Endlich sichtbar: Innovative Frauen und ihre Forschungsleistungen in der Archäologie
Während Archäologen meist als weltgewandte Abenteurer im Licht der Öffentlichkeit stehen, bleiben Archäologinnen und ihre Forschungsleistungen oft unsichtbar. Das ändert sich mit dem BMBF-Projekt „Akteurinnen archäologischer Forschung zwischen Geistes- und Naturwissenschaften: im Feld, im Labor, am Schreibtisch (AktArcha)“. Und nicht nur dort.
„Seit Jahrzehnten, wenn nicht seit Jahrhunderten, erscheinen Archäologinnen in der Öffentlichkeit weitaus seltener als Leistungs- und Potenzialträgerinnen als ihre männlichen Kollegen“, stellt die Archäologin PD Dr. Doris Gutsmiedl-Schümann fest. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Historischen Institut der Universität der Bundeswehr München, wo das Team von AktArcha archäologisch arbeitende Frauen in Vergangenheit und Gegenwart in ihren unterschiedlichen Arbeitsfeldern und mit ihren individuellen Lebens- und Karrierewegen erforscht. So schrieb beispielsweise die Autodidaktin Julie Schlemm (1850-1944) 1908 im Alleingang das „Wörterbuch zur Vorgeschichte“, eine fast 700 Seiten lange und mit 2.000 Abbildungen versehene enzyklopädische Sammlung von Objekten und Funden v.a. aus der mitteleuropäischen Archäologie. Sie geriet jedoch völlig in Vergessenheit, weil sie nie eine offizielle Position an einer Universität oder in einem Museum innehatte und anders als die Professoren ihrer Zeit – allesamt Männer – keinen Kreis von Schülern um sich scharen konnte, der die Erinnerung an sie wach hielt.
Genau dieses Ziel verfolgt auch das AktArcha-Projekt: Das Team der Universität der Bundeswehr arbeitet daran, innovative Frauen und ihre Forschungsleistungen im Bereich der Archäologien sichtbar zu machen. „Uns ist es wichtig, insbesondere Archäologinnen des 19. und 20. Jahrhunderts als positive Vorbilder und Identifikationsfiguren zu präsentieren – sowohl in der breiten Öffentlichkeit als auch bei Studierenden und beim wissenschaftlichen Nachwuchs. Wir wollen jungen Menschen, insbesondere Mädchen und jungen Frauen, Impulse für ihre Berufswahl geben und Führungspersonen Orientierungsmöglichkeiten aufzeigen, um die Arbeitswelt diverser und inklusiver zu gestalten“, erläutert die Historikerin PD Dr. Elsbeth Bösl, die das Projekt leitet. „Wissen über die Vergangenheit kann helfen, ein Gespür dafür zu entwickeln, welche Strukturen oder Politiken zu mehr Chancengleichheit, Gerechtigkeit und Würdigung beitragen können“.
Leistungen innovativer Frauen bekannt machen
Im Mittelpunkt des Projekts stehen die Biografien archäologischer Akteurinnen und ihre Beiträge zur Fachentwicklung vom späten 18. bis ins 21. Jahrhundert im deutschsprachigen Raum. „Wir kombinieren die Perspektiven und Methoden der archäologischen Genderforschung und der Wissenschaftsgeschichte mit den Möglichkeiten der Digital Humanities und der Expertise von Ausstellungsmacherinnen“, so Bösl. Das Team arbeitet mit einer Vielzahl von Quellen: Ob Bibliothekskataloge, wissenschaftliche Fachzeitschriften aus rund 200 Jahren oder auch Studien- und Personalakten – alles, was im wissenschaftlichen Arbeitsalltag entsteht, kann Quelle sein. In den Archiven der Museen, Landesdenkmalämtern und anderen Institutionen, in denen archäologisch gearbeitet wird, finden die Forscherinnen beispielsweise Korrespondenzen und Fotosammlungen. Einige Archäologinnen haben auch wissenschaftliche Nachlässe oder private Briefe hinterlassen. „Unser Zugang ist kritisch, wir wollen keine Heldinnengeschichten erzählen, sondern thematisieren ausdrücklich auch Scheitern, Fehler und Verfehlungen. Gerade auch die Verstrickungen der Wissenschaftlerinnen in die Diktaturen des 20. Jahrhunderts wollen wir deutlich machen“ betont Bösl.
Veröffentlichungen, Posterausstellung und Workshop
„Unsere Forschungsergebnisse tragen wir Stück für Stück in das frei zugängliche, biografische Informationssystem Propylaeum Vitae ein“, so Gutsmiedl-Schümann. Ergänzend dazu führt das Team Expertinneninterviews mit Frauen durch, die heute archäologisch tätig sind und aus ihren Erfahrungen berichten können. Besonders aussagekräftige historische Beispiele werden im Projektblog und auf den Social Media Kanälen des Projektes in der breiten Öffentlichkeit bekannt gemacht. „Im November 2022 startet unsere mobile Posterausstellung ‚Ein gut Theil Eigenheit. Lebenswege früher Archäologinnen‘, in der wir die Geschichten von neun ausgewählten Frauen vorstellen“, kündigt Bösl an.
Die Ausstellung beginnt mit Sibylle Mertens-Schaffhausen (1797-1857), einer versierten Sammlerin und Mäzenin, die in Köln, Bonn und Rom einen Salon mit altertumswissenschaftlichem Schwerpunkt führte. Vorgestellt wird auch Johanna Mestorf (1828-1909), die das Museum vaterländischer Alterthümer in Kiel leitete und als erste Frau im Königreich Preußen den Titel „Professor“ trug. Sie übersetzte auch Werke skandinavischer Archäologen ins Deutsche und erschloss sie damit der deutschsprachigen Forschung. Die Ausstellung endet mit den Archäologinnen Prof. Waltraud Schrickel (1920-2009) und PD Dr. Sigrid Dušek (1937-2009), deren Lebenswege in BRD, DDR und dem wiedervereinigten Deutschland nachvollzogen werden können. Auch eine digitale Version und Zusatzmaterial werden online verfügbar sein. Ein internationaler genderarchäologischer Workshop ist in Planung, um die Ergebnisse zum Projektende in den internationalen Forschungsstand einordnen zu können.
Geschlecht als Forschungsgegenstand
Ergänzend zur Biographieforschung untersucht das AktArcha-Team Geschlecht als erkenntnisleitende Kategorie der Wissenschaftsgeschichte und als Forschungsgegenstand der Archäologien. Beide Forscherinnen sind sich einig: „Es ist spannend herauszufinden, wie sich etwa politische und kulturelle Rahmenbedingungen, fachliche und persönliche Netzwerke oder Entwicklungen in benachbarten Wissenschaften auf die Möglichkeiten und Wege ausgewirkt haben, die Frauen in den Archäologien offenstanden.
Weitere Informationen zum BMBF-Förderschwerpunkt „Innovative Frauen im Fokus“
Das Projekt „Akteurinnen archäologischer Forschung zwischen Geistes- und Naturwissenschaften: im Feld, im Labor, am Schreibtisch (AktArcha)“ wird am Historischen Institut der Universität der Bundeswehr München durchführt. Erforscht werden die Biografien archäologischer Akteurinnen und ihre Beiträge zur Fachentwicklung vom späten 18. bis ins 21. Jahrhundert. BMBF-Förderlinie: Strategien zur Durchsetzung von Chancengerechtigkeit für Frauen in Bildung - Innovative Frauen im Fokus, Förderkennzeichen 01FP21056. Projektleitung: PD Dr. phil. Elsbeth Bösl, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Historischen Institut der Universität der Bundeswehr München. Laufzeit: 01.09.2021 bis 31.08.2024
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