Interview: Forschungsprojekt "Zwischen Erinnerungskultur und Antisemitismus. Selbstbeschreibung und Erfahrung jüdischer Filmschaffender (ZEuA_SuEjF)"
Dr. Lea Wohl von Haselberg forscht und schreibt zu deutsch-jüdischen Themen und Erinnerungskultur. Seit Oktober 2017 arbeitet sie an einem Forschungsprojekt zu Arbeitsbiographien jüdischer Filmschaffender in der BRD an der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF. Ihr Projekt wird durch das Programm „Kleine Fächer – Große Potenziale“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert.
Frau Wohl von Haselberg, mit ihrer Arbeit setzen Sie sich intensiv mit der ‚filmischen‘ Nachgeschichte von Nationalsozialismus und Shoah auseinander. Was ist Ihre Motivation?
Mich interessiert die audiovisuelle Erinnerung an die Shoah – welche Bilder wir uns von dem machen, was zu Recht als „undarstellbar“ bezeichnet wurde und wie sich Gegenwart mit den jeweiligen Fragen darin spiegelt. Insgesamt finde ich die gesellschaftliche Selbstverständigung über den „Umweg“ von Geschichte und Erinnerung sehr interessant. Mein aktuelles Forschungsprojekt dreht sich um jüdische Filmschaffende, die in der Bundesrepublik gearbeitet haben. Sie machen per se keine „jüdischen“ Filme, und doch ist ihre Erfahrung von ihrem Jüdisch sein geprägt. Das lässt auch ihre Filme nicht unberührt.
In Ihrem Forschungsprojekt analysieren Sie anhand exemplarischer Biographien 40 Jahre Filmgeschichte. Was ist bisher Ihre wichtigste Erkenntnis?
Geschichte wird immer aus der Gegenwart geschrieben. Es ist immer wieder spannend zu sehen, wie viele Aspekte von Geschichte, in diesem Fall Filmgeschichte, noch nicht geschrieben sind. Jüdische Filmgeschichte ist zu Unrecht stark auf die Shoah verengt. Es ist aber auch interessant, dass gerade jetzt diese Fragen in den Fokus rücken können und mehr Aufmerksamkeit erfahren.
Für Ihre Forschungen haben Sie größtenteils bislang nicht eingesehene Quellen genutzt, mit Nachfahren gesprochen. Was hat Sie überrascht?
Mein stärkster Eindruck sind die Brüche und Widersprüche, die alle (Arbeits-)Biografien aufweisen. Dies zeigt, wie stark Biografien und öffentliche Wahrnehmung dazu neigen, Menschen festzuschreiben. Am meisten überrascht hat mich vielleicht, wie wenig man das Schaffen eines Filmemachers oder einer Filmemacherin einschätzen kann, ohne die nichtrealisierten Filmprojekte, die an unterschiedlichsten Widerständen gescheitert sind.
Wie sehen Sie jüngste Entwicklungen?
Wenn Sie die zunehmend enthemmt und offen nationalistisch, rassistischen und antisemitischen Diskurse und die rechte Gewalt meinen, mit großer Besorgnis, aber auch in ihren historischen Kontinuitäten.
Was haben Sie als nächstes vor?
Da wir gerade über die politische Situation gesprochen haben: Ich sehe eine große Notwendigkeit, sich als Wissenschaftlerin in gesellschaftspolitische Debatten einzubringen, wissenschaftliche Ergebnisse und Perspektiven gesellschaftlich anschlussfähig zu machen, aber auch immer polarisierter geführte Debatten (wieder) komplexer zu machen.
Wissenschaftlich gesprochen würde ich mich künftig gern mit der Distribution und Rezeption von jüdischem Film im Rahmen von Festivals befassen – die Frage, was eigentlich als „jüdisch“ gesehen und verstanden wird, scheint ja durchaus ziemlich aktuell.
Frau Wohl von Haselberg, besten Dank für das Gespräch!
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