Jahrestagung des ZfL: Epochenwenden und Epochenwandel

In der Zeit, die seit der Planung dieser Tagung vergangen ist, hat ein Angriffskrieg in Europa die Bedingungen verändert, unter denen wir nach Epochenwandel und Epochenwenden fragen. Seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine ist nicht bloß von einer Epochen-, sondern von einer ›Zeitenwende‹ die Rede. Davon wollen und können wir nicht absehen, wenn wir nach der Funktion von Epochenwenden fragen.

Informieren Sie sich bitte ab dem 20. März auf unserer Webseite über die Modalitäten der Anmeldung und Teilnahme.

Ort: Leibniz-Zentrum für Literatur- und Kulturforschung,
Schützenstr. 18,
10117 Berlin,
Aufgang B, 3. Etage,
Trajekteraum

Epochen sind das Ergebnis von Periodisierungstechniken, die der Selbst- oder Fremdbeschreibung dienen. Sie teilen den stetigen Zeitfluss in Zeiträume auf, denen jeweils so viel Homogenität zugesprochen werden kann, dass sie sich von anderen unterscheiden lassen. Sowohl die Geistes- als auch einige Naturwissenschaften (Geologie, Geographie, Biologie) organisieren ihr Material in solche großen Zeitabschnitte. Problematisch und interessant wird es stets an den Übergängen, wenn zwei Epochen (oder was man dafür hält) voneinander abzugrenzen oder zu verbinden sind. Dabei vollzogene Verschiebungen gehören zur historiographischen Dynamik und werden schließlich selbst Teil des historischen Materials. In den historisch-hermeneutischen Fächern ist der Epochenbegriff seit geraumer Zeit und mit Recht wegen seiner homogenisierenden und eurozentrischen Tendenzen kritisiert worden. Ob die gängig gewordenen Ersatzbildungen, wie beispielsweise ›lange‹ und ›kurze‹ Jahrhunderte, oder der Gebrauch des Plurals, etwa in der Formel von ›multiplen Modernen‹, die Probleme des Epochenbegriffs zu lösen vermögen, ist zu fragen. Dringenden Anlass, das zu tun, bietet die aktuelle Situation. Zwar war das Geschäft des ›Epochemachens‹ sogar im strengen Historismus alter Schule immer auch auf Nöte und Fragen der Gegenwart bezogen. Aber die Orientierung suchende oder anbietende Selbstverständigung über die eigene Epoche der Gegenwart – das Epochenbewusstsein der Zeitgenossenschaft – nimmt sich weiter reichende Lizenzen. So wird verständlich, wie schnell sich in der noch andauernden Pandemie die Rede von ›vor‹ und ›nach‹ Corona durchgesetzt hat. Das mag in vergleichbaren Krisensituationen ähnlich gewesen sein. Jetzt kommt der Umstand hinzu, dass diese Pandemie in die im Jahr 2000 aus der Taufe gehobene Epoche des Anthropozäns fällt und in der Folge auch die gerade für die Geisteswissenschaften seit Vico wichtige Unterscheidung zwischen historischen (Menschheits-)Epochen und solchen der Natur- bzw. Erdgeschichte durchlässiger geworden ist.


Aber in der kurzen Zeit, die seit der Planung dieser Tagung vergangen ist, hat ein Angriffskrieg in Europa – dieser bekannteste und schlimmste Typus eines ›epochalen‹ Ereignisses – die Bedingungen verändert, unter denen wir nach Epochenwandel und Epochenwenden fragen. Seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine ist nicht bloß von einer Epochen-, sondern allerorten von einer ›Zeitenwende‹ die Rede. Das Thema hat uns in der Gegenwart eingeholt und vielleicht schon überholt. Davon wollen und können wir nicht absehen, wenn wir nach der Funktion von Epochenwenden fragen.

Programm


Donnerstag, 7.4.2022


14:45

  • Zaal Andronikashvili, Eva Geulen, Georg Toepfer (ZfL): Einführung

Sektion 1: ›Epochenwende‹ als zeitdiagnostisches Instrument im 21. Jahrhundert

Moderation: Eva Geulen

15:00‒17:00

  • Bettina Schlüter (Bonn): Im Novozän: Deepmind’s Epoche
  • Erich Hörl (Lüneburg): Im Epochenlosen der Disruption: Bernard Stieglers Neubestimmung von Epochalität

17:30

  • Abendvortrag: Barbara Stollberg-Rilinger (Berlin): Kommen wir ohne die Moderne aus? Vorschläge für einen prozeduralen Epochenbegriff


Freitag, 8. April 2022


Sektion 2: Epochenwende als Zäsur
Moderation: Zaal Andronikashvili


9:30‒11:30

  • Peter Wagner (Barcelona): Kritik, Krise und Problemverschiebungen. Wie bestimmen sich Transformationen der Moderne?
  • Barbara Picht (ZfL): Epochendeutungen im Systemkonflikt. Perspektiven europäischer Geschichts- und Literaturwissenschaftler auf den Kalten Krieg

12:00‒13:00

  • Lars Koch (Dresden): Chernobyl als Disruption

Sektion 3: Formen und Figuren der Epochengliederung
Moderation: Georg Toepfer


14:30‒16:30

  • Ernst Müller (ZfL): Figuren der historiographischen Binnengliederung des 20. Jahrhunderts
  • Barbara Mittler (Heidelberg): History-in-Common—Chronotypen, Epochen-Recycling und Weltgeschichte als geteiltes Erbe

17:00‒18:00

  • Henning Trüper (ZfL): Epochenwenden und Kulturgeschichte des Moralischen


Samstag, 9. April 2022


Sektion 4: Epochen-Recycling
Moderation: Gianna Zocco


10:00‒12:00

  • Valentin Groebner (Luzern): Retropie: Das Historische als Erlebnispark
  • Maud Meyzaud (ZfL): Die andere Aufklärung in Europa. Al-Andalus und die Folgen