Mit Stadtkarten auf Zeitreise: Interview mit Denkmalwissenschaftlerin Dr.-Ing. Carmen M. Enss, Leiterin des Projekts UrbanMetaMapping
Kriegsschadenskarten, Karten mit historisch bedeutenden Gebäuden, Wohnraumkarten – seit Ende 2020 sammelt und erforscht der BMBF-geförderte Forschungsverbund UrbanMetaMapping historische Karten, die Städte während und nach dem Zweiten Weltkrieg abbilden. Was Stadtkarten über die Transformation von urbanen Räumen in Mittel-und Osteuropa verraten, erklärt Verbundleiterin Dr. Carmen M. Enss.
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Frau Dr. Enss, mit Ihrem Verbundprojekt analysieren Sie Stadtkarten, die in mittel- und osteuropäischen Städten während des Zweiten Weltkriegs entstanden sind und für den Wiederaufbau eine große Rolle spielten. Wie sind Sie auf dieses Forschungsthema gekommen?
Schon länger stelle ich mir die Frage, wie es kommt, dass einige Gebäude, die im Krieg beschädigt wurden, wiederaufgebaut wurden, andere hingegen abgebaut und ganz neu gebaut. Und wie kommt es, dass einige Städte den Eindruck machen, als hätten sie schon immer so existiert, wie sie heute sind? Bei anderen wiederum ist klar, dass die meisten Gebäude aus der Nachkriegszeit stammen. In beiden Fällen konnte es aber gleich große Kriegsschäden gegeben haben.
Im Münchner Stadtarchiv habe ich große Kriegsschadenspläne gefunden. Darauf sind die Schäden für jedes einzelne Haus in der Innenstadt genau kartiert. Im selben Plan steht aber auch, welche Bauten aus Sicht der Stadtverwaltung unbedingt erhalten und aufgebaut werden sollten. Ich fand heraus, dass hinter dem relativ intakten Altstadtbild in München ein besonders System der Aufbauplanung steckte. Nach und nach habe ich gemeinsam mit KollegInnen recherchiert, dass Karten dieser Art eigentlich von allen kriegsbeschädigten in Europa Städten zu finden sind. In London wurden darin sogar die einzelnen Raketenkrater verzeichnet. Im zerstörten Warschau dokumentierte eine riesige Baubehörde alle nur denkbaren Aspekte zu den Gebäudeschäden. Nur wurden die Karten bisher lediglich mit dem Krieg, nicht aber mit den Nachkriegsstädten in Verbindung gebracht.
Mit der vergleichenden Kartenforschung geben Sie ganz neue Einblicke in die Geschichte des urbanen Raums in Europa. Wie gehen Sie dabei vor?
Unser Forschungskonsortium untersucht, wie verschiedene Themenkarten den Wandel der zerstörten Städte in funktionierende Orte zum Leben und Arbeiten vorbereiteten und begleiteten. Die Karten verzeichnen beispielsweise auch neue Straßen, fehlende oder neugebaute Wohnungen, die Einwohnerstruktur, Flüchtlingszuwachs, Denkmalorte, Trümmerberge, provisorische Bauten und vieles mehr. Mit diesen Karten können wir die Stadtgeschichte der frühen Nachkriegsstädte viel besser verstehen. Viele Aspekte, zum Beispiel die Trümmerräumung, sind bisher noch legendenumwoben. Manche Orte in Mittelosteuropa erlebten starke Fluktuationen in der Bevölkerung. Das bauliche Erbe musste in massiv beschädigten Städten teils ganz neu und abstrakter gedacht werden, weil die alten Baudenkmäler nicht mehr aufrecht standen. Die verschiedenen Kartendokumente zeigen uns, wie Städte in der kurzen Phase nach Kriegsende immer wieder neu betrachtet und in einigen Aspekten auch neu erfunden wurden.
Inwieweit hat sich die Corona-Pandemie auf Ihr Projekt ausgewirkt?
Die meisten Karten, die wir erforschen, liegen in Planschränken in Stadtarchiven. Archivrecherchen waren in der Pandemie bisher kaum möglich. Ein Ziel unseres Projektes ist es aber auch, die Karten digital zugänglich zu machen und mithilfe unserer Datenplattform vergleichend zu untersuchen. Wir haben mit solchen Karten, die wir bereits gescannt hatten, gestartet. Unsere Gruppe arbeitet an vier Standorten. Durch digitale Arbeitsweisen konnten wir nicht nur untereinander Kontakt halten, sondern uns auch noch weiter international vernetzen.
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