Gebündeltes Wissen zu Kleinen Fächern: Interview mit Prof. Dr. Uwe Schmidt, Leiter der Mainzer Arbeitsstelle Kleine Fächer
162 Kleine Fächer, 3105 Professuren an deutschen Hochschulen – seit 2012 hat die Arbeitsstelle Kleine Fächer das Wissen zu den Kleinen Fächern erfasst, gebündelt und sichtbar gemacht. Zudem vernetzt sie die Akteure aus den kleinen Fächern untereinander und mit der Hochschulpolitik. Doch das ist nicht alles – wie das Interview mit Arbeitsstellenleiter Professor Dr. Uwe Schmidt zeigt.
Herr Professor Schmidt, seit 2012 leiten Sie die Arbeitsstelle Kleine Fächer und haben die Entwicklung der Kleinen Fächer in vielerlei Hinsicht erforscht und auch vorangetrieben. Wie stehen die Kleinen Fächer heute da?
Kleine Fächer werden häufig als bedroht wahrgenommen. Dies war in der Zeit der Öffnung der Hochschulen in den 1970er Jahren nicht anders als heute. Der Grund hierfür ist, dass kleine Fächer in der Regel nicht nur über wenige Professuren je Standort verfügen, was ein wesentliches Kriterium für die Definition eines Fachs als klein darstellt, sondern sie haben in der Regel auch wenige Studierende. Gerade in Zeiten, in denen die Budgets der Hochschulen maßgeblich von der Anzahl der Studierenden abhängen, wie dies zurzeit der Fall ist, sehen sich kleine Fächer grundsätzlich als bedroht. Und in der Tat gestaltet sich die Situation für kleine Fächer nicht einfach: Zum einen führte die Studienstrukturreform mit der Umstellung auch Bachelor- und Masterstudiengänge dazu, dass kleine Fächer häufig nicht über ausreichende Ressourcen verfügten, um einen eigenen Studiengang zu stemmen. Zum anderen ist zurzeit insbesondere für die Geisteswissenschaften, in denen die Mehrzahl der kleinen Fächer beheimatet ist, zu beobachten, dass die Studierendenzahlen deutlich sinken und der Legitimationsdruck auf die kleinen Fächer zunimmt. Auf der anderen Seite zeigen unsere Studien, dass kleine Fächer im Bereich der Forschung leistungsstark sind und in den Geistes- und Sozialwissenschaften bspw. über höhere Drittmittel je Professur verfügen als mittlere und große Fächer. Und kleine Fächer verfügen häufig, so ein Ergebnis unserer Internationalisierungsstudie, über eine Vielzahl internationaler Kooperationen, was für Universitäten und Forschungsvorhaben gewissermaßen wie ein Türöffner wirken kann.
Das BMBF hat ganzes Bündel von Maßnahmen zur Stärkung der Kleinen Fächer auf den Weg gebracht, darunter Ihr BMBF-Projekt „Die Dynamik kleiner Fächer“. Bei der Abschlussveranstaltung im Januar in Mainz haben Sie zusammen mit zahlreichen Gästen einen Blick zurück und nach vorn geworfen: Was sind die wichtigsten Ergebnisse des Projektes?
In diesem Projekt haben wir uns mit drei zentralen Fragstellungen befasst: Welche Gründe sind maßgeblich für die Gründung neuer Fächer, welche für die Schießung kleiner Fächer und schließlich: Welche Rolle spielen kleine Fächer in interdisziplinären Verbünden mit anderen Fächern. Wesentlich für die Gründung kleiner Fächer sind zum einen strategische Überlegungen der jeweiligen Universität, um spezifische Fächerprofile auszubilden, die etwa zu Alleinstellungsmerkmalen in der deutschen Hochschullandschaft führen. Aber zum Teil sind es auch externe, insbesondere politische Faktoren und gesellschaftliche Entwicklungen, die zur Einrichtung eines Fachs an einer Universität beitragen. Aktuelle Beispiele sind die Digital Humanities oder die Hebammenwissenschaften, die inzwischen an mehreren Universitäten etabliert wurden.
Betrachtet man Schließungsprozesse, so kommen die bereits angesprochenen Faktoren zum Tragen, die in erster Linie in nicht mehr zur Verfügung stehenden Ressourcen, veränderten Schwerpunktsetzungen und der Sichtbarkeit des Fachs liegen.
Schließlich haben wir uns die Rolle kleiner Fächer in interdisziplinären Kooperationen angeschaut und konnten feststellen, dass kleine Fächer dort sehr erfolgreich sind. So sind sie in vielen Clustern der Exzellenzinitiative und in Sonderforschungsbereichen vertreten und nehmen dort eine wichtige Funktion ein, indem sie häufig die Schnittstelle zwischen größeren Fächern besetzen und dort zu innovativen Forschungszugängen beitragen.
Zudem soll das Portal Kleine Fächer als technische Grundlage für eine mögliche Kartierung der kleinen Fächer in Frankreich dienen, die derzeit in Zusammenarbeit mit der Arbeitsstelle Kleine Fächer entwickelt und durchgeführt wird. Worum geht es in diesem von der VolkswagenStiftung Hannover geförderten Projekt?
Wir kooperieren auf Initiative der European University Association mit Kolleginnen und Kollegen aus Frankreich, um unsere Erfahrungen aus der Kartierung zur Verfügung zu stellen. Die dabei gewonnenen Ergebnisse sollen auf europäischer Ebene diskutiert werden und ggf. auf weitere Länder übertragen werden. Das Projekt zeigt uns sowohl Potenziale als auch Grenzen der Übertragung, die vor allem in den unterschiedlich organisierten Wissenschaftssystemen zu finden sind. Gleichzeitig konnten wir Parallelen feststellen, die eine Kartierung für ausgewählte Fächer möglich machten. Die detaillierten Ergebnisse des Projekts werden voraussichtlich im Sommer im Rahmen eines Workshops auf europäischer Ebene vorgestellt.
Das Projekt ging über die Kartierung der Studiengänge hinaus – und hat verschiedene Akteure der Kleinen Fächer und der Hochschulpolitik an einen Tisch gebracht, bei drei Expert/innen-Workshops zur strategischen Weiterentwicklung kleiner Fächer und zur Abschlusstagung. Wie lassen sich die Karriereperspektiven für den wissenschaftlichen Nachwuchs verbessern? Könnten Sie uns ein Beispiel nennen?
Die Arbeitsstelle hat in den vergangenen Jahren eine Vielzahl an Workshops organisiert, in denen Vertreter der Hochschulen, der Ministerien und der Wissenschaftsforschung zusammenkamen, was sich als sehr produktives Format erwiesen hat. Mit Blick auf die Karriereperspektiven für Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler zeigen sich grundsätzlich die gleichen Herausforderungen, die durch die besonderen Bedingungen des deutschen Hochschulsystems und des Wissenschaftsvertragszeitgesetz gegeben sind – dies allerdings in noch stärkerem Maße, da die Optionen, in kleinen Fächern eine Professur zu erlangen nochmals begrenzter sind.
Wie sieht bei Ihnen mit der Weiterqualifizierung des wissenschaftlichen Nachwuchses aus?
Die wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Arbeitsstelle Kleine Fächer gehören der Arbeitsgruppe für Wissenschafts- und Hochschulforschung am Zentrum für Qualitätssicherung und -entwicklung (ZQ) an, einer zentralen Einrichtung der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, an. Als Leiter des ZQs und der Arbeitsstelle Kleine Fächer habe ich zudem an der Universität Mainz eine Professur für Hochschulforschung inne. Dadurch bieten sich vielfältige Möglichkeiten der wissenschaftlichen Weiterqualifikation und darüber hinaus inhaltliche Anknüpfungspunkte an andere Bereiche innerhalb unserer Einrichtung. Unsere Mitarbeitenden können auf Grundlage der Daten der Arbeitsstelle Kleine Fächer forschen und publizieren. Aktuell ist beispielsweise eine Publikation zum Thema interdisziplinäre Kooperation im Begutachtungsprozess und eine weitere zum Thema Gründungen in Vorbereitung, eine Promotionsschrift zum Thema Fachstandortschließungen ist in Arbeit. Zudem sammeln sie Erfahrungen etwa in der Konzeption und Antragsstellung von Forschungsprojekten, der Organisation wissenschaftlicher Tagungen und der Präsentation von Ergebnissen.
Noch eine letzte Frage: Was wünschen Sie sich für die Arbeitsstelle Kleine Fächer?
Aus Perspektive der Arbeitsstelle wäre es sicher interessant, ein umfassendes Monitoring für die Entwicklung nicht nur kleiner, sondern aller Fächer zu implementieren. Dies hätte sowohl für die Hochschulpolitik, die Hochschulen als auch die Wissenschaftsforschung Vorteile, um Entscheidungen mit weiteren Evidenzen auf Systemebene unterlegen zu können.
Herzlichen Dank, Herr Professor Schmidt, für das interessante Interview!
(Das Interview erfolgte schriftlich am 15. Februar 2023, Fragen Katrin Schlotter)
Arbeitsstelle Kleine Fächer
Die Arbeitsstelle Kleine Fächer ist eine seit 2012 am Zentrum für Qualitätssicherung und -entwicklung (ZQ) der Johannes Gutenberg-Universität Mainz angesiedelte Forschungseinrichtung. Die Untersuchungen der Arbeitsstelle Kleine Fächer zielen zum einen auf die Erforschung der Entwicklung (kleiner) wissenschaftlicher Disziplinen sowie zum anderen auf eine höhere Evidenzbasierung von Entscheidungen mit Blick auf die kleinen Fächer im deutschen Hochschulsystem.
Zu den Hauptaufgaben der Arbeitsstelle Kleine Fächer gehört es,
• kleine Fächer in Abgrenzung zu großen Fächern und nicht-selbständigen Teildisziplinen zu identifizieren,
• den Bestand kleiner Fächer an deutschen Universitäten kontinuierlich zu dokumentieren (= Kartierung der kleinen Fächer),
• die Entwicklung und Rahmenbedingungen kleiner Fächer an deutschen Universitäten vergleichend zu untersuchen,
• die Daten und Untersuchungsergebnisse zu den kleinen Fächern digital sowie über Publikationen, Vorträge und Workshops öffentlich zugänglich zu machen.
Zu Aufgaben der Arbeitsstelle Kleine Fächer und Rolle der Kleinen Fächer sehen Sie sich auch das Interview mit Prof. Dr. Uwe Schmidt
Übersicht der Projekte der Arbeitsstelle Kleine Fächer
Das Portal Kleine Fächer gibt mit einer Kartierungsdatenbank einen bundesweiten Überblick zur Situation kleiner Fächer an deutschen Hochschulen, zeigt Profilen von Expert/innen aus den kleinen Fächern, Informationen zu hochschulpolitischen Rahmenbedingungen und Förderangeboten für kleine Fächer sowie Meldungen, Berichte und Interviews zu kleinen Fächern bereit.
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