Omikron und Olympiade: Interview mit China-Experte Prof. Dr. Björn Alpermann
Unlängst hat China die 24. Olympischen Winterspiele 2022 ausgerichtet – unter denkbar schwierigen Bedingungen. Welche Rolle die Pandemiebekämpfung dabei einnimmt, erläutert Prof. Dr. Björn Alpermann, Lehrstuhlinhaber für Contemporary Chinese Studies an der Universität Würzburg. Er leitet das BMBF-Verbundprojekt "Welterzeugung ('worldmaking') aus globaler Perspektive: ein Dialog mit China".
Herr Professor Alpermann, mit Ihrem Verbundprojekt untersuchen Sie bestehende Auffassungen von „Welt“ und Praktiken von „Welterzeugung“. Worum geht es?
Es geht darum, den eurozentrischen Blick zu überwinden und durch die intensive Beschäftigung mit China eine globale Betrachtungsweise einzunehmen. Zentral ist für uns die Frage, wie unterschiedliche Welten entstehen, sich verändern oder wieder verschwinden. Wir untersuchen in parallelen Teilprojekten die translinguale Begriffsgeschichte chinesischer Welten, soziale Welten in Chinas Städten, Lebenswelten und ihre Veränderungen durch Krisen sowie konkurrierende Weltordnungskonzepte und ihre Trägergruppen.
Welche „Welten“ trafen gerade während der Olympischen Spiele aufeinander?
Zum einen stand die Eröffnungsfeier unter dem Motto „Eine Welt, eine Familie“. Damit versuchten die Organisatoren sowohl an den Slogan der Sommerspiele von 2008 anzuknüpfen („Eine Welt, ein Traum“) als auch die Einigkeit zumindest in der Welt des Sports zu beschwören. Zum anderen zeigte sich aber auch die zunehmende Spaltung der Weltpolitik, die solchen Visionen entgegensteht. Die Feierlichkeiten wurden von den USA und vielen ihrer Verbündeten boykottiert – mal deutlicher, mal verklausulierter ausgesprochen. Die Präsidenten Russlands und Chinas, Putin und Xi, nutzten ihre Zusammenkunft in Beijing dafür, ihre übereinstimmende Kritik an der NATO-Osterweiterung zu Gehör zu bringen.
Wie unterschiedlich diese Welten funktionieren, zeigte sich auch an den Reaktionen auf die uigurische Fackelträgerin Dilnigar Ilhamjan, die das Olympische Feuer entzünden durfte. Für Kommentatoren aus liberalen Demokratien war das angesichts der gut dokumentierten Menschenrechtsverletzungen in der Autonomen Region der Uiguren Xinjiang mindestens eine Geschmacklosigkeit, eine Provokation oder gar krasse Propaganda. Für die chinesischen Organisatoren war es ein Symbol, dass Uigurinnen ganz selbstverständlich zur chinesischen Nation gehören und diese auch repräsentieren können. Das war als Signal sowohl an das heimische Publikum als auch an die internationale Öffentlichkeit gerichtet.
Und nicht zuletzt traf in Beijing auch der sogenannte „Null-COVID“-Kosmos mit dem Rest der Welt zusammen, der sich allmählich an ein Leben mit dem Coronavirus gewöhnt. Die Pandemie hat einerseits viel Verbindendes hervorgebracht, was gern übersehen wird: Lockdowns, Social Distancing, Maskentragen, Impfnachweise usw. sind die neue „globale Form“ – soziale Praktiken und Institutionen, die nahezu überall verbreitet sind, aber lokal unterschiedliche Ausprägungen besitzen. Während die internationale Mobilität stark zurückgegangen ist, haben wir eine Art in situ Globalisierung erlebt, indem wir über digitale Technologien wie Videokonferenzen immer stärker in weltumspannende Kommunikationsnetzwerke eingebunden sind. Andererseits zeigen die Spiele von Beijing, dass in den Prinzipien der Pandemiebekämpfung grundlegende Unterschiede bestehen können. Dass ausgerechnet China, das als Ursprungsland des neuartigen Coronavirus gilt, an seiner „Null-COVID“-Strategie festhält, empfinden viele im westlichen Ausland als Treppenwitz.
War bei diesen Winterspielen die Pandemiebekämpfung die wichtigste Disziplin?
Aus Sicht der chinesischen Regierung ist das sicherlich so. Anders als bei Sommerspielen ist für China bei Winterwettkämpfen die endgültige Platzierung im Medaillenspiegel nicht so zentral, obwohl ein dritter Platz – vor den USA – natürlich willkommen ist. Wirtschaftlich geht es potenziell um viel, denn der Wintersport soll auch zu einer neuen Industrie aufgebaut werden. Entscheidend ist jedoch, ob die Omikron-Variante des Coronavirus durch die strenge Abschottung des olympischen Trosses von der chinesischen Allgemeinbevölkerung ferngehalten werden konnte. Chinas Regierung hat das Narrativ ihrer erfolgreichen Pandemiebekämpfung stark zur eigenen Legitimation eingesetzt und sich dabei immer positiv von Europa und Nordamerika abgesetzt. Jetzt kann sie entweder nochmals untermauern, dass ihr Vorgehen tatsächlich so viel effektiver ist, oder das ganze Narrativ gerät gefährlich ins Wanken. Für die vergleichende Bewertung der chinesischen Anti-COVID-Strategie ist aber auch eines zu bedenken: Für China liegt der Vertrauensverlust in die Regierung noch in der ungewissen Zukunft, in vielen liberalen Demokratien ist er in Teilen der Bevölkerung schon eingetreten.
Wie ist vor dem Hintergrund der Abschottung ein Dialog mit China möglich, insbesondere im wissenschaftlichen Bereich?
Auch hier erleben wir Gegensätze und Ungleichzeitigkeiten: Im medizinischen Bereich zirkuliert das Wissen rund um das neue Coronavirus so schnell wie nie zuvor und akkumuliert sich global. In den Geistes- und Sozialwissenschaften bestehen aber zwischen China und dem Rest der Welt große und sogar wachsende Klüfte. Und das liegt nicht nur an den Reisebeschränkungen durch die Pandemie, die natürlich den Austausch behindern. Wir müssen in Deutschland besser verstehen, unter welchen Bedingungen und politischen Vorgaben in China geforscht wird, um auch zwischen den Zeilen lesen zu können. Die Wissenschaften sind in China noch nicht komplett gleichförmig, auch wenn die Regierung ihnen mehr ideologische Linientreue abverlangt. Der Dialog muss aufrechterhalten werden, um die verbleibenden Freiräume zu schützen.
Verbundprojekt "Welterzeugung aus globaler Perspektive: ein Dialog mit China"
Der interdisziplinäre Verbund „Welterzeugung („worldmaking“) aus globaler Perspektive: ein Dialog mit China“ untersucht bestehende Auffassungen von Welt und Praktiken von Welterzeugung in enger Kooperation mit deutschen und chinesischen Kolleginnen und Kollegen unterschiedlicher Disziplinen. Das Projekt wird seit November 2020 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Verbundpartner sind: die Freie Universität Berlin, die Georg-August-Universität Göttingen, die Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg sowie die Ludwigs-Maximilians-Universität München und die Julius-Maximilians-Universität Würzburg.
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