Special „Digitale Innovationen in den Geistes- und Sozialwissenschaften“
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Wie digitale Geisteswissenschaften altindische Texte entschlüsseln - Einblicke in das Projekt ChronBMM
Während bei europäischen Textsammlungen meist bekannt ist, aus welcher Zeit sie stammen, schwanken die in der Forschung vorgeschlagenen (und noch immer gültigen) Datierungen vormoderner indischer Texte oft um mehrere Jahrhunderte. Das lässt sich ändern, wie das Projekt „ChronBMM - Bayesian Mixture Models für die Datierung von Textkorpora“ zeigt.
Im Interview: PD Dr. Oliver Hellwig, Projektleiter ChronBMM - Bayesian Mixture Models für die Datierung von Textkorpora, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Herr Dr. Hellwig, vedisches Sanskrit war im zweiten und ersten Jahrtausend v. Chr. in Nordindien in Gebrauch. Erstaunlicherweise ist ein großer Korpus vedischer Texte noch heute erhalten. Was ist das Besondere an diesen Texten?
Da gibt es einiges zu nennen. Fast unglaublich ist zum Beispiel die Tatsache, dass diese riesigen Textmengen über viele Jahrhunderte hinweg ausschließlich mündlich überliefert wurden, und zwar fast ohne Fehler. Das war nur möglich durch eine einzigartige Kultur des Auswendiglernens und Weitergebens in Brahmanenfamilien, die zum Teil sogar heute noch lebendig ist. Dank dieser Tradition haben wir einen außergewöhnlich genauen Einblick in das Denken und die Kultur dieser altindischen Gemeinschaften. Dabei ist es besonders faszinierend, dass die ältesten und die jüngsten dieser Texte etwa 1000 Jahre auseinanderliegen, so dass sich geistesgeschichtliche und sprachliche Entwicklungen über einen langen Zeitraum nachvollziehen lassen. Ferner sollte man noch hinzufügen, dass das Vedische – ebenso wie das Deutsche – zur Familie der indogermanischen Sprachen gehört, so dass unsere Methoden und Ergebnisse auch für andere alte Sprachen dieser Gruppe, wie etwa Griechisch oder Latein, relevant sind.
Warum ist es von großer Bedeutung, diese Texte zuverlässig zu datieren?
Aus dem vedischen Indien haben wir abgesehen von den überlieferten Texten keine Zeugnisse, die einen Hinweis auf die Chronologie und damit die Geschichte dieser Epoche liefern können. Gleichzeitig ist die vedische Zeit von zentraler Bedeutung, um spätere geschichtliche Entwicklungen wie die Entstehung von Buddhismus und Hinduismus zu verstehen. Das Vedische gehört daneben zu den ältesten indogermanischen Sprachen und ist für die Datierung dieser Sprachfamilie wichtig. Da die vedischen Texte selbst keine Entstehungsdaten enthalten, ist es bis heute trotz intensiver Forschung unklar, wie alt diese Texte genau sind und wie sich verschiedene Texte zeitlich zueinander verhalten. Dazu kommt, dass sich oft auch innerhalb desselben Texts verschiedene Abschnitte und ganze Schichten ausfindig machen lassen, die wohl zu unterschiedlichen Zeiten entstanden sind und die noch herausgearbeitet werden müssen. Es gibt also noch sehr viel zu tun!
Sie entwickeln ein Modell, das anhand von linguistischen Merkmalen eine genauere Datierung dieser Texte ermöglicht und zudem auf andere Sprachen übertragbar ist. Wie erklären Sie Fachfremden, was Sie tun?
Sprachen entwickeln sich mit der Zeit: Manche Wörter werden nicht mehr verwendet oder durch neue ersetzt, und grammatikalische Strukturen wie zum Beispiel der Satzbau verändern sich. Wir entwerfen mathematische Modelle, die auf Grundlage solcher Entwicklungen die vedischen Texte zeitlich anordnen und dabei gleichzeitig den aktuellen Forschungsstand in unserem Fach berücksichtigen. Beim Entwurf dieser Modelle konzentrieren wir uns zwar auf das Vedische. Allerdings sind sie in ihrer Grundstruktur so allgemein angelegt, dass sich mit ihrer Hilfe ähnliche Entwicklungen auch in anderen antiken und modernen Sprachen verfolgen lassen.
Das BMBF-Projekt: ChronBMM - Bayesian Mixture Models für die Datierung von Textkorpora
Ziel des Projekts an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf ist die Entwicklung einer computergestützten Methode zur Datierung vedischer Texte, die anhand von linguistischen Merkmalen eine genauere Datierung dieser Texte ermöglichen. Das Projekt wird vom BMBF im Bereich der „Digital Humanities“ gefördert.
Projektleiter Oliver Hellwig, der Indische Philologie, Sinologie und Religionsgeschichte studiert hat, ist für die Modellentwicklung und -evaluation verantwortlich.
Sven Sellmer hat Indische und Klassische Philologie sowie Philosophie studiert und wertet die Ergebnisse aus philologischer und linguistischer Sicht aus.
Sebastian Nehrdich, der Indische Philologie und Sinologie studiert hat, ist für die Entwicklung und Implementierung von Modellen für maschinelles Lernen und die Verwaltung der technischen Infrastruktur verantwortlich.
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