eTaRDiS: Virtual Reality in und für die Geschichtswissenschaft

Wie wäre es, eine innovative Methode zur Interpretation von historischen Ereignissen, Personen und Prozessen zu entwickeln, die neue Forschungsperspektiven und Fragen ermöglicht? Seit Januar 2021 erprobt das BMBF-geförderte Verbundprojekt eTaRDiS eine virtuelle Umgebung, mit deren Hilfe NutzerInnen in Wissensbestände eintauchen und an der Interpretation von historischen Quellen teilhaben können.

Prototyp: Explorationsraum der eTaRDiS

Prototyp: Explorationsraum der eTaRDiS

Melanie Derksen, Projektmitarbeiterin eTaRDiS

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Im Interview: Prof. Dr. Silke Schwandt, Professorin für Digital History an der Universität Bielefeld und Projektmitarbeiterin Julia Becker

Wie kann man Virtual Reality(VR) in der Geschichtswissenschaft nutzbar machen?

Grob gesagt gibt es in der Geschichtswissenschaft zwei Anwendungsszenarien für VR: Man kann entweder möglichst detaillierte Simulationen eines historischen Szenarios entwerfen, damit Geschichte zum Erlebnis wird. Manche Szenarien suggerieren, dass NutzerInnen damit selbst zu ZeitzeugInnen werden könnten. Dies findet vor allem im Bereich der Geschichtsvermittlung statt. Der andere Anwendungsbereich ist die historische Forschung, also ein Szenario, in dem man selbst zur HistorikerIn wird, um nachzuvollziehen, wie historisches Wissen erzeugt wird. Denn in der Geschichtswissenschaft geht es darum, zu zeigen, dass es nie nur eine Version der Geschichte gibt. Vielmehr ist jede Interpretation an die Perspektive und die eigene Gegenwart der Interpretierenden gebunden. Um diese Perspektivgebundenheit zu verstehen, ist ein großes Maß an Abstraktionsfähigkeit notwendig – und deswegen entwerfen wir keine begehbaren Welten, wie beispielsweise virtuelle Spiele, sondern setzen bei den Daten an, die die Basis für jede historische Erzählung sind. Diese wollen wir in einem virtuellen Erfahrungsraum zur Exploration bereitstellen und für geschichtswissenschaftliche Forschung nutzbar machen.

Und was bedeutet das für die Geschichtswissenschaft?

Die Geschichtswissenschaft muss sich trauen, sich der neuen Möglichkeiten durch digitale und virtuelle Medien zu bedienen. Das geschieht unter anderem im Bereich der Digital History, die beispielsweise auf Methoden der Data Science zurückgreift, um auf der Basis von Daten und Visualisierungen zu neuen Interpretationen zu kommen. In einem weiteren Schritt wird die Virtual Reality zu einem Labor, in dem NutzerInnen direkt mit Daten und Visualisierungen experimentieren können. Dabei bleibt der Kern des geschichtswissenschaftlichen Arbeitens erhalten: der kritische Umgang mit Fakten und deren Überlieferung. Daraus ergeben sich viele neue Möglichkeiten für den Forschungsprozess, aber auch viele neue Herausforderungen. 

Mit Ihrem VR-Projekt eTaRDiS möchten Sie neue Zugriffe auf kulturhistorische Daten ermöglichen. Welche Erkenntnisse versprechen Sie sich davon?

Das von uns entwickelte Tool versteht sich als Portal zu historischen Daten und Quellen, durch das NutzerInnen in Wissensbestände eintauchen können. So findet man beispielsweise in einem Datenknotenpunkt zu Bielefeld historische Dokumente, Zeitungsartikel, Karten oder Videos. Die virtuelle Umgebung soll NutzerInnen in Anlehnung an Archive und Bibliotheken das Eintauchen in eine geschichtswissenschaftliche Atmosphäre erleichtern und sie befähigen, in einem partizipativen Prozess zu verstehen, wie historische Erzählungen konstruiert werden. Gleichzeitig ermöglichen wir die Konstruktion eigener Wissenswelten durch die Interaktion mit den zur Verfügung gestellten Daten sowie weiteren Datenbeständen, die selbst eingepflegt werden können. Beides führt zu neuen Sichtweisen und damit zu neuen Erkenntnissen!

Sie entwickeln im Projekt eTaRDiS einen Prototyp. Wo soll die Reise noch hingehen?

Derzeit greifen wir auf verschiedene bestehende Datenbanken zurück, die in sich schon jeweils spezifische Wissensordnungen repräsentieren und damit immer selektiv sind. Es wäre wichtig, diese Datenbasis mit Hilfe internationaler BeiträgerInnen zu erweitern, um vielfältige Perspektiven und Narrative zu gewinnen – insbesondere solche jenseits der westlich geprägten akademischen Welt.

Prof. Dr. Silke Schwandt

Philipp Ottendörfer Fotografie

Prof. Dr. Silke Schwandt ist Professorin für Digital History an der Universität Bielefeld.


Mario Botsch

Mario Botsch

Prof. Dr. Mario Botsch leitet den Lehrstuhl Computergraphik an der Fakultät für Informatik der TU Dortmund.


Prof. Dr. Philipp Cimiano

privat

Prof. Dr. Philipp Cimiano ist Professor für Semantische Datenbanken an der Technischen Fakultät der Universität Bielefeld.


Julia Becker

Julia Becker

Julia Becker, Magistra of Cultural Studies, arbeitet im geisteswissenschaftlichen Teil des Projekts als wissenschaftliche Mitarbeiterin.


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