Genua am Bosporus– Interview mit Byzantinistin Dr. Mabi Angar über die spätmittelalterliche Genuesenstadt Pera

Eine weitere Station auf der Entdeckungstour durch die Welt der Kleinen Fächer führt in die genuesische Handelsniederlassung Pera am Bosporus (13.-15. Jh.). Dr. Mabi Angar rekonstruiert in ihrem BMBF-geförderten Projekt die spätmittelalterliche Genuesenstadt Pera, und zwar auf der Basis historischer Zeugnisse und mit computergestützten Mapping-Methoden.

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Frau Dr. Angar, was ist das Faszinierende an der spätmittelalterlichen Genuesenstadt Pera?

Pera liegt im heutigen Istanbuler Stadtteil Beyoğlu. Das Faszinierende ist, dass die Genuesen von Pera im Spätmittelalter am Bosporus, also weit entfernt von der ligurischen Heimat, in einer überwiegend von Byzantinern und Türken bewohnten Umgebung, die gleichen Verhältnisse und Bedingungen vorfanden wie in der italienischen Mutterstadt Genua.

Die politische und gesellschaftliche Struktur Peras war nach dem Vorbild Genuas organisiert. Die Verwaltung, die Rechtsprechung, die üblichen Maße und Gewichte (relevant für Kaufleute, Bäcker, Schlachter usw.) und selbst die lateinische Messe in der Kirche – alle Bereiche des täglichen Lebens waren wie in Genua gestaltet. Der Kolonie stand auch ein jährlich wechselnder Beamter (Podestà) mit seinem Apparat vor.

Die Vormachtstellung der Genuesen im östlichen Mittelmeerraum hatte gute Gründe: Zum Teil hatten sie weitreichende Handelsprivilegien und Zollbefreiungen mit dem byzantinischen Kaiser ausgehandelt. Außerdem wurde in Pera offenbar recht freigiebig die genuesische Staatsangehörigkeit verliehen. Das hatte auch zur Folge, dass viele Byzantiner aus Gründen der Steuervermeidung die genuesische Staatsangehörigkeit annahmen – sehr zum Leidwesen des byzantinischen Fiskus. Mitte des 14. Jahrhunderts führten die Genuesen von Pera mit ihren byzantinischen Nachbarn einen erbitterten Krieg um die Vormachtstellung im Handel. In diesem Zusammenhang ist der genuesische Galataturm – heute ein Touristenmagnet Istanbuls – entstanden.

Galataturm, Istanbul (2017)

Galataturm, Istanbul (2017)

Mabi Angar

Welches Ergebnis ihrer Forschungen hat Sie besonders überrascht und warum?

Mich hat das Ergebnis meiner Sichtbereichsanalyse des Galataturms überrascht. Der Turm bietet heute mit einer Höhe von 67 m einen einzigartigen Panoramablick auf die Metropole und ihre umliegenden Gewässer (Bosporus, Goldenes Horn, Marmarameer). Diese Höhe geht aber auf das 19. Jahrhundert bzw. Restaurierungen der 1960er Jahre zurück. Der Turm war ursprünglich längst nicht so hoch wie heute und war, anders als man vielleicht annimmt, nicht ausschließlich auf die Gewässer ausgerichtet, sondern auch für die Verteidigung der Landseite, gen Norden, relevant.

Es galt also die ursprüngliche Höhe des um 1348 errichteten Turms annähernd zu ermitteln, zumal die erhaltenen schriftlichen Zeugnisse berichten, dass die Genuesen von Pera nur über begrenzte Steinvorräte verfügten und deshalb beim Bau des Bollwerks im Laufe der Zeit zunehmend auf Holz zurückgreifen mussten. Bei der Untersuchung spielte die Einbeziehung des Gesamtterrains eine große Rolle. Für die Genuesen war beim Bau des Galataturms, der auf einer Anhöhe (ca. 40 Meter über N.N.) errichtet wurde, auch die Kontrolle des Hinterlandes, das von weiteren Anhöhen geprägt war, von Bedeutung.

Angriffe gegen die „Rückseite“ der am Ufer des Goldenen Horns gelegenen Handelsniederlassung Pera waren keine Seltenheit. Dass man mit einer Sichtbarkeitsanalyse mit Hilfe eines geographischen Informationssystems (GIS) genau berechnen kann, welche Bereiche der Umgebung sichtbar gewesen wären, wenn man beim Turm von einer hypothetischen Höhe von 20, 30 oder 40 Metern ausgeht, ist eine sehr willkommene Methodenerweiterung für Fragestellungen der historischen Bauforschung. Aufgrund der exponierten Lage des Hügels – das hat die Sichtbereichsanalyse gezeigt – kann man bereits bei einer relativ geringen Turmhöhe von 30 Metern von einer ausreichenden Übersicht des Hinterlandes sprechen.

Sichtbereichsanalyse des Galataturms bei einer hypothetischen Höhe von 30 Metern

Sichtbereichsanalyse des Galataturms bei einer hypothetischen Höhe von 30 Metern

Mabi Angar

Inwieweit hat sich die Corona-Pandemie auf Ihr Projekt ausgewirkt? Gibt es innovative Elemente, die die Corona-Bedingungen für Ihr Forschungsfeld gebracht haben?

Dringende Forschungsaufenthalte in Istanbul mussten leider bis auf weiteres verschoben werden. Vorträge und Tagungen werden dank Zoom und anderer Dienste künftig eine andere Reichweite haben, das ist bei Orchideenfächern sehr wünschenswert. Vielleicht wird sich aber auch mehr als zuvor zeigen, wie wichtig die persönliche Begegnung gerade bei den sogenannten kleinen Fächern ist, die oftmals international und interdisziplinär ausgerichtet sind.

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