Interview mit Prof. Eleonora Rohland

Für einen gesellschaftlich gerechteren und klimaziel-kompatiblen Wiederaufbau im Zuge der Corona-Pandemie spricht sich Prof. Eleonora Rohland aus. Die Professorin für Verflechtungsgeschichte der Amerikas in der Vormoderne an der Universität Bielefeld leitet das dortige Center for InterAmerican Studies (CIAS). Gemeinsam mit Kolleg*innen hat sie 2019 die Lectures for Future Bielefeld initiiert.

Bitte beachten Sie, dass hier lediglich die Meinung der Interviewten wiedergegeben wird.

Frau Prof. Rohland, welcher Aspekt der Corona-Pandemie ist für Ihre eigenen Forschungen von besonderer Relevanz?

Portrait von Prof. Rohland

Prof. Eleonora Rohland

Mike-Dennis Müller, mdm.photo

Wie rasch die Klimakrise als Problem im Bewusstsein der Öffentlichkeit hinter die Pandemie zurückgetreten ist, verfolge ich mit Besorgnis. Diese Fokusverschiebung zur gefühlt (und in vielerlei Hinsicht auch tatsächlich) immediateren, d.h. unmittelbareren Lebensgefahr der Pandemie ist symptomatisch für einen Aspekt der Krisen- oder Katastrophenwahrnehmung: Es geht hier um die Frage der Betroffenheit und der Risiko- oder Gefahrenwahrnehmung. Das Bewusstsein, dass der menschgemachte Klimawandel eine reale und schon längst gegenwärtige Krise ist, hat erst die Fridays For Future Bewegung im März 2019 richtig in die Mitte der Gesellschaft gerückt. Auch zuvor war die Komplexität der Zusammenhänge zwischen menschlichem Handeln, seinen Auswirkungen auf das Klimasystem, und wiederum dessen globalen (aber regional unterschiedlichen) Rückkopplungseffekten auf Gesellschaften nicht leicht zu vermitteln. Dagegen scheint die Pandemie eine viel immediatere Gefahr zu sein, bei der die Kausalitätskette zwischen Ursache (Ansteckung mit dem Virus) und Wirkung (im Extremfall Tod) sehr kurz ist und die Betroffenheit und das Risiko sehr deutlich sind. Ich teile die Befürchtung, dass das eben gewonnene, dringliche Klimabewusstsein dem Druck eines raschen wirtschaftlichen Wiederaufbaus nach herkömmlichem – sprich fossilem – Modell zum Opfer fallen könnte.

Sie sind auch Mit-Koordinatorin der Forschergruppe „Coping with Environmental Crises“ am Maria Sibylla Merian Center for Advanced Latin American Studies CALAS. Wie können Sie und Ihr Forschungsbereich zu einem besseren Verständnis mit der Pandemie beitragen?

Die Historische Klima- und Katastrophenforschung in Verbindung mit der Verflechtungsgeschichte untersucht, wie verschiedene (und vor allem koloniale) Gesellschaften in der Vergangenheit mit (Natur-)Katastrophen – Stürmen, Dürren, Hochwassern, Erdbeben, aber auch Hungersnöten und Epidemien – umgegangen sind. Dabei interessiert sie sich sowohl für die historische Rekonstruktion der Umweltbedingungen als auch für den gesellschaftlichen Umgang, die kulturelle und soziale Verarbeitung solcher Katastrophenerfahrungen. Dazu zählt zum Beispiel auch der gegenwärtig so wichtige Aspekt der sozialen Verwundbarkeit bestimmter Gesellschaftsgruppen. Häufig waren und sind das Frauen, ethnische Minoritäten und Geflüchtete; im Kontext der Amerikas People of Color und Indigene. Das heißt also, Katastrophenforscherinnen können aus einer Fülle von historischem Kontextwissen zur Einordnung und zum Verständnis der gegenwärtigen Situation beitragen.

Gibt es Lösungsansätze, die stärker diskutiert werden sollten?

„Krise als Chance“ klingt abgedroschen, aber das berühmte „window of opportunity“ muss für einen gesellschaftlich gerechteren und klimaziel-kompatiblen Wiederaufbau genutzt werden. Außerdem fand ich den im März von der Bundesregierung durchgeführten „Hackathon“ #WirvsVirus zur kreativen Lösungsfindung im Zusammenhang mit der Corona-Krise sehr inspirierend. Diese Art der Bürgerbeteiligung könnte zukünftig auch auf regionaler und lokaler Ebene zu spannenden Ergebnissen führen.

Herzlichen Dank für das interessante Interview, Frau Prof. Rohland!

Über Prof. Eleonora Rohland

Prof. Eleonora Rohland, Professorin für Verflechtungsgeschichte der Amerikas in der Vormoderne an der Universität Bielefeld, leitet das dortige Center for InterAmerican Studies (CIAS). Gemeinsam mit Kolleg*innen aus Biologie und Physik hat sie im Oktober 2019 die Lectures for Future Bielefeld ins Leben gerufen. Sie ist auch Mit-Koordinatorin der Forschergruppe „Coping with Environmental Crises“ am Maria Sibylla Merian Center for Advanced Latin American Studies CALAS.

Maria Sibylla Merian Center for Advanced Latin American Studies CALAS

Es ist das erste und umfangreichste deutschlandweite Kooperationsprojekt mit Einrichtungen aus Lateinamerika: CALAS mit Hauptsitz an der Universität von Guadalajara, Mexiko. Das von vier deutschen und vier lateinamerikanischen Universitäten unter der Koordination der Universität Bielefeld aufgebaute Maria Sibylla Merian Center startete 2019 in seine Hauptphase, gefördert vom BMBF mit zwölf Millionen Euro. Interdisziplinär zusammengesetzte Forscherteams, zu denen im Wechsel bis zu 25 internationale Fellows eingeladen werden, erforschen dort gesellschaftliche Krisen in vier miteinander verbundenen Schwerpunkten: „Sozial-ökologische Transformation“, „Soziale Ungleichheiten“, „Gewalt und Konfliktlösung“ sowie „Identität und Region“. Zusammen mit dem Bielefelder Kollegen und CALAS-Direktor Dr. Olaf Kaltmeier und zwei Kollegen aus Guadalajara wird Prof. Rohland die Forschungsgruppe ‚Bewältigung von Umweltkrisen‘ koordinieren, die voraussichtlich 2021 die Arbeit aufnimmt.