Einblicke ins Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt (FGZ)
Als dezentrales Forschungsinstitut mit elf universitären und außeruniversitären Teilinstituten analysiert das FGZ die gegenwärtigen Herausforderungen, mit denen gesellschaftlicher Zusammenhalt konfrontiert ist, aus einer breiten interdisziplinären Perspektive. Mehr dazu erfahren Sie hier im Beitrag von FGZ-Forschungskoordinator PD Dr. Taylan Yildiz sowie im Kurzinterview zum FGZ-Teilprojekt.
Was macht Zusammenhalt aus?
Im politischen Diskurs der vergangenen Jahre hat der Begriff des gesellschaftlichen Zusammenhalts eine erstaunliche Karriere erlebt. Allem Anschein nach ist der Begriff allgegenwärtig, oder mehr noch: allseits beliebt. Zu seiner Karriere mag wesentlich beigetragen haben, dass sich akute gesellschaftliche Herausforderungen stets als Zusammenhaltsprobleme darstellen lassen. Auf der anderen Seite dürfte auch eine wichtige Rolle gespielt haben, dass er immer wieder als Voraussetzung zur Bewältigung der Herausforderungen eingefordert wird und dabei überwiegend positiv konnotiert ist. Dafür liefern Ereignisse, wie sie rund um den „langen Sommer der Migration“ beobachtet werden konnten, gut begründete Hinweise. Aber auch die Debatten zu Pandemie und Brexit, zu den „Stürmen“ auf Kapitol und Reichstag, zum Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine und nicht zuletzt die Lagerbildung zum Nahostkonflikt legen diese Doppelrolle von gesellschaftlichem Zusammenhalt nahe. All diese Ereignisse und Entwicklungen bestärken in dem Gefühl, dass es um den gesellschaftlichen Zusammenhalt schlecht bestellt ist. Gleichsam kommen in ihnen immer wieder Appelle an den Zusammenhalt zum Vorschein und dies unabhängig davon, mit welchen politischen Motiven und Vorstellungen der Begriff jeweils verbunden ist.
So nachvollziehbar die Sorge um den gesellschaftlichen Zusammenhalt angesichts der Krisenwahrnehmungen erscheinen mag, stellt sich doch die Frage, wie er wissenschaftlich differenziert untersucht und kritisch eingeordnet werden kann. Schließlich sind die Phänomene, die mit dem Begriff verknüpft werden, und die sozialen, politischen und kulturellen Dynamiken, in die sie eingebettet sind, noch viel zu unübersichtlich. Was Zusammenhalt ausmacht, wie er gestärkt oder gar gegen Krisen in Stellung gebracht werden kann, bleibt oftmals im Ungefähren. Klar scheint nur, dass Gesellschaften auf Zusammenhalt angewiesen sind. Wie sie ihn aber erzeugen und gegen Gefährdungen absichern können und ob die Appelle an den Zusammenhalt nicht ihrerseits ausgrenzende Effekte erzeugen, bedarf einer eingehenden interdisziplinären Erforschung.
Das FGZ ist ein ortsverteiltes Forschungsinstitut, das zu diesem Thema anwendungsorientierte Grundlagenforschung aus der Perspektive einer Vielzahl von Disziplinen betreibt – aus Soziologie und Sozialpsychologie, aus den Politik-, Rechts- und Wirtschaftswissenschaften wie auch aus den Geschichts-, Kultur-, Medien- und Kommunikationswissenschaften. Darüber hinaus folgt das Institut dem Prinzip der kollaborativen Wissensproduktion (Transfer), setzt seine Fragestellungen und Wissensbestände also einem Dialog mit diversen Praxispartnerinnen und Praxispartnern aus und bietet mit seinem Forschungsdatenzentrum zudem eine wichtige Referenz für die Erforschung und das Monitoring des gesellschaftlichen Zusammenhalts an.
Das FGZ-Teilprojekt „Die Genese populistischer Dispositionen in Jugendmilieus“ untersucht die Empfänglichkeit für antidemokratisches Gedankengut – auch bei Jugendlichen.
Im Interview geben Ullrich Bauer, Leiter des Zentrums für Prävention und Intervention im Kindes- und Jugendalter (ZPI) an der Fakultät für Erziehungswissenschaft der Universität Bielefeld, und Barış Ertuğrul, dort wissenschaftlicher Mitarbeiter, Auskunft. Sie führen zusammen mit Dr. Marc Grimm das Projekt „Die Genese populistischer Dispositionen in Jugendmilieus“ am FGZ-Teilinstitut Bielefeld durch.
Herr Professor Bauer, Herr Ertuğrul, mit Ihrer Studie wollen Sie herausfinden, wie die junge Generation die vielfältigen politischen, ökonomischen, sozialen Krisen in Europa wahrnimmt. Wie wirkt sich diese Wahrnehmung auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt aus?
Das vergangene Krisenjahrzehnt ist eine Besonderheit. Es gibt die Erfahrung generalisierter Unsicherheit bei Jugendlichen. Und sie verstehen: Die großen Themen wie Krieg, Fluchtbewegungen, Klimakatastrophe, Pandemie oder Demokratiemüdigkeit sind Arenen der Auseinandersetzung, die sie sehr persönlich betreffen. So nehmen Jugendliche Krisen war und politisieren sich darüber. Dabei spielen die älteren Formen der Teilhabe in politischen Parteien kaum eine Rolle. Das zunehmende politische Interesse wird durch die digitalen und vor allem die sozialen Medien stimuliert. Und über diese Medien findet dann auch wieder viel der politischen Artikulation und Beteiligung statt. Junge Menschen leiden aber unter den Krisen. Die Zufriedenheit mit den eigenen Lebensbedingungen nimmt ab und die Krisenbetroffenheit zu. In unserem Material lässt sich außerdem erkennen, dass die älteren Kohorten mit den hohen Erwartungen der Jugendlichen rechnen müssen. Werden diese nicht erfüllt, kann das Wut erzeugen, Unverständnis und Enttäuschung. Das ist sicher auch ein Grund für die wachsende Distanz zum demokratischen Status quo und die Zunahme populistischer Haltungen.
Ihre Studie richtet den Blick auf Ausgrenzung und Populismus in spezifischen sozialen Kontexten. Wen und wonach fragen Sie?
Wir befragen Jugendliche aus unterschiedlichen Milieus und orientieren uns an dem, was sie erkennen, deuten und bewerten. Und dabei steht Ausgrenzung in beiden Richtungen im Fokus: Wie grenzen Jugendliche sich etwa von minoritären Anderen oder von Politikerinnen und Politikern in ihren Vorstellungen eines guten Zusammenlebens ab? Wie und wo sehen sich selbst unbeteiligt und ungerechtfertigt herausgehalten? Und in dieser Doppelorientierung kann dann das plausibel werden, was Populismus genannt wird, also ein starkes Misstrauen gegenüber der Integrität und den Absichten von Politikerinnen und Politikern, die die Bürger übervorteilen oder hinters Licht führen. Diese Tendenz erkennen wir interessanter Weise auch bei Jugendlichen, die nicht rechte Positionen bedienen. Das zeigt den vielleicht widersprüchlichen Befund an, dass wir den Populismusbegriff aufgeben und zugleich retten sollten. Denn hinter den Aussagen der Jugendlichen verbirgt sich häufig eine Form der Kritik, die diese Jugendlichen sehr nachvollziehbar formulieren, weil sie sich als Betroffene der Veränderungsträgheit der politischen Eliten verstehen. Diese wird mit dem Populismusbegriff stigmatisiert. Auch dies ist zentraler Teil der Krisensozialisation.
Gibt es erste Erkenntnisse, in welche Weltdeutungen und Sinnstrukturen Populismus eingebettet ist? Und welche Schlüsse lassen sich daraus ziehen?
Belastbar ist der Befund zur ungebrochenen Bedeutung sozialer „Erfahrungsräume“. Wir haben drei Milieus besonders im Blick, die Politik unterschiedlich in ihren Alltag integrieren: Es gibt hier beispielsweise sog. ‚woke‘ Milieus, die sich auskennen in gesellschaftspolitischen Debatten, informiert mitsprechen und um die Politisierbarkeit vieler Themen wissen. Versiert und ohne jede Scheu sprechen sie Politikerinnen und Politikern Anstand und Vernunft ab. Zum anderen haben wir sich als prekär wahrnehmende Jugendliche befragt, die auch Debatten verfolgen, aber weniger sprechfähig sind. Sie erkennen ihre unterlegene Position, sind auch in den symbolischen Distinktionskämpfen zumeist unterlegen und haben so kaum Beteiligungsmöglichkeiten und -erfahrungen. Auf diese Weise werden sie für autoritäre Erlösungsversprechen empfänglicher. Das zeigt uns, dass wir Aushandlung und Kompromissfähigkeit, besonders im schulischen Bereich, weiter plastisch halten und begreifbar machen müssen. Dabei sollten wir nicht kühl und formalistisch, sondern emphatisch sein, für ein Mehr an Solidarität. Das ist dann nicht als politischer Nachhilfeunterricht für diese spezielle Gruppen zu verstehen, sondern als Gesamtstrategie für alle zu denken. Wir haben etwa auch eine dritte Gruppe von Jugendlichen befragt, die gut informiert ist, gleichwohl unerregt, damit kaum populistisch, und zwar gerade deshalb, weil diese Jugendlichen sich komfortabel repräsentiert fühlen. Die Pointe ist, dass dieses bürgerlich-konservative Milieu nicht „besser demokratisch“ ist als die oben genannten. Denn sie zeigen kaum Anstrengungen, Solidarität für Andere wie Nicht-Repräsentierte anzustoßen. Diese ist für globalen Zusammenhalt gefragt, dessen Notwendigkeit wie auch dessen Fehlen in der Pandemiekrise, bei Migrationsfragen oder mit Blick auf Klimapolitik überdeutlich wird.
Besten Dank für Ihre spannenden Einblicke!
(Das Interview erfolgte schriftlich am 6. Mai 2024, Fragen: Katrin Schlotter)
FGZ-Projekt „Die Genese populistischer Dispositionen in Jugendmilieus“ in Bielefeld
Das Forschungsprojekt ist im bundesweiten dezentralen BMBF-geförderten Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt (FGZ) angesiedelt. Die Projekte am Bielefelder FGZ-Standort fokussieren auf Konfliktdynamiken, die gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken oder gefährden. Die Studie „Die Genese populistischer Dispositionen in Jugendmilieus“ wird Daten über die Dispositionen von Kindern und Jugendlichen liefern, die für gelebte Demokratie besondere Relevanz haben.
Projektlaufzeit: 01.06.2020 bis 31.05.2024
Durchführung: Barış Ertuğrul
Projektdatenbank des FGZ
Am FGZ werden aktuell 109 Forschungsprojekte bearbeitet: 84 im Rahmen der Förderung des FGZ durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und weitere 23 in der InRa-Studie „Institutionen und Rassismus“, gefördert aus Mitteln des Bundesministeriums des Innern und für Heimat (BMI).(Stand 3/2024)
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