Special „Digitale Innovationen in den Geistes- und Sozialwissenschaften“
Artikel teilen
Vermessung des Grauens: Digitalisierung des U-Boot-Bunkers „Valentin“
Es war eines der größten Rüstungsprojekte im nationalsozialistischen Deutschland: der U-Boot-Bunker Valentin in Bremen-Farge. Der überwiegend von Zwangsarbeitern errichtete Bau erinnert an die Verbrechen der NS-Diktatur. Das interdisziplinäre BMBF-geförderte Projekt „Valentin3D“ vermisst die Ruinen digital, um sie für Forschung und Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Im Interview: Projektleiter Prof. Andreas Birk, Professor für Elektrotechnik und Informatik an der Jacobs University Bremen
Herr Professor Birk, mit Ihrem Projekt verbinden Sie Robotik und Geschichtswissenschaften. Warum ist es von großer Bedeutung, diesen Bunker digital zu erfassen?
Die maschinelle Erfassung und Verarbeitung von 2D- und 3D-Daten ist mittlerweile eine weit verbreitete Methodik in den Geisteswissenschaften. Dazu gehören insbesondere computer-generierte Karten und Modelle, die aus Fotos, Videos oder auch mit speziellen Sensoren wie 3D-Scannern automatisch erzeugt werden. Roboter können als Trägerplattformen dabei sehr hilfreich sein. Sie ermöglichen eine effizientere Erfassung sowie einen Zugang zu Bereichen, die nicht oder nur äußerst schwierig für Menschen zugänglich sind. Dies ist auch der Fall in dem Projekt "Valentin3D". Luft-, Boden- und Unterwasser-Roboter werden dort für die Erkundung und Digitalisierung eingesetzt. Der Bunker wurde während der NS-Diktatur unter großen Opfern von Zwangsarbeitern errichtet. Eine Digitalisierung kann einen breiteren Zugang zu den damit verbundenen Themen ermöglichen. Gleichzeitig gewährt die Erkundung mit insbesondere den Unterwasserrobotern einen Zugang zu Bereichen, die auch für die Geschichtswissenschaften von Interesse sein können.
Was sind die ersten Erkenntnisse aus Ihrem Projekt?
Man würde vielleicht erwarten, dass bei einem Bauwerk aus Zeit der NS-Diktatur so gut wie alles bekannt ist. Schließlich gibt es zum Beispiel Baupläne und Zeitzeugen. Allerdings kann eine Digitalisierung aufdecken, wo es Abweichungen zu diesen Quellen gibt. So kann es etwa von Interesse sein zu erkunden, ob, wo und wie von Plänen abgewichen wurde. Ich persönlich finde es umso bedrückender, je klarer man sehen kann, wie viele Menschenleben geopfert wurden, um unreflektiert irgendwie, irgendwas zu Ende zu bringen. Da spiegelt der Bunker Valentin für mich einen großen Teil des Wahnsinns der NS-Diktatur wieder.
Welche Folgeprojekte könnten aus Ihren Forschungen resultieren?
Die digitalen Daten und Modelle des Bunkers können beispielsweise von der Gedenkstätte und anderen Institutionen genutzt werden, um Aufklärungs- und Bildungsarbeit zur NS-Zeit zu leisten. Für entsprechende Folgeprojekte ist es wichtig zu berücksichtigen, wie die bestehenden Daten sinnvoll aufarbeitet werden können, so dass sie auch wirklich die gewünschten Zielgruppen in der richtigen Form und mit hinreichend Hintergrundinformationen erreichen. Weiterhin ist eine interessante wissenschaftliche Frage, wie sich die Widersprüche, die sich aus verschiedenen Quellen ergeben, digital repräsentiert und verarbeitet werden können. Ein digitales 3D-Modell oder auch Baupläne suggerieren sehr leicht eine absolute Gewissheit, die es im Zusammenhang mit den Geschichtswissenschaften nicht gibt – selbst bei einem Bauwerk, das nicht aus der fernen Vergangenheit stammt. Das ist eine interessante wissenschaftliche Fragestellung für die Digital Humanities im Allgemeinen.
Das Projekt Valentin3D
Ziel des Forschungsprojekts der Jacobs University ist die Digitalisierung des U-Boot Bunkers „Valentin“ bei Bremen-Farge durch Luft-, Boden- und Unterwasserroboter. Dies beinhaltet die vollständige Erfassung der Bauruine und des sie umgebenden Geländes, in dem sich verschiedene Lager für Zwangsarbeiter befanden. Die in dem Vorhaben generierten Daten inklusive der im Projekt erstellten 3D Karte des Bunkers wird der Allgemeinheit und insbesondere der geistes- und kulturwissenschaftlichen Forschung frei zur Verfügung gestellt. Das Projekt wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen der Förderung von Forschungs- und Entwicklungsvorhaben zur Digitalisierung von Objekten des kulturellen Erbes (eHeritage) gefördert.
Denkort Bunker Valentin
Mit einer Länge von 426 Metern, einer Breite von bis zu 97 Metern und einer Höhe von bis zu 33 Metern ist der Bunker Valentin der größte freistehende Bunker in Deutschland. Zwischen 1943 und 1945 waren täglich bis zu 12.000 Zwangsarbeiter aus benachbarten Lagern auf der Baustelle im Einsatz. Viele von ihnen verloren ihr Leben. 1.700 Tote wurden offiziell registriert, Schätzungen gehen von einer weitaus höheren Zahl aus. Der Denkort Bunker Valentin ist ein Ort der Erinnerung an den Krieg und an die Verbrechen des NS-Regimes. Das Gelände ist seit November 2015 für die Öffentlichkeit zugänglich.
Um diese Website bestmöglich an Ihrem Bedarf auszurichten, nutzen wir Cookies und den Webanalysedienst Matomo, der uns zeigt, welche Seiten besonders oft besucht werden. Ihr Besuch wird von der Webanalyse derzeit nicht erfasst. Sie können uns aber helfen, indem Sie hier entscheiden, dass Ihr Besuch auf unseren Seiten anonymisiert mitgezählt werden darf. Die Webanalyse verbessert unsere Möglichkeiten, unseren Internetauftritt im Sinne unserer Nutzerinnen und Nutzer weiter zu optimieren. Es werden keine Daten an Dritte weitergegeben. Weitere Informationen hierzu finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.