Geflüchtete sind nicht selten mit traumatisierenden Ereignissen konfrontiert gewesen, die zu psychischen Erkrankungen führen können. Aber wie sieht in Deutschland der Zugang zu einer adäquaten Behandlung aus? Antworten gibt das Verbundprojekt „Migration und Institutionenwandel im deutschen Gesundheitswesen im Feld der psychiatrischen und psychotherapeutischen Versorgung von Geflüchteten – MIGEP“.
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Im Interview die Projektleitungen Professor Dr. Dr. Thomas Gerlinger, Professorin Dr. Annette Elisabeth Töller, Professorin Dr. Constanze Janda sowie Dr. Renate Reiter
Welche Ergebnisse und Erkenntnisse sind aus Ihrem Forschungsprojekt entstanden?
In den meisten Fällen ist die Befassung mit der psychotherapeutischen und psychiatrischen Versorgung von Geflüchteten über eine Ad-hoc-Reaktion nicht hinausgegangen und hat kaum Eingang in die Handlungsroutinen der beteiligten Institutionen gefunden. Das lässt sich auf unterschiedlichen Feldern zeigen. Es existiert keine systematische Ermittlung des Versorgungsbedarfs von Geflüchteten im Rahmen der Gesundheitsberichterstattung. Der Zugang von Geflüchteten zur Krankenversorgung ist nach wie vor eingeschränkt, wobei die jüngsten Gesetzesänderungen teilweise sogar zu einer Verschlechterung der Ansprüche geführt haben. Die unionsrechtlichen Vorgaben sind weiterhin nicht hinreichend umgesetzt. Die Sprachmittlung – eine wichtige Voraussetzung für eine angemessene Versorgung – wird weiterhin nicht von den Krankenkassen bezahlt, und die Bewilligungspraxis unterscheidet sich zwischen den Sozialämtern stark.
Bei der psychotherapeutischen und psychiatrischen Versorgung haben sich neben dem üblichen Weg über Sozialämter Parallelstrukturen herausgebildet: Hier spielen psychosoziale Zentren eine erhebliche Rolle – deren Existenz bleibt aber prekär, weil sie aus stets befristeten Zuschüssen aus öffentlichen Haushalten sowie aus Spenden finanziert und von ehrenamtlicher Arbeit getragen werden. Ähnliches gilt auch für Trauma-Ambulanzen. Hervorzuheben ist auch, dass gesundheitsbezogene Überlegungen bei der Gestaltung der Lebenswelten Geflüchteter kaum eine Rolle spielen.
Aber es gibt auch Ausnahmen: So haben einige Bundesländer eine elektronische Gesundheitskarte eingeführt. Somit müssen Geflüchtete dort nicht den Umweg über die Beantragung von Behandlungsscheinen durch die örtlichen Sozialämter gehen. Da die elektronische Gesundheitskarte nicht flächendeckend eingeführt worden ist, ist auch insofern der Zugang zur psychologischen und psychotherapeutischen Versorgung erschwert.
Worin sehen Sie die Gründe für diese Befunde?
Das Interesse vieler politischer Entscheidungsträger an einer Verbesserung der Flüchtlingsversorgung ist gering. Außerdem ist die Problemkonkurrenz groß: Ging schon bald nach dem Rückgang der Flüchtlingszahlen die Aufmerksamkeit zurück, drängten sich rasch andere Probleme in den Vordergrund, allen voran die Corona-Pandemie. Das große Engagement mancher Verbände und von Einzelpersonen, z. B. von Wohlfahrtsverbänden, trägt zwar zu einer Verbesserung der Versorgungssituation bei. Eine regelhafte Bearbeitung durch die zuständigen Institutionen ist aber kaum zu beobachten.
Welche Aspekte können für die Praxis aufbereitet werden?
Wir hatten einen intensiven Austausch mit Praxispartnern. Die Projektergebnisse haben dazu beigetragen, den Praxispartnern ein Gesamtbild der Regelungen zur psychotherapeutischen und psychiatrischen Versorgung zu vermitteln. Zudem haben wir in Praktiker-Workshops die Ursachen der Defizite und mögliche Wege zu ihrer Überwindung diskutiert. Auch haben wir hier einzelne rechtliche Aspekte aufbereitet, z. B. die Vorgaben zur sog. „qualifizierten ärztlichen Bescheinigung“ (§ 60a Abs. 2c AufenthG), mit denen belegt werden kann, dass eine Abschiebung aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich ist. Die gesetzlichen Kriterien sind in der Praxis ebenso wenig praktikabel wie die Konzeption, dass die Bescheinigung von einem Arzt ausgestellt wird, der Behandelnder und Sachverständiger zugleich ist.
Dr. Renate Reiter, FernUniversität Hagen
Prof. Dr. Annette Elisabeth Töller, FernUniversität Hagen
Prof. Dr. Constanze Janda; Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer
Prof. Dr. Dr. Thomas Gerlinger, Universität Bielefeld
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