Antisemitismus erkennen und bekämpfen: „RESPOND! Nein zu Judenhass im Netz!“
Auf Social-Media-Plattformen verbreitet sich antisemitische Hetze. Was kann die Forschung dagegen tun? Das erfahren Sie hier im Interview mit der Projektleitung des BMBF-Verbundprojekts „RESPOND! Nein zu Judenhass im Netz!“ der Touro University Berlin.
Im Interview: Das RESPOND!-Team um die Verbundkoordinatorinnen Prof. Dr. Özen Odağ und Prof. Larisa Buhin-Krenek, Ph.D.
Mit Ihrem Projekt wollen Sie junge Menschen dazu befähigen, antisemitische Taktiken in sozialen Medien auch in modernen und subtileren Erscheinungsformen zu erkennen und medienkompetent auf sie zu reagieren. Was kennzeichnet den Antisemitismus in Sozialen Medien, den Sie in Ihrem Projekt untersuchen? Und wie hat er sich bei jungen Menschen verändert?
Özen Odağ: Antisemitismus ist ein sich ständig weiterentwickelndes Vorurteil, das alte und neue antijüdische Stereotype und Verschwörungstheorien umfasst. Durch die weite Verbreitung von Antisemitismus in sozialen Medien und seinen chimärischen Charakter sind junge Menschen einem hohen Risiko ausgesetzt, mit antisemitischen Sichtweisen konfrontiert zu werden. Dies gilt insbesondere für junge Menschen, die viel Zeit im Netz verbringen, wenig bis gar nichts über Judenfeindlichkeit wissen und sich in einer sensiblen Phase der Identitätsbildung befinden.
Larisa Buhin-Krenek: Unser vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördertes Verbundprojekt zeichnet sich durch partizipative Forschungsmethoden aus, im Rahmen derer wir die Teilnehmenden in die Entwicklung des RESPOND!-Medienkompetenztrainings mit einbeziehen. Hierfür haben wir sie in einem ersten Schritt zur Erstellung von Medientagebüchern aufgefordert und anschließend in einem zweiten Schritt Fokusgruppen mit ihnen durchgeführt. Durch dieses Vorgehen stehen die Erfahrungen der Nutzerinnen und Nutzer mit Antisemitismus in ihrer täglichen Social-Media-Nutzung nicht nur im Mittelpunkt unserer Untersuchungen, sondern fließen auch dezidiert in das RESPOND! Medienkompetenztraining mit ein.
Anfang 2022 haben Sie Ihre erste Studie durchgeführt, um antisemitische Äußerungen auf Social-Media aufzudecken und zu analysieren. Woran machen Sie antisemitische Äußerungen fest? Und was sind Ihre ersten Ergebnisse?
Jannis Niedick: Um festzustellen, welche Beiträge potenziell antisemitisch sind und welche nicht, haben wir uns auf bestehende Definitionen von Antisemitismus aus verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen gestützt. Darüber hinaus haben wir uns regelmäßig innerhalb des Teams sowie mit Expertinnen und Experten beraten, um Antisemitismen in sozialen Medien anhand der bestehenden Definitionen zu identifizieren und zu beschreiben. Für uns war wichtig, stets mehrere Perspektiven an das Material anzulegen und uns bei der Interpretation intersubjektiv abzusichern.
Agata Maria Kraj: Die Ergebnisse der ersten Studie bestätigen, dass sich antisemitische Vorurteile ständig weiterentwickeln und vermeintliche Erklärungen für aktuelle soziokulturelle und politische Krisen liefern (z. B. Corona-Diskurse, Ukraine-Krieg). Wir sehen auch, dass die meisten antisemitischen Botschaften implizit und mit geringer Intensität geäußert werden. Manchmal werden Antisemitismen in den Chatverläufen nur durch Andeutungen oder scheinbar legitime Verweise zum Ausdruck gebracht. Nutzerinnen und Nutzer generieren oft keine neuen hasserfüllten Inhalte, sondern unterstützen bestehende mit Likes und Emojis. Dies betrifft insbesondere Diskussionen über Israel und den Nahostkonflikt.
Justine Kohl: Unsere Ergebnisse zeigen aber auch, dass Online-Interaktionen nicht nur konfrontativ, sondern durchaus auch kooperativ verlaufen können und weisen auf konstruktive Formen von Gegenrede hin. An dieser Stelle setzen wir an, wenn es um die Entwicklung einer Konzeption geht, die Umgangsweisen mit antisemitischer Hassrhetorik vermitteln soll.
Wie funktioniert das RESPOND!-Multiplikator*innentraining und was macht es so besonders?
Jannis Niedick: Zunächst möchten wir 60 junge Menschen schulen, die ihr gewonnenes Wissen danach in einem Workshop an jeweils 10 weitere Personen weitergeben. Wir erhoffen uns also, mit unserem Training insgesamt 600 junge Menschen zu erreichen. Das Multiplikator*innentraining baut auf den drei Schwerpunkten „awareness“, „reflection“ und „action“ auf: Dabei soll es nicht nur um die Vermittlung von Wissen zur Erkennung von Antisemitismus in sozialen Medien gehen, auch wenn dies natürlich ein wichtiger Inhalt ist. Zusätzlich sollen die Themen gewaltfreie Kommunikation, Bewältigungsstrategien, Emotionsregulierung und der Umgang mit Unsicherheit und Ambiguität behandelt werden.
Linda Juang: Ausgehend von den Ergebnissen unserer ersten beiden Studien wird das Training somit dezidiert auf die Erfahrungen und Vulnerabilitäten junger Menschen zugeschnitten. Anhand eines experimentellen Vorher-Nachher-Kontrollgruppen-Designs möchten wir zudem untersuchen, welche Selbstwirksamkeitswirkungen sich durch unser Training erzielen lassen und welche Erfahrungen die Teilnehmenden während des Trainings machen.
Am Verbund beteiligt ist auch die Jüdische Gemeinde Berlin. Was zeichnet die gemeinsame Entwicklung von Gegenstimmen zum digitalen Antisemitismus aus?
Özen Odağ: Das RESPOND!-Team arbeitet eng verzahnt mit der Jüdischen Gemeinde zu Berlin zusammen, auf diese Weise wird die jüdische Perspektive integraler Bestandteil des Projekts. Mit Unterstützung der Gemeinde konnten wir zudem Teilnehmende für unsere empirischen Forschungen gewinnen.
Gudrun Dobslaw: Eines der Ziele unseres Projekts besteht darin, jüdisches Leben insbesondere für jüngere Menschen sichtbarer und erfahrbarer werden zu lassen. Diese Notwendigkeit zeigt sich auch in der empirischen Forschung, denn viele Teilnehmende ohne persönlichen Bezug zum jüdischen Leben erwähnten oft, dass ihnen genau dieser persönliche Bezug fehle. Eine fundiertere Wissensbasis würde ihnen aber helfen, besser auf antisemitische Hassrhetorik zu reagieren. Die Ergebnisse unserer Forschung, beispielsweise in Form von Trainingsmaterialien können einen Beitrag dazu leisten, sensibler, aufmerksamer und reaktionsfähiger zu sein, wenn antisemitische Äußerungen in Sozialen Medien (und auch außerhalb) getätigt werden. Die Verarbeitung unserer Erkenntnisse und der Transfer in politische Diskurse und den gesellschaftlichen Dialog erfolgt ebenfalls in enger Zusammenarbeit mit der Jüdischen Gemeinde.
Besten Dank für Ihre interessanten Einblicke und weiterhin viel Erfolg!
Das Interview erfolgte schriftlich am 13. Oktober 2023, Fragen: Katrin Schlotter
Das BMBF Verbundprojekt „RESPOND! Nein zu Judenhass im Netz!
Das vierjährige vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Verbundprojekt RESPOND! Nein zu Judenhass im Netz!verfolgt das Ziel, junge Menschen zu befähigen, antisemitische Taktiken in sozialen Medien auch in modernen und subtileren Erscheinungsformen zu erkennen und medienkompetent auf sie zu reagieren.
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