Wissenschaftsfestival „Globe21 #BorderCrossingSolidarities“: Interview mit ReCentGlobe-Sprecher Prof. Dr. Matthias Middell über das neue Format
Was für eine Premiere: Corona bedingt hat das Leipziger Forschungszentrum ReCentGlobe das ursprünglich analog geplante Wissenschaftsfestival „Globe21 #BorderCrossingSolidarities“ virtuell ausgerichtet – und das sehr erfolgreich. Wie das gelingen konnte, erläutert Prof. Matthias Middell, Professor für Kulturgeschichte und ReCentGlobe-Sprecher an der Universität Leipzig.
Herr Professor Middell, unter dem Motto „Grenzüberschreitende Solidaritäten“ hat ReCentGlobe das erste von drei geisteswissenschaftlichen BMBF-Wissenschaftsfestivals ausgerichtet. Was hat zum Gelingen des Festivals entscheidend beigetragen?
Ein wichtiger Baustein war sicherlich, dass wir uns schon in der Antragsphase mit der hybriden Durchführung des Festivals beschäftigt haben. Dass es –bis auf den Abschlusstag – ein rein digitales Festival werden würde, hat uns und unseren Kooperationspartnerinnen und -partnern dennoch einiges an technischer, kuratorischer und konzeptioneller Flexibilität abverlangt. Ein kompetentes Festivalteam um Roman Krawielicki und Justus Wenke hier in Leipzig hat das mit breiter Unterstützung unserer Kolleginnen und Kollegen aus den Merian Zentren, der Max-Weber-Stiftung, dem Netzwerk der Mitglieder des Vereins CrossArea, dem Centre Marc Bloch und vielen weiteren Einrichtungen jedoch bravourös gemeistert.
Das Festival drehte sich um die Frage, warum globaler Zusammenhalt und grenzüberschreitende Solidaritäten und Kooperationen notwendig sind und welche Formen sie in Zukunft annehmen sollten, aber auch, vor welchen Herausforderungen sie stehen. Welche Debatten haben Sie beeindruckt/ und sollten fortgeführt werden?
Die Festivalbeiträge haben gezeigt, dass die Zeit der Solidarität gerade neu beginnt. Wir wollten einen Impuls setzen, dies nicht nur bewusst zu machen, sondern auch den verwirrenden und komplexen Charakter dieser neuen Zeit zu verdeutlichen: Zusammenhalt – schon gar nicht grenzüberschreitender – ist ohne gedankliche und moralische Anstrengung nicht zu haben. Unsere Diskussionen führten immer wieder zu drei wichtigen Erkenntnissen: Zum einen gibt es heute mehr Anerkennungskämpfe als früher (für so viele scheinbare Minderheiten), deren Chancen, gewonnen zu werden, davon abhängen, ob man sich auseinanderdividieren lässt oder zusammensteht. Darüber hinaus finden viele soziale Verwerfungen nicht primär zwischen weit auseinanderliegenden Kontinenten und Weltregionen statt, sondern vor Ort, innerhalb von massiv miteinander verflochtenen Gesellschaften – unseren und anderen. Und schließlich: Wir alle sind zur Solidarität verdammt, wenn wir den Wettlauf mit dem Klimawandel nicht krachend verlieren wollen – nur auf die anderen Emissionsverursacher zu zeigen, reduziert jedenfalls den CO2-Ausstoß nicht.
Einen besonders wichtigen Moment gab es bei einem Podium zu den Erfahrungen der Merian-Zentren in der Pandemie. Dort resümierte eine Kollegin aus Accra in Ghana, diese Pandemie hätte auch etwas Gutes, indem sie das Vertrauen in eine Digitalisierung befördert, die nun auch denen, die lange peripher waren und nicht gehört wurden, eine über große Distanzen hörbare Stimme gibt. Gerade in Afrika hätte man gute Gründe, über die Folgen der Pandemie zu stöhnen, aber eben von dort hören wir optimistische Töne. Und das hat sehr viel mit unserem Thema zu tun: Solidarität gilt den Unterprivilegierten, aber diese sind nicht schwach, sondern sie verschaffen sich Gehör und ermöglichen dadurch eine neue Art der Solidarität, eine informierte, die an den Bedürfnisse der Partner:innen ansetzt und nicht besser weiß, was diese brauchen könnten.
GLOBE-Talks und Dialoge, Pod- und Videocasts, aber auch Filmscreenings mit Gesprächsformaten – GLOBE21 nutzt zahlreiche Formate der Wissenschaftskommunikation. Wie war die Resonanz/Welche Formate kommen besonders gut an?
Durch die verschiedenen Plattformen, die vielen involvierten Partner:innen und die Ausdehnung des Festivals auf sechs Wochen waren exakte Zahlen gar nicht so leicht zu ermitteln. Grob überschlagen verzeichneten wir rund 10.000 Besucher:innen, die meisten davon über YouTube, Zoom und Soundcloud – und dies trotz des Sommerwetters und spürbarer Digitalmüdigkeit nach langen Monaten des Lockdowns. Ein besonders wichtiger Faktor war daher auch die Verfügbarkeit vieler Veranstaltungen on demand: Dadurch konnten Veranstaltungen in den Tagen nach dem Live-Event ihre Besuchszahlen mitunter vervielfachen.
Auch die Resonanz zu den Formaten war sehr unterschiedlich: Ein von Studierenden für das Festival konzipierter Podcast zur Verankerung von Solidaritätserfahrungen in der städtischen Erinnerungskultur verzeichnete in wenigen Stunden über 500 Aufrufe. Eine Podiumsdiskussion zum Erbe des Maoismus in China verfolgten ca. 300 Menschen. Das Kurzvortragsformat Globe-Talk konnte mit „Herrenlosem Eigentum“ ebenso punkten wie mit der Frage, „wozu Frieden“ gut ist. Auch die Filmscreenings, die verbunden waren mit einem Aufeinandertreffen von Filmschaffenden und Forschenden, funktionieren in der Regel sehr gut, sogar so gut, dass wir mittlerweile unsere wunderbare Zusammenarbeit mit dem Fernsehsender ARTE verstetigt haben.
GLOBE21 ist als jährlich wiederkehrendes Festival in Leipzig konzipiert. Auch das Globe21-Portal bleibt weiterhin online. Was wünschen Sie sich für Globe22?
Auch wenn vieles im digitalen Raum gut gelungen ist, würden wir gern auch einmal Festivalatmosphäre mit Live-Publikum ausprobieren. Globe21 war uns auch ein Ansporn, beim nächsten Mal noch kreativere Austragungsformate und -orte zu finden: Das Festival wird in Leipzig vor Ort sein und in mehreren Städten auf verschiedenen Kontinenten kleine Events anbieten – zugleich bleibt es natürlich online für alle zugänglich. All die Erfahrungen von 2021 wollen wir nutzen, um die Idee des Wissenschaftsfestivals dauerhaft weiter zu entwickeln.
Das BMBF-„Metavorhaben Geistes- und Sozialwissenschaften“
Mit dem Rahmenprogramm „Gesellschaft verstehen – Zukunft gestalten“ (2019 - 2025) entwickelt das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) ein breites Spektrum an Maßnahmen zur Förderung der Geistes- und Sozialwissenschaften. Im „Metavorhaben Geistes- und Sozialwissenschaften“ fördert das BMBF drei Wissenschaftsfestivals, um die Geistes- und Sozialwissenschaften und ihr Arbeitsspektrum in der Öffentlichkeit bekannter zu machen. Die Festivals richten sich an die breite Öffentlichkeit sowie an die Wissenschaft insgesamt und speziell die Geistes- und Sozialwissenschaften.
Leipzig Research Centre Global Dynamics
Das Leipzig Research Centre Global Dynamics (ReCentGlobe) ist eine zentrale Einrichtung der Universität Leipzig. ReCentGlobe widmet sich in einer breiten interdisziplinären Kooperation der Untersuchung von Globalisierungsprojekten in Vergangenheit und Gegenwart. Am Zentrum arbeiten mehr als 250 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verschiedener Fakultäten und Fächer in Verbünden und bei der Aus- und Weiterbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses in der Graduate School Global and Area Studies zusammen. Das Zentrum verfügt über mehrere Labs für weltweite Kooperationen, Digital Humanities, Wissenschaftskommunikation und Wissenstransfer (mehr dazu hier).
Das FGZ, das am 1. Juni 2020 seine Arbeit aufgenommen hat, ist ein vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördertes Institut, das die interdisziplinäre geistes- und sozialwissenschaftliche Forschung zum gesellschaftlichen Zusammenhalt über 11 Standorte hinweg bündelt und vorantreibt. Im engen Wechselspiel von Grundlagenforschung und Transferformaten widmet es sich den zahlreichen Dimensionen des Gesellschaftlichen Zusammenhalts – angefangen von der Untersuchung von Faktoren, die gesellschaftlichen Zusammenhalt beeinflussen bis hin zur historischen wie globalen Varianz in Verständnis und Ausprägung gesellschaftlichen Zusammenhalts. Mehr zum FGZ finden Sie hier. Am FGZ Leipzig, das Teil des Leipzig Research Centre Global Dynamics ist, untersucht eine interdisziplinäre Forschungsgruppe aus etwa 30 Wissenschaftler:innen in 14 Projekten u.a. die Vielfalt populistischer Bewegungen und Regimes sowie ihre Akzeptanz in den Bevölkerungen seit dem späten 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart (mehr dazu hier).
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