Mehr als drei Dutzend Projekte in drei Förderlinien fördert das BMBF derzeit rund um die Themen „Extremismus und Radikalisierungsforschung“. Ziel ist, durch interdisziplinäre Forschung mehr über die Hintergründe und Formen von Gewalt und Extremismus zu wissen, die unser Zusammenleben gefährden. Dazu zählen Antisemitismus, Rechtsextremismus, Rassismus, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und radikaler Islamismus in Deutschland und Europa.
Die geförderten Projekte tragen dazu bei, dass Politik und Gesellschaft diese Phänomene besser erkennen, verstehen und ihnen angemessen begegnen. Auf Basis der wissenschaftlichen Erkenntnisse ist es möglich, konkrete Konzepte und Maßnahmen zu entwickeln, die extreme Ideen und Strukturen bekämpfen und zugleich demokratische Werte aufrechterhalten.
Die hier beispielhaft vorgestellten Projekte geben Einblicke in die Forschung. Sie zeigen, wie sich Extremismus und Radikalisierung auswirken und wie Politik und Gesellschaft womöglich gegensteuern können. Sie belegen, was interdisziplinäre Forschung in den Geistes- und Sozialwissenschaften zusammen mit Praxispartnern leisten kann. Nicht zuletzt richten sie aber auch den Blick auf die Probleme und Herausforderungen der Forschenden selbst.
Rechtsextremismus und Rassismus
Rassistische, antisemitische und andere menschenfeindliche Vorfälle sind an Schulen längst keine vermeintlichen Einzelfälle mehr – das hat im April 2023 der Brandbrief zweier Lehrer über rechtsextreme Vorfälle an einer Schule in Brandenburg offengelegt. Eine deutschlandweite Meldestelle für solche Vorfälle an Schulen gibt es indes nicht. Auch auf Social-Media-Kanälen verbreiten sich Hass, Hetze und Verschwörungsideologien. Hier ist zweifelsohne großer Forschungs- und Handlungsbedarf.
So untersucht das Forschungsprojekt „HAMREA“, wie die bundesdeutsche Gesellschaft auf Gewalt- und Aktionsformen des Rechtsextremismus reagierte und welche Folgen dies auf aktuelle Diskurse hat. Am Fallbeispiel Hamburg entsteht historisches Wissen über den Wandel des Rechtsextremismus, über Kontinuitäten und Brüche der deutschen Gesellschaftsgeschichte sowie über rechtsradikale Positionen zwischen 1945 und 2000. Das Projekt wird seit Januar 2023 im Rahmen der Förderrichtlinie „Aktuelle und historische Dynamiken von Rechtsextremismus und Rassismus“ für drei Jahre gefördert.
Ein weiteres Projekt, das hier im Special vorgestellt wird, ist das BMBF-Projekt „Gelingensbedingungen rassismussensibler Lehrer:innenbildung (GraL)“. Die Nachwuchsgruppe setzt sich seit 2023 damit auseinander, wie Rassismus im Studium, im Referendariat und im Berufseinstieg thematisiert wird und welche Erfahrungen angehende Lehrerinnen und Lehrer machen. Die Forschenden wollen herausarbeiten, wie es gelingen kann, die Professionalisierung von Pädagogen und letztlich auch der Schule Rassismus-sensibler zu gestalten. Aus den Ergebnissen des Projektes sollen Policy-Paper entwickelt werden, die bundesweit an Schulen und Universitäten Handlungsperspektiven eröffnen. GraL ist eine von fünf Nachwuchsgruppen, die im Rahmen der Rechtsextremismus- und Rassismusforschung gefördert werden.
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Antisemitismus
9 Vorfälle extremer Gewalt, 56 Angriffe, 186 gezielte Sachbeschädigungen, 72 Bedrohungen, 1.912 Fälle verletzenden Verhaltens (davon 426 Versammlungen) sowie 245 Massenzuschriften – insgesamt 2.480 antisemitische Vorfälle dokumentiert der Jahresbericht des Bundesverbandes der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (RIAS) für das Jahr 2022. Besonders auf allen Social-Media-Plattformen verbreitet sich antisemitische Hetze. Was kann die Forschung dagegen tun?
Zum Beispiel eine Gegenstimme zur Bekämpfung antisemitischer Hassrede im deutschsprachigen Netz für junge Menschen entwickeln. Das BMBF-Verbundprojekt RESPOND! verfolgt das Ziel, junge Menschen zu befähigen, antisemitische Taktiken in sozialen Medien auch in modernen und subtileren Erscheinungsformen zu erkennen und medienkompetent auf sie zu reagieren. Dafür wird das RESPOND!-Multiplikatorentraining zur Entwicklung eines medienkompetenten Umgangs mit antisemitischer Hassrede im Netz entwickelt, implementiert und evaluiert. Die ausgebildeten 60 RESPOND!-Trainerinnen und Trainer geben ihre Kenntnisse dann an 600 beliebige junge Menschen weiter. Zudem werden 600 Lehrkräfte im Raum Berlin, Bielefeld und Potsdam sensibilisiert.
Auch das BMBF-Projekt EMPATHIA³ setzt sich für Antisemitismusprävention und -repression ein: Die Forschenden wollen angehende Polizistinnen und Polizisten sowie Lehrerinnen und Lehrer im Umgang mit Antisemitismus professionalisieren. Dazu entwickelt, implementiert und evaluiert das Projekt ein Kerncurriculum zur Antisemitismusprävention, -intervention und -repression, einen digitalen Test zur Erfassung von Wissen und Einstellungen und ein gemeinsames Kursprogramm für die Zielgruppen.
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Islamismus
Das Bedrohungspotenzial durch den islamistischen Terrorismus ist nach wie vor hoch, heißt es im unlängst herausgegebenen Verfassungsschutzbericht 2022. Planungen für islamistische Anschläge konnten hierzulande vereitelt werden, wie die Festnahmen von Castrop-Rauxel und Hamburg im Januar und April 2023 zeigen.
Doch wann wird welche Form von Gegenmaßnahme ergriffen? Dazu forscht das BMBF-Projekt „Konfigurationen von gesellschaftlichen und politischen Praktiken im Umgang mit dem radikalen Islam“(KURI). Es untersucht, welche Faktoren den gesellschaftlichen und politischen Umgang mit dem radikalen Islam in den letzten 20 Jahren geprägt haben. Dabei arbeiten die Forschenden eng mit Praxispartnern aus den Sicherheitsbehörden und unterschiedlichen Präventionseinrichtungen zusammen. Mehr dazu erfahren Sie hier im Interview mit KURI-Projektleiter PD Dr. Martin Kahl.
Das KURI Projekt ist eines der 13 Projekte der BMBF- Förderlinie „Gesellschaftliche Ursachen und Wirkungen des radikalen Islam in Deutschland und Europa“. Auch hier zielt die Förderung darauf ab, Wissen zu generieren und Politik und Praxis im Umgang mit Radikalisierungstendenzen zu stärken.
Alle Projekte dieser Förderlinie werden durch das Transfervorhaben „Gesellschaftliche Ursachen und Wirkungen des radikalen Islam in Deutschland und Europa“ (RADIS) intern und extern miteinander vernetzt. Wissenschaftliche Erkenntnisse werden zusammenführt, um den gesellschafts- und praxisorientierten Ergebnis- und Wissenstransfer nachhaltig zu stärken, sei es in Politik (z.B. parlamentarischer Abend), Verwaltung, Zivilgesellschaft, Sicherheitsbehörden und Medien – in Deutschland und Europa.
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Weitere Informationen
„Extremismus und Radikalisierungsforschung“