Neu erforscht: Lokale (Klima-)Konflikte und Emotionen
Ob Klimawandel, Energiewende oder Wohnungsnot – soziale Konflikte, Krisen und Dissens prägen unseren Alltag. Das Kompetenznetz Lokale Konflikte und Emotionen in Urbanen Räumen (LoKoNet) möchte diese Konflikte besser verstehen.
Im Interview: Dr. Fritz Reusswig, LokoNet-Teilprojektleiter am Potsdam Institut für Klimafolgenforschung e.V.
Antidemokratischer Protest, soziale Spaltungen und populistische Tendenzen sind heute vielerorts erfahrbar. Wie hängen soziale Räume, Konflikte und Emotionen zusammen? Und welche Rolle spielen Emotionen dabei?
Wir gehen im LoKoNet-Vorhaben generell davon aus, dass Konflikte im Rahmen pluralistischer und demokratisch verfasster Gesellschaften nicht die Ausnahme, sondern eher die Regel sind. Konflikte sind nicht nur quasi normal, sie können sogar produktiv sein und den gesellschaftlichen Fortschritt befördern – das zeigt auch ein Blick in die Geschichte. Schließlich verdankt sich die moderne ‚bürgerliche Gesellschaft‘ verschiedenen technischen, sozialen und politischen Revolutionen, und die waren immer sehr konfliktreich. Sie sprechen Phänomene der jüngeren Zeit an, bei denen der Konflikt jedoch ‚umzukippen‘ droht, also unproduktiv wird, eine Gesellschaft eher auseinanderreißt, Rückschritte zu produzieren droht und die Demokratie am Ende untergräbt. Der Aufstieg des Populismus gehört hierher, aber meines Erachtens auch die Zunahme von sozialen Ungleichheiten – nicht nur bei den Einkommen, sondern vor allem auch bei den Vermögen – und natürlich das Aufkommen offen antidemokratischer Diskurse und Bewegungen.
Hier möchten wir genauer hinschauen, begriffliche und empirische Differenzierungen vornehmen, uns übrigens auch vor schnellen Diagnosen und pauschalen Schuldzuweisungen fernhalten. Unsere übergreifende Fragestellung lautet: Wann wird ein sozialer Konflikt zu einem Ferment des sozialen Fortschritts und der weiteren Demokratisierung unserer Gesellschaft werden? Dieser kann auch schon auf der Ebene interpersonaler Beziehungen, etwa im Bereich von Nachbarschaftskonflikten anfangen, wie von den Kolleginnen und Kollegen der Ruhr-Universität Bochum untersucht wird. Wann trägt Konflikt zur Verschärfung von Spaltungen, zur Blockade sozialer Entwicklung und zur Rückbildung demokratischer Prozesse bei? Wie prägen sich diese Konflikte im Raum aus, und welche Rolle spielen Emotionen dabei?
Ich persönlich finde insbesondere die emotionale Dimension spannend. Unser Ziel in LoKoNet ist es, den neueren „affective turn“ der Geistes- und Sozialwissenschaften aufzugreifen und in die empirische Konfliktforschung einzubringen. Zum Beispiel auch die Frage, welche positive Rolle Affekte und Emotionen bei der Bearbeitung von Konflikten spielen können. Wir beobachten viel Empörung und Wut in der öffentlichen und politischen Debatte. Aber wie entstehen diese Gefühle eigentlich im Alltag der Menschen? Und was ist mit positiven Gefühlen wie Freude, Stolz, Empathie, Zutrauen?
Ihr Projekt am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) analysiert lokale Energiewende- und Klimakonflikte. Sie führen u.a. in Berlin Fallstudien durch, in denen sie zusammen mit Praxispartnern die räumliche und emotionale Dimension der lokalen Konfliktdynamik untersuchen. Gibt es schon erste Ergebnisse?
Wir untersuchen den übergreifenden Konflikt zwischen Stadtwachstum und Klimaanpassungserfordernissen, insbesondere dem Erhalt und der Ertüchtigung des Stadtgrüns. Unsere Kolleginnen und Kollegen von der TU Dortmund verfolgen ähnliche Fragen im Ruhrgebiet. Wir sind gerade dabei, die verschiedenen Akteursgruppen zu interviewen, die sich für das Stadtgrün einsetzen – also Kleingärtner, Urban Gardening Aktivisten, Naturschützer, aber auch Angestellte in den Grünflächen- und Umweltämtern. Und wir betrachten einen Konflikt um eine ganz konkrete Kleingartenanlage. Ich persönlich finde gerade die Gruppe der Kleingärtner besonders spannend: Kulturell und politisch alles andere als Klimaaktivisten etwa der Letzten Generation, aber eine gesellschaftlich oft übersehene und unterschätzte Gruppe von Menschen, die sich oft für Klimaanpassung und Klimaschutz einsetzen. Und die übrigens mit viel Liebe zum Garten unterwegs sind. Wann entsteht bei denen Wut, aber was können wir vielleicht auch von ihrer bisweilen belächelten Liebe zum Grün als Gesellschaft lernen?
Im letzten September fand bei Ihnen am PIK die zweite sogenannte „Travelling Conference“ von LoKoNet statt, in diesem Februar die dritte in Dortmund. Was bezwecken Sie mit diesen Konferenzen?
LoKoNet ist ein Forschungsprojekt, aber es ist auch ein Netzwerk. Wir wollen verschiedene Forschungs-Communities miteinander ins Gespräch bringen, die teilweise recht abgeschottet voneinander arbeiten. Und wir wollen den Dialog zwischen Forschung und Praxis verstärken. Einer unserer Projektpartner ist ja das K3B (Kompetenzzentrum Kommunale Konfliktberatung des VFB Salzwedel e.V.). Die machen ganz konkrete Konfliktberatung in Kommunen, und auch hier beobachten wir eine Zunahme und eine Intensivierung von Konflikten. Die Kommunen sind dabei häufig überfordert. Auf unseren Travelling Conferences bringen wir regelmäßig die sozialwissenschaftliche Friedens- und Konfliktforschung zusammen mit Raumplanung, soziologischer und sozialpsychologischer Emotionsforschung – und wir diskutieren dort auch regelmäßig mit Vertreterinnen und Vertretern aus Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft. Das ist immer sehr spannend: Die Wissenschaft muss sich den Fragen und Bedarfen der (kommunalen) Praxis stellen, die Praxis muss sich fragen lassen, ob ihre Problemdiagnosen und Lösungsansätze wirklich haltbar und auf dem Stand der Forschung sind. Ich hoffe sehr, dass wir mit LoKoNet der deutschen Friedens- und Konfliktforschung einen Impuls geben können, der auch international Beachtung findet.
Vielen Dank für das spannende Interview, Herr Dr. Reusswig!
(Das Interview erfolgte schriftlich am 21. März 2024, Fragen: Katrin Schlotter)
Das Netzwerk Lokale Konflikte und Emotionen in Urbanen Räumen (LoKoNet)
Das „Netzwerk Lokale Konflikte und Emotionen in Urbanen Räumen: Transdisziplinäre Konfliktforschung in Wissenschaft-Praxis-Kooperationen“ (Koordination FH Erfurt) wird seit 1. April 2022 für vier Jahre im Rahmen der Förderlinie „Stärkung und Weiterentwicklung der Friedens- und Konfliktforschung“ vom BMBF gefördert. Unter der Koordination der FH Erfurt wird erforscht, wie die Konstruktion von Räumen mit der Entstehung und dem Verlauf von Konflikten in Wechselwirkung steht und wie Emotionen in lokalen Konfliktdynamiken wirksam und bearbeitbar werden.
Im Förderbereich der Friedens- und Konfliktforschung werden derzeit zehn Verbundvorhaben vom BMBF gefördert: Sie tragen dazu bei, dass Politik und Gesellschaft internationalen Entwicklungen auf Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse angemessen begegnen können. Die Verbünde der Förderlinie unterteilen sich in zwei unterschiedliche Förderformate: sieben Kompetenznetze und drei Regionale Zentren.
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