Special „Digitale Innovationen in den Geistes- und Sozialwissenschaften“
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PHOS4D-Verbundprojekt erhellt antike Wohngebäude
Die vier interdisziplinären Arbeitsgruppen Archäologie, Bauforschung, Lichtwissenschaften und Alte Geschichte der TU Darmstadt, der Universität Leipzig und der Hochschule Luzern bringen Licht in antike griechische und römische Wohnhäuser: Sie simulieren das jeweils verfügbare Tageslicht, um die Interaktion von Licht, Architektur, Artefakt und Mensch zu untersuchen.
Im Interview: Projektleiterin Prof. Dr. Franziska Lang und VerbundpartnerInnen (s.u.)
Welche Rolle spielt das Tageslicht bei der Betrachtung antiker Wohnhäuser?
Tageslicht gliedert den Tag wie auch das Jahr. In der Antike wurden viele Aktivitäten während des Tages durchgeführt, da die damaligen Kunstlichtquellen nicht nur teuer, sondern auch vergleichsweise schwach waren. Tätigkeiten waren daher stärker vom Rhythmus der Tages- und Jahreszeiten abhängig. Mit unserem Projekt untersuchen wir die Verfügbarkeit und Verteilung des Tageslichts in antiken Wohnhäusern sowie die Aktivitäten, die in den jeweiligen Räumen stattgefunden haben könnten. Denn die Verfügbarkeit des Tageslichts beeinflusst die Raumnutzung, wie sie auch soziale, technische und kulturelle Praktiken ermöglicht, hervorruft und beschränkt. Es stellt sich ferner die Frage, welchen Einfluss das Tageslicht auf die Entwicklung der Wohnhausarchitektur nahm, etwa die Integration eines Hofes im Haus, durch den die Räume mehr Tageslicht erhielten.
Sie untersuchen exemplarisch vier antike griechische und römische Wohnhäuser. Worauf achten Sie bei der Auswahl der Gebäude?
Die Fallbeispiele wurden so gewählt, dass die Analyse im Zusammenspiel aller Arbeitsgruppen auf einer größtmöglichen gemeinsamen Materialbasis gründet. Die Auswahl der Gebäude richtet sich nach den kulturell unterschiedlichen Typen des Wohnens in griechischer und römischer Zeit. Wir wählten Wohnhäuser, von denen sowohl ausreichend Bausubstanz erhalten geblieben ist als auch archäologische Informationen zu ihrer Nutzung zur Verfügung stehen.
In Orraon (Griechenland) haben Sie bereits Feldforschung einer antiken Siedlung durchgeführt. Was haben Sie dabei entdeckt?
Haus A in Orraon, das um 340 v. Chr. erbaut wurde, stellt als eines der besterhaltenen Beispiele griechischer Wohnarchitektur eine der zentralen Fallstudien unseres Projektes dar. Während der bauhistorischen Forschungskampagne im vergangenen Herbst konnten im Zuge der digitalen Bestandsdokumentation wichtige Rückschlüsse auf die ursprüngliche Gestalt des Wohnhauses in seinen unterschiedlichen Bauphasen erzielt werden. Diese Ergebnisse erlauben erstmals eine verlässliche, dreidimensionale Rekonstruktion des Gebäudes und damit auch eine Simulation der Lichtverhältnisse im Innern des Hauses.
Welche Erkenntnisse versprechen Sie sich durch die digitale Rekonstruktion der Bauten und die Computersimulation antiker Wohnhäuser?
Durch unseren neuen digitalen Ansatz können wir dezidiert das immaterielle Licht als substantiellen Akteur im antiken Wohnhaus erforschen. Mit der experimentellen Tageslicht-Simulation, basierend auf digitalen Rekonstruktionen, wird es erstmals möglich sein, die jeweiligen Lichtverhältnisse zu verschiedenen Tages- und Jahreszeiten in antiken Häusern, vor allem auch in Abhängigkeit von den dortigen Aktivitäten nachzuvollziehen. Daraus wird, in Erweiterung der archäologischen und schriftlichen Überlieferung, eine Metrik zum Nutzungsangebot (Affordanz) des Tageslichts entwickelt, mit der der Einfluss des Lichts auf die räumliche Verteilung von Aktivitäten und damit auf das Zusammenleben in antiken Wohnhäusern untersucht werden kann. Hierdurch werden neue Erkenntnisse in der archäologisch-architekturgeschichtlichen Wohnforschung gewonnen, woraus sich neue Perspektiven für die Identifizierung möglicher Nutzungsszenarien im Sinne einer Sozialgeschichte der Wohnarchitektur wie auch technischer Praktiken eröffnen. Zugleich wird die Erforschung der materiellen Kultur um die Rolle des Tageslichts und seiner Interaktion mit Architektur, Raum und Mensch erweitert.
BMBF-Verbundprojekt PHOS4D
Das BMBF-Verbundprojekt PHOS4D entwickelt Werkzeuge zur Affordanz-basierten Tageslichtanalyse in antiken Häusern mittels Simulation. Das BMBF fördert das Projekt vom 01. März 2021 bis zum 29. Februar 2024 im Bereich der digitalen Geisteswissenschaften.
Lichtwissenschaften: Fachgebiet Klassische Archäologie, TU Darmstadt, Dr.-Ing. Andreas Noback und Institut für Bauingenieurwesen, CC Gebäudehülle und Ingenieurbau, Hochschule Luzern, Dr.-Ing. Lars Oliver Grobe und Stephen Wasilewski (MA)
Bauforschung: Fachgebiet Klassische Archäologie, TU Darmstadt, Dr.-Ing. Clemens Brünenberg, Claudia Mächler MA
Alte Geschichte: Alte Geschichte, Universität Leipzig, Prof. Dr. Charlotte Schubert, Dr. Roxana Kath
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