HAMREA – Hamburg rechtsaußen: Reaktionen auf rechtsextreme Gewalt
Das Verbundprojekt HAMREA erforscht, wie im urbanen Kontext Hamburgs auf rechtsextreme Demonstrationen, Anschläge und Morde reagiert wurde. Im Fokus stehen Gewalt- und Aktionshandeln von rechtsextremen Kreisen im Zeitraum von 1945 bis in die 2000er Jahre hinein.
Im Interview: Das Team von HAMREA, bestehend aus Prof. Dr. Thomas Großbölting, Dr. Knud Andresen, Dr. Kerstin Thieler und Dr. Daniel Gerster.
Welche Schlüsse können Sie aus den Reaktionen auf rechtsextreme Gewalt- und Aktionsformen ziehen?
Daniel Gerster: Das Forschungsprojekt läuft noch, aber erste Schlüsse lassen sich bereits ziehen. Rechtsextreme Gewalttaten sind häufig in der deutschen Geschichte ignoriert oder verharmlost worden. Und das, obwohl es zeitgenössisch immer auch Gegenwehr aus der Gesellschaft gab. Schon in den 1950er Jahren protestierten z.B. Vertreterinnen und Vertreter aus Parteien, Gewerkschaften und Kirchen gegen rechtsextreme Aktionen. In den 1970er Jahren hatte sich die Konstellation geändert: Es gab mehr rechtsextreme Gewalt auf der Straße, gegen Migrantinnen und Migranten sowie gegen politische Gegnerinnen und Gegner. Entsprechend änderten sich auch die Reaktionen. Es stieg die Bereitschaft zu (ebenfalls gewaltsamer) Gegenwehr, vor allem unter Migrantinnen und Migranten kam es häufig zu neuen Formen der Selbstorganisation. Gleichzeitig weitete sich das gesellschaftliche Verständnis von rechtsextremer Gewalt, so wurden beispielsweise rassistische Bedrohungen zunehmend als problematisch wahrgenommen. Dieser Wandel des „Sagbaren“ wirkte sich wiederum auf das Handeln wie auch die Wahrnehmung der staatlichen Institutionen aus. Die Behörden hatten zwar immer wieder mit Verboten und Ermittlungen auf rechtsextreme Aktionen reagiert. Ihnen fehlte aber oft das Sensorium, sie als solche zu erkennen. Deswegen wuchs die Kritik an Polizei und Justiz beispielsweise aus der aktivistischen Szene. Insgesamt zeigt sich deutlich, dass das rechtsextreme Milieu ein bisher weitgehend vernachlässigter Teil der Gesellschaftsgeschichte darstellt.
Mit Ihrem Projekt richten Sie den Blick auf verschiedene Akteursgruppen und Kontexte. Wie können diese untersucht werden?
Kerstin Thieler: Staatliche Institutionen und Akteure wie die Polizei, die Justiz und auch der Verfassungsschutz geben ihre Akten in Archive ab – im letzteren Fall allerdings entscheidet die Behörde selbst, was sie abgibt, und zusätzlich ist der Zugang stark reglementiert. Aus diesen Quellen bekommen wir einen Eindruck von der Art und Weise, wie man von Staatsseite aus über die Jahrzehnte auf die extreme Rechte reagierte.
Einige Akteurinnen und Akteure, die sich gegen rechts engagierten und so auch zur Zielgruppe rechter Gewalt wurden, haben in Hamburg im ‚Archiv der sozialen Bewegungen‘ einen umfangreichen Bestand an Quellen angelegt, die wir nutzen können, etwa Broschüren, Chronologien, Sammlungen von Zeitungsausschnitten oder Fotografien. Aus diesem Material erfahren wir auch mehr über Betroffene, die allerdings häufig anonym blieben.
Die Reaktionen aus der Politik finden sich z.B. in parlamentarischen Anfragen in der Hamburger Bürgerschaft. Material über die Mitglieder des rechtsextremen Milieus und ihre Vereinigungen muss hingegen häufig über Umwege erhoben werden, etwa im Rahmen von Gerichtsverfahren, da diese Gruppen keine Nachlässe oder dergleichen in für uns zugängliche Archive geben. An dieser Stelle helfen uns die Bestände in alternativen Archive wie zum Beispiel das ‚apabiz Berlin‘. Zusätzlich stehen wir in Kontakt mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen sowie Personen, die sich etwa im Rahmen ihrer journalistischen Recherchen in Hamburg sehr gut auskennen.
Im Januar 2024 geht Ihre interaktive Webseite online, die in mehreren Sprachen über das Phänomen Rechtsextremismus in Hamburg aufklärt und genaue Einblicke gibt. Was sind die dort gezeigten interaktiven Elemente?
Thomas Großbölting: In deutscher, türkischer und englischer Sprache präsentieren wir auf der Website eine Auswahl von rechten Gewalttaten, die wir räumlich und zeitlich anordnen. Auf diese Weise lässt sich topographisch und chronologisch ein Eindruck von Orten und Dynamiken rechter Gewalt in Hamburg gewinnen, verknüpft mit vertiefenden Informationen zu Akteuren, Organisationen und zu Gegenmaßnahmen. Die Website ermöglicht gerade für die schulische und außerschulische Bildungsarbeit einen umfassenden Zugang zu Informationen über rechtsextremes Handeln in Hamburg. Begleitend dazu werden Bildungsmaterialien erstellt.
Besten Dank für Ihre interessanten Einblicke und weiterhin viel Erfolg!
Das Interview erfolgte schriftlich am 8. Dezember 2023, Fragen: Katrin Schlotter
Das BMBF-Projekt HAMREA
Das Verbundprojekt „HAMREA – Hamburg rechtsaußen. Rechtsextreme Gewalt- und Aktionsformen in, mit und gegen städtische Gesellschaft 1945 bis Anfang der 2000er Jahre“ wird von der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg durchgeführt. Es untersucht, wie die bundesdeutsche Gesellschaft auf Gewalt- und Aktionsformen des Rechtsextremismus reagierte und welche Folgen dies auf aktuelle Diskurse hat. Kooperationspartner sind: Landeszentrale für politische Bildung Hamburg sowie die und Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte zur Erinnerung an die Opfer der NS-Verbrechen (SHGL). HAMREA wird seit Januar 2023 im Rahmen der BMBF-Förderlinie „Aktuelle und historische Dynamiken von Rechtsextremismus und Rassismus“ für drei Jahre gefördert.
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