Kleines Fach Jiddisch: Forschungsprojekt zu jiddischen Dialekten
Mit der Förderlinie „Kleine Fächer – Große Potenziale“ unterstützt das BMBF bis 2022 etwa 60 exzellente NachwuchswissenschaftlerInnen aus den Kleinen Fächern. Eine davon ist Dr. Lea Schäfer. Ihr Projekt „Syntax ostjiddischer Dialekte / Syntax of Eastern Yiddish Dialects (SEYD)“ beschreibt und untersucht die Grammatik der ostjiddischen Dialekte unmittelbar vor beziehungsweise nach der Shoah.
„Dialekte sind natürliche Sprachen, die mündlich muttersprachlich erworben werden. Für SprachwissenschaftlerInnen sind sie von besonderem Interesse. Denn sie sind eine besonders unverfälschte Quelle dafür, wie Menschen (sprachlich) konzeptionalisieren, also letztlich wie Menschen Sachverhalte und Vorgänge mental abbilden und strukturieren“, erläutert Projektleiterin Schäfer, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Jüdische Studien an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.
Aber wo wurde welcher Dialekt gesprochen? Was macht diesen Dialekt in grammatikalischer Hinsicht aus? Wie verändern sich Dialekte? Die räumliche Variation der Dialekte spiegelt historische und soziale Vernetzungen wieder: Sprechergruppen, die über einen langen Zeitraum miteinander kommunizieren, bilden eigene sprachliche Strukturen heraus und beginnen sich von Gruppen zu unterscheiden, mit denen sie nicht gesprochen haben. All das lässt sich mit Dialektkarten nachvollziehen, sie liefern Einblicke in die historischen Entwicklungen von einzelnen Sprechergruppen.
Jiddisch als vitale und innovative Sprache
Das Besondere am Jiddischen ist, dass es die Sprache einer klar definierten Sprechergruppe ist: Jüdinnen und Juden mit Wurzeln in Zentraleuropa. Dabei ist Jiddisch ursprünglich aus dem von Jüdinnen und Juden gesprochenen deutschen Dialekten des Mittelalters und der Frühen Neuzeit entstanden.
Mit der Vertreibung und Abwanderung dieser Sprechergruppe in den slawischen Sprachraum entstanden ab ca. 1700 zwei Hauptdialekte: das im deutschsprachigen Raum gesprochene Westjiddisch und das durch den Kontakt zu slawischen (insbesondere polnischen) Dialekten geprägte Ostjiddisch. Während die westjiddischen Dialekte im Zuge der Standardisierung des Deutschen im 19. und 20. Jahrhundert aufgegeben wurden, erstarkte das Selbstbewusstsein der OstjiddischsprecherInnen im späten 19. Jahrhundert, und es entstanden Bestrebungen, die Sprache zu kodifizieren und standardisieren.
„Seit der Shoah wird Jiddisch vor allem in ultraorthodoxen jüdischen Gemeinden muttersprachlich erworben. Hier sind es vor allem die alten ostjiddischen Dialekte, die von der Standardsprache vernachlässigt werden, die in den neuen Sprechergruppen und Sprachkontakten (insbesondere zum Englischen und modernen Hebräischen) ganz neue Dialekte entstehen lassen. Jiddisch ist gerade hier alles andere als eine tote Sprache, sondern eine sehr vitale und innovative“, betont die Linguistin. Daher gilt es sie zu erforschen.
SEYD-Projekt erschließt ostjiddische Dialekte
Ihr BMBF-Projekt „Syntax ostjiddischer Dialekte / Syntax of Eastern Yiddish Dialects (SEYD)“ beschreibt und untersucht die Grammatik der ostjiddischen Dialekte unmittelbar vor bzw. nach der Schoah. Es basiert auf Dialekterhebungen des Projekts Language and Culture Archive of Ashkenazic Jewry(LCAAJ), das von 1959–1972 unter der Leitung des Linguisten Uriel Weinreichs an der Columbia University of New York durchgeführt wurde. Dieses Material umfasst 5.700 Stunden Interviewaufnahmen mit fast 1.000 SprecherInnen, die an 603 verschiedenen Orten geboren wurden. Parallel zu den Interviews, die sich an einem Fragebuch orientieren, wurden die Antworten schriftlich festgehalten. Mit diesen Mitschriften (Fieldnotes), die 2018 von den Columbia University Libraries öffentlich zugänglich gemacht wurden, arbeitet das SEYD-Projekt.
„Mein Projekt führt die Grundlagenarbeit des LCAAJ fort, mit einem Schwerpunkt auf syntaktische und morphologische Phänomene“, so Schäfer. Ziel ist es, mehr über die Struktur der alten jiddischen Dialekte zu erfahren, die die Grundlage für die neuen Dialekte darstellen. Zentral ist dabei der sprachvergleichende Ansatz zu benachbarten und verwandten Dialekten. „Insbesondere die Einbettung der jiddischen Dialekte in das so genannte kontinentalwestgermanische Dialektkontinuum, welches niederländische, deutsche, friesische und jiddische Dialekte verbindet, ist mir ein besonderes Anliegen, da Jiddisch von der klassischen Germanistik leider zumeist nicht einbezogen wird“, hebt Schäfer hervor.
Publikation zu Daten und Karten
Dies liegt nicht zuletzt daran, so Schäfer, dass es nur wenig Grundlagenarbeit zum Jiddischen gibt. Das ändert sich nun mit dem SEYD-Projekt. Neben Artikeln mit detaillierten Analysen zu grammatischen Einzelphänomenen sowie einer Monographie zur Flexion von Namen steht vor allem die Publikation der gewonnenen Daten und Karten im Zentrum. So ist eine Monographie mit Karten morphosyntaktischer Strukturen im Entstehen. Die Daten und Karten zu diversen grammatischen und lexikalischen Strukturen werden Ende 2021 über die Columbia Libraries digital veröffentlicht – und liefern damit eine Grundlage zum besseren Verständnis und für weitere Forschungen.
Kurzbeschreibung: Im Rahmen des Projektes beschreibt und untersucht Projektleiterin Dr. Lea Schäfer die Grammatik der ostjiddischen Dialekte unmittelbar vor beziehungsweise nach der Shoah.
BMBF-Förderlinie: „BMBF-Initiative Kleine Fächer – Große Potenziale“
Die Jiddistik gehört der geisteswissenschaftlichen Fachgruppe der europäischen Sprach-, Literatur- und Kulturwissenschaften an. Sie hat einen starken interdisziplinären Charakter mit kulturhistorischer Ausrichtung. Die Jiddistik besitzt gegenwärtig in Deutschland zwei Universitätsstandorte, an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und an der Universität Trier. Seit 1997 ist die Zahl der Professuren im Fach Jiddistik stabil geblieben. Weitere Informationen siehe Portal Kleine Fächer
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