Umgang mit Normen rund um den Körper: Verbundprojekt BODYRULES
Durch Zuwanderung wird die Gesellschaft diverser. Immer häufiger treffen Menschen mit unterschiedlichen Vorstellungen vom Umgang mit dem Körper zusammen, etwa in Schulen Krankenhäusern und Schwimmbädern. Aber was bedeutet das für diese Organisationen, wie reagieren sie darauf? Diese spannende Frage hat das BMBF-Verbundprojekt "BODYRULES" anhand von Fallstudien genau untersucht.
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Im Interview die Projektleitungen Prof. Dr. Maja Apelt, Prof. Dr. Ines Michalowski sowie Prof. Dr. Liane Schenk
Sie haben sich mit den Implikationen auseinandergesetzt, dass die Gesellschaft durch Zuwanderung diverser wird. Wieso haben Sie den Blick auf Schwimmbäder, Schulen und Krankenhäuser gelegt?
Maja Apelt: Alle drei sind Organisationen, die Daseinsvorsorge betreiben, d. h., sie sind auf das Wohlergehen einzelner Individuen ausgerichtet und können dabei zugleich einen gewichtigen Beitrag zur gesellschaftlichen Integration leisten und Teilhabe an der Gesellschaft vermitteln. Hier treffen häufiger Menschen mit unterschiedlichen Vorstellungen von sozialen Normen aufeinander. Wenn diese im Zuge von Migration diverser und teilweise widersprüchlicher werden, ist es bedeutsam, wie öffentliche Organisationen damit umgehen, Widersprüche und etwaige Konflikte bearbeiten.
Liane Schenk: Körperbezogene Normen (Kleidung, Ernährung, Scham) sind dabei besonders bedeutend, weil sie sich quasi in die menschliche Matrix einschreiben und wir sie oftmals als etwas Natürliches erleben. Wie wir uns kleiden, was wir gerne essen oder gar nicht mögen - das unter anderem bestimmt unser Gefühl dazuzugehören oder abgelehnt zu werden. Dies vollzieht sich in der Regel vorbewusst, also auf einer unreflektierten Ebene des Handelns, und wird folglich selten offen ausgesprochen. Trotzdem entscheiden auch solche Fragen darüber, wie es um die gesellschaftliche Teilhabe bestellt ist - wer das Schwimmbad besucht, wer sich im Krankenhaus angemessen behandelt oder in der Schule akzeptiert fühlt.
Frau Professorin Apelt, Sie haben erforscht, wie Schulen mit unterschiedlichen Normen rund um den Körper umgehen. Was waren aus Ihrer Sicht besonders bemerkenswerte Ergebnisse?
Maja Apelt: Es hat sich gezeigt, dass der Schulalltag generell nicht von migrationsbezogenen Themen und Konflikten dominiert wird. Auch haben viele Themen, die im öffentlichen Diskurs häufig mit Migration assoziiert werden, diesen Bezug an den Schulen nicht direkt. Wenn also an Schulen z. B. der Sportunterricht geschlechtergetrennt stattfindet, hat dies eher historische Gründe. Denn wir finden dies eher an ostdeutschen Schulen mit geringem Migrationsanteil. Auch das Schwänzen oder Krankmelden vom Sportunterricht wird eher an ostdeutschen Schulen mit geringem Migrationsanteil problematisiert und nicht in den Zusammenhang mit religiöser Diversität gebracht.
Bezogen auf den Schwimmunterricht ist das zentrale Problem der Schulen nicht der Burkini, sondern der fehlende Schwimmunterricht selbst. In 32 % der von uns befragten Schulen wird überhaupt kein Schwimmunterricht oder nur für sehr wenige Jahrgänge angeboten, weil die Schwimmbäder nur wenig Kapazitäten für Schulen bereitstellen oder bereitstellen können. Schwimmen ist aber eine lebenswichtige Fähigkeit und wir sehen hier - unabhängig vom Elternhaus - großen Handlungsbedarf.
Allerdings zeigt der Survey einen Zusammenhang zwischen Migrationsanteil und Konflikten über freizügige Kleidung: Schulen mit einem höheren Anteil an Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund berichteten häufiger über Konflikte um freizügige Kleidung.
Survey und Fallstudien legen auch nahe, dass vor allem in Schulen mit hohem Anteil muslimischer Schülerinnen und Schüler das Fasten im Ramadan ein Gesprächs- und Konfliktthema ist. So widersprüchlich wie die Empfehlungen, sind auch die Lösungsversuche an den Schulen: Während die einen die Schülerinnen und Schüler beim Fasten unterstützen und lediglich gesundheitliche (und weniger die schulischen) Risiken im Blick behalten, sehen die anderen vor allem die schulischen Leistungen in Gefahr. Schulen werten das Fasten z. T. als Provokation gegen den Unterricht. Beide Perspektiven sind zwar nachvollziehbar, lösen aber das Problem nicht. Wenn Bildungsforschende fordern, dass Lehrkräfte hinsichtlich religiöser Diversität weitergebildet und hinsichtlich des eigenen stigmatisierenden Handelns sensibilisiert werden sollen, dann geben sie die Verantwortung für die Probleme einseitig an die Lehrkräfte. Das Paradox aber wird unsichtbar: Überregionale formale Regelungen der Schulbehörden könnten die Schulen und Lehrkräfte entlasten, Widersprüche könnten ggf. gelöst und Handlungsspielräume könnten an den lokalen Bedingungen der Schulen angepasst und erweitert werden.
Frau Professorin Schenk, Sie haben den Wandel organisationaler Regeln im Krankenhaus in drei Kliniken (Dermatologie, Urologie und Geburtsmedizin) analysiert. Welche praktischen Empfehlungen leiten Sie daraus für den Klinikalltag ab?
Liane Schenk: Interviews mit Mitarbeitenden der Krankenhausverwaltung, mit dem medizinischen Personal sowie mit Patientinnen und Patienten zeigen, dass ein kultursensibler Umgang mit dem Körper von dem Erfahrungswissen und von überlieferten sowie individuell erarbeiteten Routinen der Ärztinnen und Ärzte sowie der Pflegekräfte abhängt. Migrationssensible Bedürfnisse im Kontext von Körpernormen werden nicht formal durch die Organisation reguliert. Gelingt es dem medizinischen Personal nicht, migrationssensible Bedürfnisse angemessen zu berücksichtigen, werden medizinische und pflegerische Prozeduren oftmals als scham- oder angstbehaftet erlebt. Dies kann die Versorgung erschweren und zum Abbruch einer Behandlung führen. Als strukturelle Barrieren identifizierten wir festgefahrene diversitätsunsensible Versorgungsabläufe: ein biomedizinisches Krankheitsverständnis, eine hohe Arbeitslast und enge zeitliche Ressourcen. Ein kultursensibler Umgang mit dem Körper erweist sich als ressourcenintensiver und scheint einer an Effizienzkriterien orientierten Versorgungslogik zu widersprechen.
Handlungsempfehlungen sind dementsprechend auf verschiedenen Ebenen zu verorten. Eine erste Ebene zielt auf die Ausbildung, in der das Praxislernen auch kultursensible Praktiken miteinschließen sollte. Interkulturelle Öffnung sollte aber nicht nur Personalentwicklung, sondern auch und vor allem eine diversitätssensible Organisationsentwicklung beinhalten. Das umfasst bspw. eine räumliche Gestaltung, die der Intimsphäre von Menschen bei körperlichen Untersuchungen Rechnung trägt; ein festes Angebot an Kultur- und Sprachmittlung; die Entwicklung und Implementation migrationssensibler Anamnese- und Versorgungskonzepte. Oder auch ein Organisationsklima, welches diversitätssensibles Handeln wertschätzt. Schließlich bedarf es eines Vergütungssystems, das die Fertigkeiten und den Aufwand einer diversitätssensiblen Versorgung honoriert.
Lassen sich Gemeinsamkeiten über die drei Organisationstypen hinweg feststellen?
Ines Michalowski: Für alle Organisationstypen gilt, dass sie mit Widersprüchen umgehen müssen. Einerseits muss in einer pluralen, demokratischen Gesellschaft religiöse und ethnische Vielfalt respektiert werden. Andererseits müssen die Organisationen mit knappen zeitlichen, personellen oder auch räumlichen Ressourcen umgehen können, auch wenn die Vorstellungen über gültige soziale Normen auseinandergehen. Hier geben wir Handlungsempfehlungen etwa für Schulbehörden, Krankenhausgesellschaften oder der Gesellschaft des Badewesens. Sie unterstützen und fordern von den Beteiligten in den Organisationen die Anerkennung und Achtung von religiöser Pluralität und geben klare Hinweise, wie die Widersprüche aufzulösen sind. Viele glauben, das Personal müsse nur mehr interkulturelle Kompetenz erwerben und so können man die Probleme lösen. Dabei wird aber häufig verkannt, dass es sich meist um Paradoxien handelt, die nicht einfach auflösbar sind und die es vielmehr erforderlich machen, die Funktionen informeller Regeln vor Ort zu verstehen.
Prof. Dr. Maja Apelt, Professur für Organisations- und Verwaltungssoziologie an der Universität Potsdam
Prof. Dr. Ines Michalowski, WZB-Fellow mit Anbindung an die Abteilung Migration, Integration, Transnationalisierung und Professorin für Religionssoziologie am Institut für Soziologie der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster
Prof. Dr. phil. Liane Schenk, Leitung der Abteilung Medizinische und pflegerische Versorgungsforschung am Institut für Medizinische Soziologie und Rehabilitationswissenschaft der Charité – Universitätsmedizin Berlin
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