Neu: Käte Hamburger Kolleg für Apokalyptische und Postapokalyptische Studien (CAPAS)
Die Welt geht unter – und das allerorten: in Filmen oder politischen Diskussionen, historisch oder aktuell. Was steckt dahinter? Und wie geht es danach weiter? Dies erforscht das KHK für Apokalyptische und Postapokalyptische Studien (CAPAS) mit internationalen Fellows transdisziplinär an der Universität Heidelberg. Ein Interview mit den CAPAS-Direktoren Prof. Robert Folger und Prof. Thomas Meier.
Gegenwärtige globale Herausforderungen wie die Covid-19-Pandemie oder der Klimawandel rufen apokalyptische Erwartungen hervor. Und das ist nichts Ungewöhnliches im historischen Rückblick. Die Vorstellung, dass die Welt zum Untergang verdammt ist und dieser Untergang unmittelbar bevorsteht, ist vermutlich so alt wie die Menschheit selbst. Gleiches gilt für die Überzeugung, dass es nach dem Ende der Welt weitergeht. Aber wie dieses Weltende aussieht, ob höllisch oder paradiesisch, wer seine zentralen AkteurInnen sind und was die Ursachen sind, unterscheidet sich je nach zeitgeschichtlichem und kulturellem Kontext erheblich.
Das Kolleg hat es sich zum Ziel gesetzt, Systemwandel und (wahrgenommene) -Zusammenbrüche in der Vergangenheit und Gegenwart zu analysieren. Dabei werden Gesellschaften, Individuen und deren Umwelt sowie Zukunftsentwürfe für „die Zeit danach“ in den Blick genommen. Zusammen mit rund zehn internationalen Fellows jährlich wird dies in drei Forschungsbereichen mit wechselseitigen Bezügen untersucht:
Das „Archiv des Imaginariums der (Post-)Apokalypse“ beschäftigt sich mit Bilderwelten und Diskursen (post-)apokalyptischer Visionen,
„Erfahrungen der (Post-)Apokalypse“ fokussieren historische Perspektiven und
die „(Post-)Apokalypsen der Gegenwart“ werden insbesondere in einem transdisziplinären Ansatz natur- und sozialwissenschaftlich in den Blick genommen.
Welche Erwartungen haben Sie an das Format?
Prof. Robert Folger (R.F.): Das Format der Käte Hamburger Kollegs (KHK) kann sicherlich als Erfolgsgeschichte betrachtet werden, die wir mit unserem Kolleg gerne weiterschreiben möchten. Das Format ermöglicht einen kontinuierlichen und - durch die immer wieder neue Zusammenstellung der Fellowgruppen - vielfältigen interdisziplinären Dialog, der zu neuen Erkenntnissen führt. In diesem Sinne hoffe ich auf interessante wissenschaftliche Impulse, innovative Ideen und lebhafte Diskussionen mit unseren Fellows im Kolleg. Und dies ganz besonders mit einer internationalen Perspektive – denn zur (Post-)Apokalypse gibt es viele aufschlussreiche Zugänge jenseits unserer westeuropäischen Theorien und Traditionen, beispielsweise auch aus meiner ursprünglichen Disziplin der Lateinamerikanistik in den Parallelen von (Post-)-Apokalypsen und (Post-)Kolonialismus. Gleichzeitig hoffe ich auch umgekehrt, dass das, was wir erarbeiten, auch anderswo wieder aufgegriffen und weitergedacht wird und so unsere geisteswissenschaftliche Forschung international sichtbarer wird.
Prof. Thomas Meier (T.M.): Angesichts der globalen, komplexen Probleme kommen wir mit dem etablierten disziplinären Blick auf die Welt nicht mehr weiter. Möglicherweise ist die Gliederung der Wissenschaft in Disziplinen sogar ein Teil unserer heutigen Probleme.
Im Format des Käte Hamburger Kollegs spielen disziplinäre Grenzen nun keine Rolle mehr. In einer offenen und konstruktiven Atmosphäre möchten wir uns über die Beschränkungen und Grenzen der Fächer hinwegsetzen und neue Ideen, Methoden und Theorien quer zu bisherigen akademischen Denkgewohnheiten entwickeln. Es wird eine besondere Herausforderung sein, diesen ‚un-disziplinären‘ Brückenschlag nicht nur innerhalb der Geistes-, sondern auch mit den Lebens- und Naturwissenschaften zu wagen und so wissenschaftliche Sichtweisen zu kreuzen, die sich über viele Jahrzehnte auseinanderentwickelt haben.
Was ist neu, aufregend?
T.M.: Freiraum für kritische und offene Forschung zu haben, von anderen Aufgaben und Sorgen weitestgehend entlastet zu sein, war der Kern dessen, was Humboldt als Universität definierte. Dieses Ideal an der Universität des 21. Jahrhunderts leben zu können, ist eine wundervolle Herausforderung. Sie verpflichtet uns aber auch zu zeigen, was (Geistes-)Wissenschaften leisten und zur Lösung der großen gesellschaftlichen Herausforderungen beizutragen vermögen, wenn man ihnen den nötigen Freiraum gibt.
Dieses Abenteuer ist umso aufregender, als wir diese Reise mit exzellenten Kolleginnen und Kollegen aus aller Welt teilen dürfen. Sie werden unsere Gewissheiten in Frage stellen und Perspektiven eröffnen, die weit über den nationalen und europäischen Fokus hinausreichen.
R.F.: Das Thema Weltende betrifft uns alle in fundamentaler Weise. In der Wissenschaft ist es ein zentraler Untersuchungsgegenstand sehr unterschiedlicher Disziplinen von den Religionswissenschaften bis zu Ökologie oder Geophysik beispielsweise. Aber mehr noch: Für unser Kolleg ergibt sich die faszinierende Chance und gleichermaßen Verpflichtung, die Gesellschaft über die traditionellen akademischen Kreise hinaus einzubeziehen. Wir wollen dazu nach Möglichkeit mit KünstlerInnen zusammenarbeiten, und ich bin gespannt welche Ergebnisse die gegenseitigen Inspirationen und Irritationen erzeugen. Genauso wollen wir mit kreativen Formen der Wissenschaftskommunikation die Öffentlichkeit einbeziehen.
Wie soll Ihr Kolleg in fünf Jahren aussehen? Was soll es bieten?
T.M.:Die ersten vier Jahre des Kollegs dienen dazu, das Vokabular, die Begriffe und Bilder apokalyptischer und postapokalyptischer Vorstellungen in historischen Kontexten, gesellschaftlichen Mechanismen und globalen Austauschprozesse zu verstehen. In fünf Jahren wollen wir so weit sein, unser neues Wissen in verschiedene gesellschaftliche Felder wie Ökologie (z.B. Klimawandel), Religion (z.B. Endzeiterwartungen) oder Politik (z.B. gesellschaftliche Desintegration) einzubringen. Hierbei geht es um nichts Geringeres, als die Geisteswissenschaften zu einer Zukunftswissenschaft weiterzuentwickeln: Sie nicht als nörgelnde Mahnerin, sondern als reflektierte Beraterin und kritische Visionärin in den gesellschaftlichen und politischen Diskursen zu etablieren.
R.F.: In fünf Jahren blicken wir auf die ersten vier Jahrgänge der Fellows zurück, mit denen wir dann weiter in allen Teilen der Welt in Kontakt sind. Anschließend an die Aufbau- und Grundlagenarbeit der ersten Jahre haben sich dann sowohl bei uns als auch bei den Fellows selbst neue Projekte ergeben, neue KooperationspartnerInnen gefunden, und wir haben verschiedene neue Forschungs- und Kommunikationsformate erprobt. Ich bin zuversichtlich, dass sich unser Kolleg in Heidelberg dann als ein internationaler Magnet für Forschende aus aller Welt und zugleich als eine Art Scharnier zwischen Wissenschaft und Gesellschaft etabliert hat.
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