Forschen für die Zukunft: Ab 2024 starten zwei neue Käte Hamburger Kollegs

Der Klimawandel bedroht unser aller Natur- und Kulturerbe. Globale Herausforderungen wie diese erfordern internationale, vergleichende und fachübergreifende Forschungsperspektiven. Ab 2024 nehmen zwei neue Käte Hamburger Kollegs ihre Arbeit auf: Sie erforschen Kulturerbe mit Blick auf global-gesellschaftliche Umwälzungsprozesse und analysieren kulturelle Praktiken der Reparation.

Solte-Gresser, Messling, Ehninger, Macdonald

v.l.n..r. Prof. Dr. Christiane Solte-Gresser & Prof. Dr. Markus Messling, Prof. Dr. Eva Ehninger, Dr. Sharon Macdonald

Solte-Gresser/Messing: privat; Ehninger: Boris Hars-Tschachotin, Liquid Blues Production; Macdonald: Alexander von Humboldt Stiftung/Sven Müller

Quicklinks:

Käte Hamburger Kolleg „Heritage in Transformation“ (InHerit)

Käte Hamburger Kolleg „Kulturelle Praktiken der Reparation“ (CURE)

Globalisierung, Recht, Religion, Arbeit oder Umwelt – mit den Käte Hamburger Kollegs eröffnet das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) bereits seit 2008 herausragenden Forscherpersönlichkeiten Freiräume für geisteswissenschaftliche Forschung zu vielfältigen gesellschaftlichen Themenbereichen. In den Kollegs arbeiten Geistes- und Sozialwissenschaftler/innen frei von vielen Verpflichtungen des Wissenschaftsalltags zu selbst gewählten Fragestellungen, gemeinsam mit Fellows aus aller Welt, die jeweils bis zu zwölf Monate nach Deutschland eingeladen werden.

Die beiden neuen Käte Hamburger Kollegs, die ab 2024 an der Humboldt-Universität zu Berlin sowie an der Universität des Saarlandes ihre Arbeit aufnehmen, befassen sich mit sozialen, kulturellen und (umwelt-)politischen Herausforderungen, die sowohl aus unterschiedlichen Disziplinen als auch aus internationalen Perspektiven beleuchtet werden.

Beide Kollegs verbindet die Frage, welche Rolle kulturelles Erbe für die globale Gesellschaft spielt. Dabei geht es nicht nur um materielles Kulturerbe, das zum Beispiel in Form von Ausstellungsobjekten in Museen identitätsstiftend wirken kann. Auch immaterielle Aspekte oder das Naturerbe werden betrachtet. So werden die Forschenden u.a. danach fragen, wie Gesellschaften weltweit mit der Zerstörung der Umwelt umgehen, mit umstrittenen Kulturgütern oder mit der Erinnerung an Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Damit werden sie nicht nur neue Perspektiven für gesellschaftliche Debatten liefern, sondern auch innovative Ansätze für die Geistes- und Sozialwissenschaften hervorbringen.

Käte Hamburger Kolleg „Heritage in Transformation“ (InHerit)

Was prägt eine Gesellschaft? Was macht Identität oder Differenz aus? Wie lassen sich Zugehörigkeit, Eigentum oder gar das Verhältnis von Geschichte, Gegenwart und Zukunft definieren? Um diese zentralen Fragen unserer Zeit dreht sich ab 2024 das Käte Hamburger Kolleg „Heritage in Transformation“ (InHerit). Es hat sich zum Ziel gesetzt, die Forschung im Bereich Kulturerbe bzw. Heritage Studies auf den Kopf zu stellen: Mit einer neuen Form der Heritage Studies will es geisteswissenschaftliche Perspektiven auf global-gesellschaftliche Umwälzungsprozesse in den Fokus rücken. Geleitet wird das InHerit-Kolleg von der Kunsthistorikerin Prof. Dr. Eva Ehninger und der Sozialanthropologin Prof. Dr. Sharon Macdonald, beide Professorinnen der Humboldt-Universität zu Berlin.

„Die Vorstellung von einem geteilten kulturellen Erbe formt das Selbstverständnis von Gesellschaften, sie ist verantwortlich für die Herausbildung von Identität und Differenz, sie unterstützt Gefühle von Zugehörigkeit oder Fremdheit“, so das Credo der Direktorinnen. „Unser Käte Hamburger Kolleg – InHerit (Heritage in Transformation) – stellt die Vorstellung von Geschichte, die man passiv „erbt,“ und die eindeutig bestimmt, wohin man gehört, auf den Kopf. Wir verstehen „Heritage“ stattdessen als eine Aktivität, die unterschiedlichste Prozesse und Akteure an weit verstreuten Orten einschließt, und die ständigem Wandel unterliegt“, so Ehninger, und nennt zwei aktuelle global-gesellschaftliche Transformationsprozesse, die die konventionelle Vorstellung von kulturellem Erbe grundlegend verändern: „Erstens, die Verschiebung des Westens beziehungsweise des Globalen Nordens aus dem Zentrum des Interesses, was Perspektiven auf andere Konzepte von Heritage eröffnet. Zweitens, und damit verbunden, das erstarkende Interesse an den Verflechtungen von Kultur- und Naturerbe, und an der aktiven Rolle, die Natur in der Ausformung kulturellen Erbes spielt. Indem wir die entscheidenden Transformationsprozesse der Gegenwart in den Fokus unseres Kollegs stellen, leisten wir einen wichtigen Beitrag zu einer vielfältigen und lebendigen Zukunft“.

Dafür ist das Format des Käte Hamburger Kollegs bestens geeignet: Es führt internationale Fellows zusammen, die zu unterschiedlichsten Heritage-Praktiken forschen. „Ihre spezifische fachliche und geographische Expertise bildet die Basis für eine interdisziplinäre Neuorientierung der Heritage-Forschung vor dem Hintergrund der genannten dezentrierenden Umwälzungsprozesse, die unsere Gegenwart und Zukunft bestimmen. Aus der gemeinsamen, interdisziplinären Forschung werden innovative Fragestellungen und Zugänge entwickelt, die wiederum in die jeweiligen wissenschaftlichen Heimatkontexte der Gastwissenschaftler:innen einfließen und so die internationale Weiterentwicklung des Forschungsfeldes massiv vorantreiben“, erläutert Maconald.

Zudem ist das Format des Käte Hamburger Kollegs darauf ausgerichtet, den Wissensaustausch zwischen Wissenschaft und Gesellschaft zu stärken. Dafür bietet sich das Thema ‚Heritage‘ an, so die Direktorinnen: „Es wird intensiv von der Öffentlichkeit begleitet, es ist relevant, anschlussfähig und erlaubt den lebendigen Austausch. Die Forschungsergebnisse des Kollegs werden in experimentellen, künstlerischen Formaten aufbereitet und öffentlich gemacht. Die kontinuierliche Auswertung dieser Formate unterstützt die weitere Forschungsarbeit des Kollegs.“

Dieser dezidiert transdisziplinäre, praxisorientierte Ansatz, in dessen Mittelpunkt die Geisteswissenschaften stehen, adressiert drängende soziale, kulturelle und (umwelt-)politische Herausforderungen und greift damit die Kernidee des BMBF-Rahmenprogramms „Gesellschaft verstehen – Zukunft gestalten“ auf. Das gilt gleichermaßen für das zweite Käte Hamburger Kolleg, das 2024 seine Arbeit aufnimmt.

Eva Ehninger

Prof. Dr. Eva Ehninger, Direktorin des Käte Hamburger Kolleg "Heritage in Transformation" (InHerit):
"Im englischen Begriff ‚Heritage‘ steckt nicht lediglich ‚Kulturerbe‘, sondern auch das ‚natürliche‘, ‚intellektuelle‘, oder ‚genetische Erbe‘. Unser transdisziplinär und praxisorientiert ausgerichtetes Kolleg wird die Wechselwirkungen dieser unterschiedlichen Facetten erforschen. Wir untersuchen die sozialen, politischen, kulturellen, juristischen, technischen, ökonomischen und ökologischen Prozesse, denen Heritage unterworfen ist. Und wir suchen im Rahmen unserer Forschung nach innovativen wissenschaftlichen, kuratorischen und künstlerischen Formaten des Wissensaustauschs, die den Wandel von Heritage selbst vorantreiben. Konstruktion und Reflexion von Heritage greifen ineinander. Durch diese doppelte methodische Neuausrichtung geisteswissenschaftlicher Forschung wird eine neue Generation kritischer, transdisziplinärer und praxisorientierter Heritage-Forschung ausgebildet".

Boris Hars-Tschachotin, Liquid Blues Production

Prof. Dr. Sharon Macdonald

Prof. Dr. Sharon Macdonald, Direktorin des Käte Hamburger Kolleg "Heritage in Transformation" (InHerit):
"Unser Kolleg ‚Heritage in Transformation‘ (InHerit) entwickelt einen eigenständigen geisteswissenschaftlichen Forschungsbereich, um grundlegende und hochaktuelle gesellschaftliche Transformationsprozesse zu erforschen. Es hat Modellcharakter für eine praxisorientierte, selbstreflexive und im offenen Dialog entwickelte geisteswissenschaftliche Forschung und wird einen entscheidenden Beitrag zur Neujustierung des Verhältnisses von Gesellschaft, Geschichte, Kultur und Natur leisten".

Alexander von Humboldt Stiftung/Sven Müller

Käte Hamburger Kolleg „Kulturelle Praktiken der Reparation“ (CURE)

„Die große Zukunftsaufgabe Europas ist die Neugestaltung seiner kulturellen, politischen und ökologischen Verhältnisse zur Welt“, sagt Prof. Dr. Markus Messling, der zusammen mit Prof. Dr. Christiane Solte-Gresser das neue Käte Hamburger Kolleg „Kulturelle Praktiken der Reparation“ (CURE) leitet. Er führt aus: „Diese Zukunft kann nicht mehr schlicht auf Fortschritt und einen größeren Einsatz von Ressourcen bauen, sondern muss wesentlich in reparativen Prozessen entstehen. Aufgrund der Möglichkeit, weltweit herausragende Fellows einzuladen, erlaubt das Käte Hamburger Kolleg wie kein anderes Format, diese Prozesse in einem internationalen und disziplinenüberschreitenden Kontext zu erforschen. Im Kern geht es dabei um die Frage, wie kulturelle Reparationsprozesse unsere Weltwahrnehmung, Selbstentwürfe und Lebensformen verändern.“

Das neue Käte Hamburger Kolleg an der Universität des Saarlandes widmet sich daher der Analyse kultureller Praktiken der Reparation in historischer, transnationaler und transmedialer Perspektive. Ausgangsfragen sind: Was ist Reparation? In welchem Verhältnis stehen Reparationen zum Problem der Irreparabilität? Wie werden Reparationen kulturell verhandelt und wie verändern kulturelle Reparationsprozesse Weltwahrnehmung, Selbstentwürfe und Lebensformen?

Das Käte Hamburger Kolleg CURE bearbeitet seine Thematik in drei Programmschwerpunkten:

Im Bereich „Geschichte“ geht es um Erinnerungskulturen und geschichtspolitische Diskurse (z.B. Imperialismus, Genozide, Weltkriege) und um die Vermittlung verschiedener Opfer- und Täternarrative. Der Bereich „Erfahrung" widmet sich individuellen Erfahrungen von Verlust und Beschädigung (wie Entfremdung, Demütigung und Traumatisierung). Hier soll die Entstehung neuer Formen von Subjektivität und Gemeinschaftlichkeit diskutiert werden. Der Bereich „Natur" beschäftigt sich mit kulturökologischen Fragen (Anthropozän, Artensterben, Erderwärmung). Im Mittelpunkt stehen hier eine kritische Reflexion des westlichen Naturverständnisses und eine erkenntnistheoretische Neuverortung des Menschen in der Natur.

„Wir möchten vor allem herausfinden, in welchem Verhältnis Reparationen zu dem stehen, was nicht wieder gutzumachen ist – etwa im Falle von Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, hebt Prof. Solte-Gresser hervor und erläutert: „Unsere Arbeit steht daher in produktiver Spannung zu Völkerrecht, Ökonomie, Politikwissenschaft, Soziologie oder Technologie, die sich vorrangig kompensatorischen Lösungen widmen. Kulturelle Praktiken können dagegen die fragmentarischen und verdrängten Aspekte bearbeiten – etwa in Literatur, Theater Filmen und Serien, den bildenden Künsten und Ausstellungspraktiken, aber auch in (Sprach-)Ritualen und öffentlichen Diskursstilen.“

Das Kolleg möchte mit seiner Forschung einen Beitrag zur Neuausrichtung der Kulturwissenschaften leisten und Wissen über individuelle und kollektive Reparationsprozesse in einer globalisierten Welt schaffen, das für ein zukünftiges Zusammenleben grundlegend ist.

Prof. Dr. Markus Messling

Prof. Dr. Markus Messling, Direktor des Käte Hamburger Kollegs „Kulturelle Praktiken der Reparation“ (CURE):
"Die große Zukunftsaufgabe Europas ist die Neugestaltung seiner kulturellen, politischen und ökologischen Verhältnisse zur Welt. Diese Zukunft kann nicht mehr schlicht auf Fortschritt und einen größeren Einsatz von Ressourcen bauen, sondern muss wesentlich in reparativen Prozessen entstehen. Aufgrund der Möglichkeit, weltweit herausragende Fellows einzuladen, erlaubt das KHK wie kein anderes Format, diese Prozesse in einem internationalen, die Disziplinen querenden Kontext zu erforschen. Im Kern geht es dabei um die Frage, wie kulturelle Reparationsprozesse unsere Weltwahrnehmung, Selbstentwürfe und Lebensformen verändern."

privat

Prof. Dr. Christiane Solte-Gresser

Prof. Dr. Christiane Solte-Gresser, Direktorin des Käte Hamburger Kollegs „Kulturelle Praktiken der Reparation“ (CURE):
"Wir möchten vor allem herausfinden, in welchem Verhältnis Reparationen zu dem stehen, was nicht wieder gutzumachen ist – etwa im Falle von Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Unsere Arbeit steht daher in produktiver Spannung zu Völkerrecht, Ökonomie, Politikwissenschaft, Soziologie oder Technologie, die sich vorrangig kompensatorischen Lösungen widmen. Kulturelle Praktiken können dagegen die fragmentarischen und verdrängten Aspekte bearbeiten – etwa in Literatur, Theater Filmen und Serien, den bildenden Künsten und Ausstellungspraktiken, aber auch in (Sprach-)Ritualen und öffentlichen Diskursstilen."

privat

Käte Hamburger Kollegs

Die Käte Hamburger Kollegs geben herausragenden Geisteswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern an deutschen Universitäten bzw. Hochschulen die Möglichkeit,

• eine international sichtbare und wirksame Schwerpunktbildung der deutschen Geisteswissenschaften an den Universitäten bzw. Hochschulen voranzutreiben und die Verbindungen zu ausländischen Forschungsschwerpunkten und exzellenten Einrichtungen zu stärken,

• durch weitgehende Freistellung von universitären Verpflichtungen wissenschaftlichen Freiraum für exzellente Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu gewinnen, um selbstgewählte Forschungsfragen entwickeln und ihnen nachgehen zu können,

• eine Lerngemeinschaft zu bilden, die durch die systematische Konfrontation mit anderen Wissenskulturen die eigenen Selbstverständlichkeiten auf den Prüfstand stellt,

• internationale Fachkolleginnen und -kollegen in ihre Forschungsarbeiten an deutschen Universitäten bzw. Hochschulen einzubeziehen,

• die geisteswissenschaftlichen Methoden – auch vergleichender, interdisziplinärer und transdisziplinärer Forschung – weiterzuentwickeln,

• Graduierte nach der Dissertation (Postdocs) an internationale Spitzenforschung heranzuführen und in Netzwerke zu integrieren.


Quelle und weitere Informationen