Interview zur Stiftungskonferenz „Wissenschaftsfreiheit international und national“ mit MWS-Präsidentin Ute Frevert

Passend zum Wissenschaftsjahr 2024 – Freiheit richtete die Max Weber Stiftung (MWS) die Stiftungskonferenz „Wissenschaftsfreiheit international und national“ am 20. November 2024 in Berlin aus. Im Fokus standen Bedrohungen und Perspektiven der Wissenschaftsfreiheit weltweit. Mehr dazu erfahren Sie im Interview mit MWS-Präsidentin Ute Frevert.

Eröffnungsrede von MWS-Präsidentin Ute Frevert bei der Stiftungskonferenz „Wissenschaftsfreiheit international und national“

Eröffnungsrede von MWS-Präsidentin Ute Frevert bei der Stiftungskonferenz „Wissenschaftsfreiheit international und national“ 

Carla Schmidt, Max Weber Stiftung 

Was sind die wichtigsten Ergebnisse der Stiftungskonferenz „Wissenschaftsfreiheit international und national“ der MWS?

Porträt MWS-Präsidentin Ute Frevert

Andreas Reeg

Ute Frevert: Ziel der Stiftungskonferenz war es, vor dem Hintergrund der in Deutschland geführten Debatte über Wissenschaftsfreiheit Einblicke zu gewinnen, wie es andere Länder und Weltregionen damit halten. Da die Max Weber Stiftung Institute in elf verschiedenen Ländern dieser Erde unterhält – in Europa und Asien, im Nahen Osten und in Nordamerika –, kann sie diese Einblicke aus erster Hand geben und hat das in mehreren hochkarätig besetzten Expertenrunden auch getan. Wer sich darüber informieren möchte, sei auf die Aufzeichnung der differenzierten Diskussionen verwiesen. Wenn es ein zentrales Fazit gab, dann dieses: Wissenschaftsfreiheit ist grundlegend für eine liberale und demokratische Gesellschaft. Allerdings wurde auch klar: Diese Freiheit ist nicht selbstverständlich. Obwohl sie im Grundgesetz festgeschrieben ist, muss sie immer wieder neu verteidigt werden – gerade heute, gerade in einer Welt, in der die Feinde der Wissenschaft und ihrer Freiheit zunehmend lautstarker auftreten, intern und extern.

Inwieweit unterscheiden sich die Debatten über Wissenschafts- und Meinungsfreiheit?

Ute Frevert: Beide Freiheiten schützt das Grundgesetz. Aber es gibt Unterschiede. Wissenschaft ist keine Meinung, sondern verpflichtet sich der Suche nach Wahrheit – wohl wissend, dass man sich der Wahrheit nur annähern kann, ohne sie je vollständig zu besitzen. Das bedeutet im Klartext, andere Perspektiven, andere Forschungsansätze gelten zu lassen, sie in der eigenen Analyse zu berücksichtigen, Argumente dafür und dagegen abzuwägen. Für solche Abwägungsprozesse haben die Wissenschaften verbindliche Regeln aufgestellt. Sie sind nicht abhängig von dem, was gesellschaftliche Gruppen oder die Regierung hören möchten. Sie folgen eigenen, selbstgesetzten Erkenntniskriterien, und eben diese Autonomie und Freiheit werden von der Verfassung garantiert. Wer Wissenschaft mit Meinung verwechselt und politischen Aktivismus über die Regeln der Forschung stellt, schwächt die Wissenschaft und sägt an ihrer Freiheit.  Die Anerkennung der Prinzipien des wissenschaftlichen Diskurses gilt für Forschende ebenso wie für Vertreterinnen und Vertreter von Gesellschaft und Politik.

Gab es Handlungsempfehlungen?

Ute Frevert: Unsere Empfehlungen richten sich an alle – Wissenschaftsinstitutionen, politische Entscheidungsträger und -trägerinnen und Zivilgesellschaft. Erstens: Schutzprogramme wie Scholars at Risk sollten ausgebaut werden, damit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Gefahr einen sicheren Ort für ihre Arbeit finden. Zweitens: Der offene Zugang zu wissenschaftlichen Ergebnissen – Open Science – muss gestärkt werden, damit Wissensaustausch global einfacher wird. Drittens: Wissenschaftskommunikation ist enorm wichtig. Aber nicht nur im Sinne eines Sender-Empfänger-Transfers. Gesellschaft und Politik müssen begreifen, wie Wissenschaft „funktioniert“, was sie kann und was sie nicht kann, nämlich endgültige Wahrheiten verkünden. Viertens: Internationale akademische Netzwerke sollen weiterentwickelt werden, weil sie für Austausch und Multiperspektivität unverzichtbar sind. Und schließlich: Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen sollten ermutigt werden, ihre Stimmen in politische und gesellschaftliche Diskussionen einzubringen, dabei aber klar zwischen persönlicher Meinung und fachwissenschaftlicher Argumentation unterscheiden. Auch Geldgeber – egal ob öffentlich oder privat – sollten diese Unterscheidung anerkennen.

Was ist Ihr Fazit?

Ute Frevert: Die Konferenz hat eindrucksvoll gezeigt, dass Wissenschaftsfreiheit – gerade auch in den Geistes- und Sozialwissenschaften - eine unerlässliche Grundlage für die Kraft gesellschaftlicher Selbstreflexion und Entwicklung ist. In vielen Ländern, von den USA über Russland bis Indien, ist diese Freiheit akut bedroht, und auch in Deutschland sehe ich solche Tendenzen, „von oben“, von Staatswegen ebenso wie „von unten“, seitens aktivistischer Gruppen. Es braucht daher sowohl Wachsamkeit als auch Engagement. Die vielen praxisnahen Ideen für dieses Engagement, die wir diskutiert haben, haben mich optimistisch gestimmt. Sie liefern gute Ansätze dafür, wie Wissenschaft, Politik und Gesellschaft gemeinsam an der Sicherung dieser essenziellen Freiheit arbeiten können.

Besten Dank für Ihre Einschätzung, Frau Prof. Frevert!

(Das Interview erfolgte schriftlich am 17. Januar 2025, Fragen Katrin Schlotter)

Hier geht’s zu den Mitschnitten der MWS-Konferenz zu Wissenschaftsfreiheit

Programmflyer der Stiftungskonferenz der Max Weber Stiftung im Festsaal der HU Berlin

Programmflyer der Stiftungskonferenz der Max Weber Stiftung (MWS): „Wissenschaftsfreiheit international und national“ im Festsaal der HU Berlin (pdf)

Carla Schmidt, Max Weber Stiftung

Panel „Wissenschaftsfreiheit in Osteuropa“ am 20.11.2024 in Berlin: Magdalena Saryusz-Wolska (DHI Warschau) im Gespräch mit Iryna Klymenko (LMU München) und Gwendolyn Sasse (ZOiS)

Panel „Wissenschaftsfreiheit in Osteuropa“ am 20.11.2024 in Berlin: Magdalena Saryusz-Wolska (DHI Warschau) im Gespräch mit Iryna Klymenko (LMU München) und Gwendolyn Sasse (ZOiS) 

Carla Schmidt, Max Weber Stiftung

Panel „Wissenschaftsfreiheit in der Türkei, im Nahen Osten und in Afrika“ am 20.11.2024 in Berlin: Christoph K. Neumann (OI Istanbul) im Gespräch mit Mamadou Diawara (Goethe-Universität Frankfurt)

Panel „Wissenschaftsfreiheit in der Türkei, im Nahen Osten und in Afrika“ am 20.11.2024 in Berlin: Christoph K. Neumann (OI Istanbul) im Gespräch mit Mamadou Diawara (Goethe-Universität Frankfurt) 

Carla Schmidt, Max Weber Stiftung

Round Table 1 „Wissenschaftsfreiheit international und national“ am 20.11.2024 in Berlin: Ralf Beste (Auswärtiges Amt), Ute Frevert (Max Weber Stiftung), Astrid Herbold (DIE ZEIT)

Round Table 1 „Wissenschaftsfreiheit international und national“ am 20.11.2024 in Berlin: Ralf Beste (Auswärtiges Amt), Ute Frevert (Max Weber Stiftung), Astrid Herbold (DIE ZEIT) 

Carla Schmidt, Max Weber Stiftung

Round Table 2 „Wissenschaftsfreiheit international und national“ am 20.11.2024 in Berlin: Ralf Beste (Auswärtiges Amt), Ute Frevert (Max Weber Stiftung), Astrid Herbold (DIE ZEIT)

Round Table 2 „Wissenschaftsfreiheit international und national“ am 20.11.2024 in Berlin: Ralf Beste (Auswärtiges Amt), Ute Frevert (Max Weber Stiftung), Astrid Herbold (DIE ZEIT) 

Carla Schmidt, Max Weber Stiftung

Die Max Weber Stiftung

Die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung institutionell unterstützte Max Weber Stiftung – Deutsche Geisteswissenschaftliche Institute im Ausland (MWS) fördert die Forschung mit Schwerpunkten auf den Gebieten der Geschichts-, Kultur-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften in ausgewählten Ländern. Sie unterhält zurzeit weltweit Institute sowie weitere Forschungsgruppen und Büros. Durch eine unmittelbare Nähe zu den Forschungsgegenständen und im Austausch unterschiedlicher Perspektiven und Herangehensweisen bietet die MWS beste Voraussetzungen für exzellente grenzüberschreitende geistes- und sozialwissenschaftliche Forschung.

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