegemund, Direktorin der Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum, und Prof. Dr. Liliane Weissberg, Literaturwissenschaftlerin an der University of Pennsylvania und Kuratorin u.a. der Ausstellung "Juden. Geld. Eine Vorstellung" am Jüdischen Museum Frankfurt.
„Die Veranstaltung wird grundsätzliche Fragen zum Umgang mit der verstörenden und immer noch wirksamen Bilderwelt des Antisemitismus aufwerfen.“, sagt Historiker Fritz Backhaus, Direktor der Sammlungen des Deutschen Historischen Museums in Berlin.
BMBF-Forschung zum Umgang mit Antisemitismus
Die Haney-Sammlung ist hoch relevant für die Erforschung von und den Umgang mit Antisemitismus in unserer Gesellschaft. Der Forschungsleiter Prof. Dr. Uffa Jensen hebt hervor: „Herr Haney, den ich noch persönlich kennenlernen konnte, hat die Sammlung zu dem Zweck angelegt, an die Verfolgung im Nationalsozialismus zu erinnern. Es war ihm auch stets wichtig, mit ihr Aufklärungsarbeit gegen Neonazismus und Antisemitismus zu betreiben“.
Dank der Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien und der Kulturstiftung der Länder hat das Deutsche Historische Museum die bedeutende „Sammlung Wolfgang Haney” erworben. Damit ist die Grundvoraussetzung geschaffen, dass die Sammlung als Ganzes bewahrt, gemeinsam erforscht und der Welt präsentiert werden kann.
BMBF-Forschungsvorhaben „Der Sammler und seine Dinge“
Das Forschungsvorhaben „Der Sammler und seine Dinge“ des ZfA an der TU Berlin und des DHM dreht sich sowohl um die Person des Sammlers als auch um die antisemitische Alltags- und Dinggeschichte der 15.000 Sammlungsobjekte. Die Grundlage bildet hierfür die vor rund zwei Jahren erworbene Sammlung, die am DHM konserviert, gesichtet und erfasst wird. Zudem bringt es seine Kompetenz in der Provenienzforschung ein. .
Das ZfA setzt hier zwei Projekte in seinem Teilprojekt ‚Wolfgang Haney als Sammlerpersönlichkeit‘ um. In einem Unterprojekt beschäftigt sich die Kunsthistorikerin Wiebke Hölzer mit Wolfgang Haney als Sammlerpersönlichkeit. Sie erforscht dabei die Biographie Haneys und fragt nach den Zielen, mit denen er seine Sammlung zusammenstellte und wie er mit ihr öffentlich wirken wollte. „Wir wissen recht gut Bescheid über die Motivation und Wirkung von Kunstsammlern und Kunstsammlerinnen. Aber diese Art des Sammelns ist noch sehr unbekannt, die ja stets auch eine Konfrontation mit den Gegenständen der eigenen Verfolgungsgeschichte ist. Nicht selten hieß das auch, mit diesen antisemitischen Dingen unter einem Dach zu leben.“
Wirkungsweisen des Antisemitismus verstehen
Die Historikerin Dr. Sylvia Karges geht am ZfA in einem zweiten Unterprojekt der Geschichte antisemitischer Alltagsobjekte auf den Grund, die sich in der Sammlung Haney finden lassen. Gerade diese antisemitischen Objekte sind sehr aufschlussreich, wie Professor Jensen beschreibt: „Antisemitischer Nippes stand in Wohnzimmern, man konnte antisemitische Sticker auf öffentliche Flächen verkleben und antisemitische Bildpostkarten als Urlaubsgruß versenden. Für die historische Forschung wird an solchen Dingen die Alltagsdimension des Antisemitismus auf eine bisher unbekannte Weise sichtbar“.
Das Verbundprojekt und damit die Verknüpfung dieser Alltagsobjekte mit der Geschichte ihrer Sammlung und – vor allem – ihres Sammlers widmet sich zeithistorischen Zeugnissen von gesellschaftlich aktueller, politischer Relevanz In einem Workshop mit nationalen und europäischen Experten und Expertinnen wollen die Verbundpartner neue Präsentationsformen entwickeln, um auf eine kritische und sensible Weise antisemitische Objekte auszustellen. „Die Präsentation solcher Dinge“, führt Jensen aus, „birgt ja immer die Gefahr, dass die antisemitischen Stereotype in der Ausstellung weiterwirken. Das gilt es zu verhindern“. Die Forschungserbnisse sollen dann in die Konzeption der neuen Dauerausstellung des DHM einfließen. Mit diesem Verbundprojekt entstehen auch neue innovative Kooperationsmöglichkeiten zwischen Forschung und Museen.
„Angesichts der aktuellen antisemitischen und allgemein rassistischen Bewegungen in Deutschland (und Europa) ist die Haney-Sammlung und ihre Ausstellung von großer gesellschaftlicher und politischer Bedeutung“, so Backhaus, „Nie war es wichtiger, sich der Wirkung alltäglicher antisemitischer Bilder und Propaganda bewusst zu werden und dagegen anzugehen“.
Das Zentrum für Antisemitismusforschung (ZfA)
Das 1982 gegründete ZfA an der TU Berlin betreibt interdisziplinäre Grundlagenforschung zum Antisemitismus in seinen vielfältigen Ursachen, Erscheinungsformen und Auswirkungen in Vergangenheit und Gegenwart und zählt zu den weltweit bedeutendsten Einrichtungen seiner Art. Mehr dazu lesen Sie hier.
Das Deutsche Historische Museum (DHM)
Das DHM in Berlin ist Deutschlands nationales Geschichtsmuseum und eines der größten Geschichtsmuseen der Welt. Es versteht sich als Ort zur Stärkung historischer Urteilskraft, an dem übergreifende philosophische, ethische und historische Fragen verhandelt werden. Mehr dazu lesen Sie hier.
BMBF-Förderlinie „Aktuelle Dynamiken und Herausforderungen des Antisemitismus“
Mit der am 7. April 2020 veröffentlichten Förderlinie in Höhe von 12 Millionen Euro stärkt das BMBF die Antisemitismusforschung in Deutschland und unterstützt zehn Forschungsverbünde mit 31 Teilvorhaben an Universitäten und außeruniversitären Einrichtungen. Mehr dazu lesen Sie hier.
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