Interview mit Sozialpsychologin Pia Lamberty, M.Sc.
Fake News und Verschwörungserzählungen verbreiten sich in der COVID-19-Pandemie ähnlich rasant wie das Virus selbst. In ihrem kürzlich erschienenen Buch „Fake Facts – Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen“ beschreibt Sozialpsychologin Pia Lamberty zusammen mit Katharina Nocun, wie sich Menschen aus der Mitte der Gesellschaft radikalisieren und die Demokratie als Ganzes ablehnen.
Bitte beachten Sie, dass hier lediglich die Meinung der Interviewten wiedergegeben wird.
Frau Lamberty, welche Aspekte der Corona-Pandemie sind für Ihren Forschungsbereich relevant?
In Krisenzeiten glauben Menschen stärker an Verschwörungen. Die Corona-Pandemie bietet ideale Voraussetzungen. Niemand weiß, was als nächstes kommt, viele fühlen sich ausgeliefert, das sorgt für große Ängste und Verunsicherungen in der Bevölkerung. Und genau daran knüpfen Verschwörungserzählungen an.
Wie können Sie mit Ihrem Forschungsbereich zu einem besseren Verständnis und Umgang mit der Pandemie beitragen?
Wir untersuchen, warum Menschen an Verschwörungen glauben. So zeigte sich, dass Menschen in unsicheren Zeiten eher an Verschwörungen glauben. Weitere Studien belegen, dass Menschen mit einem starken Bedürfnis nach Einzigartigkeit eher an Verschwörungen glauben, um sich selbst erhöhen zu können – sie haben das Gefühl, über ein „Geheimwissen“ zu verfügen.
Menschen mit einer starken Tendenz, an Verschwörungen zu glauben, hängen aus diesem Grund eher Meinungen an, denen nur eine Minderheit folgt. Dies erklärt, wieso Menschen in Corona-Zeiten auch eher Thesen vertrauen, die im Kontrast zur gängigen Wissenschaft stehen. Eine weitere Studienreihe ergab, dass Menschen mit Verschwörungsmentalität keinen Unterschied mehr zwischen Laien und Experten machen. Mit diesen Forschungen lässt sich erkennen, wie Informationsverarbeitung bei manchen Menschen funktioniert.
Darüber hinaus geht es natürlich auch um die Auswirkungen von Verschwörungsglaube. Selbst eine einmalige Konfrontation mit einer Verschwörungserzählung im Labor hat schon Konsequenzen: Menschen fühlen sich danach machtloser, entfernen sich von der Gesellschaft oder sind beispielsweise weniger bereit, sich impfen zu lassen. Es zeigt sich auch, dass sich Menschen mit starkem Verschwörungsglaube von der Demokratie entfernen und stattdessen eher bereit sind, Gewalt anzuwenden, um ihre Ziele durchzusetzen.
Auch zu Corona gibt es bereits einige Studien. Menschen, die davon ausgehen, dass es Corona nicht gibt, sehen keine Gefahr – daher folgen sie auch weniger Maßnahmen, um die Pandemie einzudämmen, tragen keine Gesichtsmasken etc.
Gibt es Lösungsansätze, die stärker diskutiert werden sollten?
Der Glaube an Verschwörungen ist weit verbreitet, nicht erst seit es soziale Medien gibt. Ein Drittel der Menschen in Deutschland glaubt, dass Politiker nur Marionetten sind, bei Impfverschwörungen liegt die Zustimmung bei knapp 20 Prozent.
Das Thema Verschwörungsglaube wurde lange vernachlässigt und in eine Ecke gedrängt, man hielt die Menschen für verrückt oder für weniger intelligent. Ich habe das Gefühl, dass sich das Bewusstsein inzwischen gewandelt hat, mit Corona noch einmal stärker. Wir stehen erst am Anfang einer gesamtgesellschaftlichen Debatte, wie mit Verschwörungsglaube umgegangen werden kann. Kritisches Denken sollte Teil der Schulbildung sein, genauso wie eine fundierte Medienbildung. Wir brauchen Anlaufstellen und Bildungsprojekte, damit wir ein stärkeres Bewusstsein für Verschwörungen entwickeln.
Was möchten Sie mit Ihrem Buch erreichen?
In unserem Buch möchten wir zeigen, welche psychologischen Komponenten Verschwörungen ausmachen, welche Rolle soziale Medien dabei spielen und was die Fallstricke sind. Wenn Menschen stark an Verschwörungen glauben, dann sind alle, die als mächtig markiert werden, auf einmal der Feind. Und das hat Konsequenzen. Mit unserem Buch möchten wir eine Debatte anregen, ein stärkeres Bewusstsein schaffen, wie sehr unser Denken von Verschwörungen geprägt sein kann, gerade in unsicheren Zeiten!
Herzlichen Dank für das interessante Interview!
Sozial- und Rechtspsychologie an der Gutenberg-Universität Mainz
Am Lehrstuhl Sozial- und Rechtspsychologie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz wird erforscht, wie und unter welchen Bedingungen Menschen andere Menschen und Gruppen kategorisieren, auf welchen Dimensionen Stereotype gebildet werden oder wie sich der Glaube an Verschwörungstheorien auf beispielsweise das Gesundheitsverhalten auswirkt.
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