Gesamtgesellschaftliche Aufgabe: Bedrohte Demokratieprojekte wappnen und resilient machen
Beschimpfungen, Verunglimpfungen, Anfeindungen bis hin zu Gewalt – Menschen, die sich zivilgesellschaftlich für Demokratie engagieren, sind häufig Bedrohungen ausgesetzt. Wie gehen sie damit um, und was ist zu tun? Das Team des BMBF geförderten-Projekts „BEWARE: Bedrohte Demokratieprojekte wappnen und resilient machen“ hat neue Erkenntnisse.
79 % der Befragten haben schon gewaltbezogene Bedrohungen erlebt, 8 % haben sogar bereits Todesdrohungen erhalten. Hatten Sie mit einem solchen Ergebnis gerechnet?
Dass engagierte Personen dem Risiko von Angriffen ausgesetzt sind, ist leider keine Überraschung. Die extreme Rechte zeichnet sich seit jeher durch eine ideologische und handlungspraktische Gewalt aus, die sich in ihrer Intensität wellenförmig zeigt. Bereits die sogenannten „Baseballschlägerjahre“ Anfang der 90er waren eine Hochphase der Gewalt gegen subkulturelle, vor allem linke (oder als links markierte) Jugendliche, die sich gegen den Rechtsextremismus engagierten, zum Teil erst aus den Gewalterfahrungen heraus. Aktuell kommt als Rahmung eine parlamentarische Kraft hinzu, die gezielt und strategisch versucht, gegen die zivilgesellschaftliche Demokratiearbeit vorzugehen. Gerade im lokalen Raum macht diese Partei Stimmung gegen Akteure der Demokratiearbeit. Hinzu kommt, dass sie zunehmend Teile der Bevölkerung hinter sich weiß. Das bleibt mancherorts nicht folgenlos: Bedroher:innen können sich ermutigt fühlen. 79 % der Teilnehmer:innen unserer BEWARE Online-Studie haben gewaltbezogene Bedrohung erlebt, davon 57 % in den letzten 12 Monaten vor dem Befragungszeitpunkt. Hier konnten wir über 500 Personen befragen, die sich aktivistisch, ehrenamtlich in Bürgerinitiativen oder hauptamtlich in der Demokratiearbeit engagieren.
Was sind „typische“ Bedrohungen?
Gewaltförmige Angriffe wie Beschimpfungen (online oder offline), Sachbeschädigung oder gar körperliche Angriffe sind eine wichtige Dimension von Bedrohungen. Sie sind aber nicht die einzige Form von Bedrohung. Aus dem bisherigen Forschungsstand und der 20 qualitativen Interviews mit Demokratieakteuren, die wir führen konnten, kristallisieren sich drei weitere Dimensionen von Bedrohungen heraus. Neben den schon erwähnten gewaltförmigen Angriffen, spielen politische Interventionen eine wichtige Rolle. Befragte empfinden etwa die Infragestellung der Finanzierung von Demokratiearbeit, oder juristische Mittel als bedrohlich. Es werde über diese Wege auch versucht, Person zu delegitimieren und damit nicht nur deren Engagement für Demokratie infrage zu stellen, sondern auch ihr Recht auf Schutz. Dies müssen insbesondere Praxisakteure erleben, die als „links(extrem)“ markiert werden. 71 Prozent der beruflich und 56 Prozent der aktivistisch Engagierten geben an, schon einmal von politischen Interventionen betroffen gewesen zu sein. Diese haben an Intensität, Reichweite und Wirkmacht zugenommen. Darüber hinaus benennen die von uns Befragten das Erstarken der extremen Rechten bei einem gleichzeitigen Mangel an Solidarität mit der Demokratiearbeit als bedrohlich. Diese Form eines gesellschaftspolitischen Bedrohungsszenariums bezieht sich hier nicht nur auf die eigene Person oder das persönliche Umfeld, sondern auf die demokratische Gesellschaft als Ganzes, allen voran auf die Demokratiearbeit als Handlungsfeld. Die vierte Dimension ist die Bedrohungserwartung. Hier wird das eigentliche Wesen von Bedrohung deutlich, nämlich die Erwartung eines schlimmen Ereignisses, das bereits das Denken und Handeln beeinflusst.
Bedrohungsdimensionen Projekt BEWARE
Gewaltbezogene Angriffe
Strafbare und nicht-strafbare Interventionen, die von den Betroffenen als (potentielle) Gefährdungen der persönlichen körperlichen Integrität wahrgenommen werden. Beispiele: Körperverletzungen, Beleidigungen, Veröffentlichungen, Raumnahmen, Störungen
Politische Interventionen
Einflussnahmen, die der Delegitimierung der Betroffenen und der Selbstlegitimierung der Ausübenden dienen und im Kontext einer politisch-strategischen Gesamtausrichtung gewertet werden. Beispiele: Politische Markierung (als „links(extrem)“), Infragestellung der Professionalität, Diskreditierung, Behinderung, Negierung, Entpolitisierung der Arbeit
Gesellschaftspolitisches Bedrohungsszenario
Wahrnehmung eines sich verändernden gesellschaftlichen Klimas, in dem demokratische Prämissen zunehmend in Frage gestellt werden. Beispiele: das Erstarken der Extremen Rechten, Mangelnde Solidarisierung mit und unsichere Bedingungen von Demokratiearbeit, Verunsichernde gesellschaftliche Verhältnisse
Bedrohungserwartung
Einschätzung eines erhöhten Risikos von Angriffen auf das private Leben, die Demokratiearbeit und die demokratische Gesellschaft
Wie wappnet man sich dagegen? Und welche Bedarfe haben Sie festgestellt?
Viele Engagierte verfügen über Kompetenzen und Strategien im Umgang mit gewaltbezogenen Bedrohungen, im Aktivismus ebenso wie in der lohngebundenen Demokratiearbeit. In Bezug auf politische Interventionen braucht es hingegen einen intensiveren, zielgerichteten Austausch zur Strategieentwicklung zwischen Trägern, Projekten, Gruppen und Bündnissen.
Bemerkenswert ist bei all dem: Ein Großteil (71%) der von uns Befragten nimmt Bedrohungen trotz aller Besorgnis auch als Ermutigung und Ansporn für weiteres Engagement. Deutlich wird jedoch auch - egal, wie stark sich Betroffenen versuchen zu schützen oder wie kompetent sie im Umgang mit Bedrohungen sind - die Entstehungs- und Rahmenbedingungen von Angriffen können nur gesamtgesellschaftlich verändert werden. Ein wichtiger Schritt wäre aus unserer Sicht, Strategien extrem rechter Akteure, die den Diskurs auch schleichend verändern, zu erkennen und zu durchbrechen. Zu diesen Strategien gehört beispielsweise die Markierung der Arbeit für die Demokratie als „links(extrem)“ und die Anrufung einer vermeintlichen politischen Neutralität. Demokratiearbeit benötigt unterstützende Positionierungen von Verantwortlichen in Politik, Kommunen und Förderprogrammen, von Verbänden und lokalen Unternehmen. Es müssen Bedingungen geschaffen werden, die es einer kritischen Zivilgesellschaft ermöglicht, ihre Haltungen, Perspektiven und Einschätzungen zu formulieren, ohne um gewährte Solidarität oder ihre Existenz zu bangen.
Besten Dank für Ihre Forschungen!
(Das Interview erfolgte schriftlich am 11. November 2024, Fragen: Katrin Schlotter)
Das BMBF-geförderte Projekt
Das Projekt „BEWARE: Bedrohte Demokratieprojekte wappnen und resilient machen“ wird durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung in der Förderlinie „Aktuelle und historische Dynamiken von Rechtsextremismus und Rassismus“ gefördert (Projektlaufzeit 2023-2024) und durch das Institut „SO.CON – Social Concepts für Forschung und Entwicklung in der Sozialen Arbeit“ der Hochschule Niederrhein umgesetzt.
Wir bitten um Ihre Mithilfe!
Um diese Website bestmöglich an Ihrem Bedarf auszurichten, nutzen wir Cookies und den Webanalysedienst Matomo, der uns zeigt, welche Seiten besonders oft besucht werden. Ihr Besuch wird von der Webanalyse derzeit nicht erfasst. Sie können uns aber helfen, indem Sie hier entscheiden, dass Ihr Besuch auf unseren Seiten anonymisiert mitgezählt werden darf. Die Webanalyse verbessert unsere Möglichkeiten, unseren Internetauftritt im Sinne unserer Nutzerinnen und Nutzer weiter zu optimieren. Es werden keine Daten an Dritte weitergegeben. Weitere Informationen hierzu finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.