Neu: Käte Hamburger Kolleg „Dis:konnektivität in Globalisierungsprozessen“
Immer schneller, immer vernetzter, immer internationaler – lässt sich so Globalisierung verstehen? Mitnichten. Was den Forschungsansatz des neuen Käte Hamburger Kollegs (KHK) an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) ausmacht, erläutern die drei DirektorInnen Prof. Christopher Balme, Prof. Burcu Dogramaci und Prof. Roland Wenzlhuemer.
Gerade in Krisenzeiten wird eines deutlich: Das bisherige Verständnis von Globalisierung als unaufhaltsame Intensivierung globaler Verdichtung und Vernetzung ist zu einseitig, zu einfach. Globalisierungsprozesse sind äußerst komplex, verlaufen alles andere als linear und beeinflussen sich wechselseitig. Ein aktuelles Beispiel für dieses Changieren zwischen Verflechtungs- und gleichzeitigen Entflechtungsprozessen ist die Corona-Pandemie, die sich im Zuge der Globalisierung verbreitet und durch unterschiedliche Maßnahmen eingedämmt werden soll (mehr dazu siehe Blogbeitrag).
Dis:konnektivität als neuer Ansatz in der Globalisierungsforschung
Das KHK hat sich daher dem Ziel verschrieben, Globalisierungsprozesse grundlegend neu zu denken – und hat eigens dafür einen neuen Begriff geprägt: „Dis:konnektivität“. Er beschreibt das sich wechselseitig bedingende, spannungsreiche Verhältnis von globaler Verflechtung, fehlender Verbindung und Entflechtung, die erst in Relation zueinander wirksam werden. Das stellt in der Globalisierungsforschung einen völlig neuen Ansatz dar. Das Kolleg geht von drei grundlegenden Formen von Dis:konnektivität aus, die historische und gegenwärtige Globalisierungsprozesse prägen und die Arbeit des Kollegs strukturieren: a) Unterbrechungen, b) Abwesenheiten und c) Umwege.
Verbindung von Kunst, Wissenschaft und Transfer
Um Globalisierungsphänomene in ihrer Komplexität zu erschließen, will das Kolleg – zusammen mit internationalen Fellows – geisteswissenschaftliche und ästhetische Ansätze verbinden und explizit die künstlerische Forschung fördern. Das Kolleg setzt auf einen engen Austausch mit Münchner Kulturinstitutionen wie Theater und Museen und wird zudem ein sogenanntes Transferlab einrichten, um die zentralen Erkenntnisse in den Forschungsdiskurs, besonders aber in die öffentliche Diskussion einzubringen.
Welche Erwartungen haben Sie an das Format?
Prof. Christopher Balme:
Mit dem Format eines Fellow-Programms, wie es das Käte Hamburger Kolleg vorsieht, können wir auf kaum vergleichbare Weise eine Internationalisierung des wissenschaftlichen Austausches realisieren, indem für längere Zeiträume GastwissenschaftlerInnen aus aller Welt zu dem Schwerpunkt des Kollegs „Dis:konnektivität in Globalisierungsprozessen“ forschen.
Die Untersuchung des Themas erfordert eine breit gefächerte kultur-, kunst-, und wissenschaftsvergleichende Perspektive sowie einen weithin sichtbaren Ort der Begegnung, an dem diese einzigartige interdisziplinäre und künstlerische Zusammenarbeit von äußeren Zwängen befreit stattfinden kann.
Das Kolleg ist ein voraussetzungsfreier Raum, der zu ungewöhnlichen Gedanken und unvorhergesehenen Kooperationen einlädt. Es bietet zudem die Möglichkeit, neue Formate zu entwickeln. In unserem Fall wird ein TransferLab als Schaltstelle für die Wissenschaftskommunikation eingerichtet, das Erkenntnisse in den Forschungsdiskurs einbringt, aber auch durch Kooperationen mit lokalen Kulturinstitutionen in die öffentliche Diskussion einspeist.
Was ist neu, aufregend?
Prof. Burcu Dogramaci:
Das Kolleg denkt Globalisierung grundlegend neu, indem es Dis:konnektivität als entscheidenden Bestandteil von Globalisierungsprozessen versteht. Damit verabschieden wir uns von recht verfestigten Denkmodellen einer unumkehrbaren globalen Verflechtung oder einem Gegeneinander von Globalisierung/ Deglobalisierung.
Gemeinsam mit WissenschaftlerInnen aus verschiedenen Disziplinen werden wir über Umwege, Abwesenheit und Unterbrechung als bestimmende Kategorien von Globalisierung nachdenken und theoretische Ansätze und Methoden entwickeln. Mit der Einbindung der Künste in das Kolleg bauen wir unter anderem auf den Perspektivwechsel, den KünstlerInnen mit ihren anderen Denkräumen und Forschungsmöglichkeiten einbringen.
Grundsätzlich verstehen wir unser Kolleg als eine Art Inkubator, unsere Fellows sind die MultiplikatorInnen. Die erarbeiteten Ansätze und Methoden können somit in die beteiligten Fächer (Geschichte, Kunstgeschichte, Theaterwissenschaft) und weit darüber hinaus ausstrahlen und zu einer veränderten Sichtweise auf Globalisierungsdynamiken in Geschichte und Gegenwart führen.
Wie soll Ihr Kolleg in fünf Jahren aussehen? Was soll es bieten?
Prof. Roland Wenzlhuemer:
Die hochgradig dis:konnektive Krise der vergangenen Monate in globaler Pandemie hat uns gelehrt, mit Erwartungen und Prognosen zurückhaltend zu sein. Doch werden wir mit aller Kraft daran arbeiten, das Kolleg in den kommenden Jahren zu einem der wesentlichen internationalen Zentren speziell der geisteswissenschaftlichen Globalisierungsforschung zu machen. Es soll zum einen selbst ein Ort des Wissenschaffens für ForscherInnen aus aller Welt sein. Vor allem aber soll das Kolleg eine wissenschaftliche Drehscheibe sein, an der Ideen entwickelt und international weitergetragen werden.
In fünf Jahren wird das Kolleg hoffentlich als ein einladender Ort bekannt sein, an dem man rund um den Ansatz der „Dis:konnektivität“ neue wissenschaftliche Blickwinkel auf Globalisierungsprozesse entwickeln, erproben und miteinander diskutieren kann.
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