„BELLUM ET ARTES“: vom Forschungsprojekt zur internationalen Ausstellung
400 Jahre nach dem Beginn des Dreißigjährigen Krieges rücken elf Museen und Forschungsinstitutionen aus Europa die Auswirkungen des Dreißigjährigen Krieges auf die Künstler und die Künste in Mitteleuropa in ein neues Licht. Worum es bei dem international ausgerichteten Forschungs- und Ausstellungsprojekt „BELLUM ET ARTES“ geht und was es bewirken will, erfahren Sie hier.
Im Interview: GWZO-Direktorin Prof. Dr. Maren Röger und Dr. Susanne Jaeger, die das Forschungs- und Ausstellungsprojekt „BELLUM ET ARTES“ maßgeblich koordiniert und betreut.
Die Ausstellung » BELLUM ET ARTES. Sachsen und Mitteleuropa im Dreißigjährigen Krieg « war im Sommer 2021 im Residenzschloss Dresden zu sehen und bildete den Auftakt für das internationale Kooperations- und Ausstellungsprojekt „BELLUM ET ARTES“. Wie kam es zu der Idee, ein so großes Projekt auf die Beine zu stellen?
Den wissenschaftlichen Anstoß gab ein Forschungsprojekt an unserem Institut: Von 2014 – 2019 haben wir interdisziplinär und erstmals transnational die künstlerische Repräsentation in Ostmittel- und Nordosteuropa zur Zeit der Nordischen Kriege untersucht. Dabei haben wir das bisher unbekannte Ausmaß der europaweiten Verflechtung politischer, wirtschaftlicher und künstlerischer Interessen der am Krieg beteiligten Akteure sowie die vielfältigen kulturellen Wechselwirkungen aufgedeckt. So wurden etwa Ausstattungselemente katholischer Kirchen, z.B. aus der Klosterkirche von Oliwa bei Danzig, geplündert, nach Schweden gebracht und dort in protestantische Kirchen eingebaut, wo sie ungeachtet des konfessionellen Unterschieds als künstlerisches Vorbild für neu errichtete Kirchenbauten wirkten. Aufbauend auf diesen Erkenntnissen haben wir gemeinsam mit unserem wichtigen Kooperationspartner, den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD), die Kernfragen zu unserem aktuellen Projekt und das Konzept für die Dresdner Ausstellung entwickelt. Es war ein Glücksfall, dass die KollegInnen des ‚Grünen Gewölbes‘ ebenso großes Interesse an diesem Thema hatten und wir unsere Ideen u.a. dank einer Anschubfinanzierung durch den Freistaat Sachsen gemeinsam umsetzen konnten: Mehr als 61.000 BesucherInnen haben die Ausstellung trotz Pandemie in der knapp dreimonatigen Laufzeit angesehen.
Worum geht es bei der Ausstellung?
Zentrales Anliegen des von uns federführend koordinierten Projekts ist die Untersuchung der Auswirkungen des Dreißigjährigen Krieges auf die Entwicklung der Künste in Mitteleuropa. Man könnte ja annehmen, dass die Entwicklung der Künste während der Kriegshandlungen zum Erliegen kam oder zumindest doch massiv eingeschränkt war. Das ist jedoch ganz und gar nicht so. Vielmehr generierte der Krieg neue Themen und Einsatzfelder der Kunst. Und auch im Krieg spielten Kunstwerke eine wichtige Rolle – als diplomatische Geschenke, zur Dokumentation von Kriegshandlungen, zur Repräsentation siegreicher Feldherren, zur Memoria gefallener Kriegshelden und nicht zuletzt als allseits begehrte Beuteobjekte, die in gezielten Plünderungsaktionen bisweilen mehrfach den Besitzer wechselten. Vor diesem Hintergrund zielt unser Projekt darauf ab, die transnationalen Netzwerke, in denen Künstler und Auftraggeber europaweit miteinander in Verbindung standen, aufzudecken.
Und welche Themen stehen dabei im Fokus?
Wir untersuchen das Schicksal repräsentativ ausgewählter Künstler, die in unterschiedlicher Weise vom Krieg betroffen waren, und verfolgen deren individuellen Umgang mit der Kriegssituation. Ein weiterer Fokus liegt auf der Verflechtung von Kriegshandlungen, Plünderungen, konfiszierten Werken, aber auch von diplomatischen Geschenken und Kunsthandel. Die Wege der translozierten Werke von ihren Ursprungsorten bis zu den heutigen Aufbewahrungsorten werden nachverfolgt. Unser Projekt untersucht diese Phänomene erstmals in transnationaler Perspektive mit elf Partnern in acht europäischen Ländern. Das ist neu, entspricht den Forschungsansätzen unseres Instituts, und das Spektrum erweitert die bisherige auf den ostmitteleuropäischen und baltischen Raum konzentrierte Perspektive unseres vorausgegangenen Projekts.
Was möchten Sie mit diesem neuen Forschungsansatz erreichen?
Die Erforschung von kriegsbedingter Künstlermobilität im 17. Jahrhundert steht noch in den Anfängen. Insbesondere die Erforschung der damals translozierten, heute in den Museen ganz Europas und der Welt verstreuten Werke ist ein Desiderat. Hinzu kommt der Bedeutungswandel oder -zugewinn, den die Werke durch ihre neuen Besitzer erfahren haben. Oft werden die Werke heute ohne die Erwähnung ihrer Ursprünge präsentiert. Diese verkürzte Perspektive blendet einen wichtigen Teil ihrer Geschichte aus. Das möchten wir gemeinsam mit unseren Partnern ändern und so ein Verständnis der Werke als gemeinsames europäisches Erbe – als Shared Heritage – etablieren.
Welche spannenden Zugänge und Informationen bieten die Ausstellungen zur Rolle der Künste im Dreißigjährigen Krieg für die Öffentlichkeit?
Die Ausstellungen bieten den BesucherInnen vielfältige und multimediale Zugänge: Anhand originaler Kunstwerke und Objekte wird die Bedeutung der Kunst während des Krieges erfahrbar. Kunst fungiert nicht nur als Mittel der Repräsentation, diplomatisches Geschenk, als eindrücklicher Friedensapell oder Wertobjekt, sondern sie dokumentiert auch die Schlachten und Schrecken des Krieges, den Tod auf dem Schlachtfeld, die Ausschreitungen gegen Zivilisten. Dies vermitteln zudem bisher unveröffentlichte Zeitzeugenberichte, eingesprochen von SchauspielerInnen und online abrufbar als Audiosequenzen über Smartphone. Die Wege der Künstler und Kunstwerke sind digital und interaktiv auf datenbankbasierten Karten nachverfolgbar.
Und wie gelingt es, den Bogen vom Dreißigerjährigen Krieg zur heutigen Zeit zu spannen?
Die Kernfragen unserer Ausstellungen sind höchst aktuell. Denn auch heute sind Millionen von Menschen durch langjährige Kriege von Gewalt, Hunger und Seuchen betroffen und gezwungen ihre Heimat zu verlassen. Zugleich sind Museen und archäologische Fundstätten in den Krisengebieten Ziel von Plünderung und Raub. Wir verstehen unsere Ausstellungen als Angebot, sich kritisch mit der europäischen Geschichte auseinander zu setzen und den Blick für Parallelen in der Gegenwart zu schärfen.
Die Ausstellungen sind international angelegt. Damit werden sie in unterschiedlichen kulturellen Kontexten und Ländern mit eigener Geschichte gezeigt. Da gibt es doch sicherlich unterschiedliche Perspektiven, oder?
Richtig, alle Partnerländer waren direkt oder indirekt am Dreißigjährigen Krieg beteiligt oder von ihm betroffen. In jedem Land haben sich spezifische regionale bzw. nationale Narrative und Geschichtsbilder entwickelt, die bis heute die Sicht auf diesen Krieg prägen. Die Dresdner ebenso wie die kommenden Ausstellungen beleuchten die Rolle der Künste und Künstler aus spezifischen Perspektiven. Es ist überaus spannend, diese im Einzelnen zu vertiefen und gleichzeitig in einen europäischen Kontext zu setzen. In der für 2024 am Haus der Europäischen Geschichte in Brüssel geplanten Ausstellung werden wir die jeweiligen Perspektiven zu einem differenzierten und facettenreichen europäischen Gesamtbild zusammensetzen, das es erlaubt, die eigenen Geschichtsbilder zu hinterfragen, zu erweitern und ggf. zu korrigieren.
Das GWZO
Das Leibniz-Institut für Geschichte und Kultur des östlichen Europa (GWZO) hat die Region zwischen Ostsee, Schwarzem Meer und Adria im Forschungsfokus. Von der Spätantike bis heute untersuchen Forschende unterschiedlicher geisteswissenschaftlicher Disziplinen und Wissenschaftskulturen die Eigenheiten, Wandlungen und Wechselbeziehungen in einer immer globaleren Welt. Der Bund, das Sitzland Sachsen und viele weitere Wissenschaftsförderer ermöglichen die Arbeit am GWZO. Mehr dazu unter www.uni-leipzig.de/gwzo
Das international ausgerichtete Forschungs- und Ausstellungsprojekt „BELLUM ET ARTES“
Beteiligte Partner sind die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, die Nationalgalerie Prag, das Kunstmuseum Olmütz, die Tiroler Landesmuseen in Innsbruck, der Complesso Museale Palazzo Ducale in Mantua, das Nationalmuseum in Danzig, das Universitätsmuseum in Breslau, das Schlesische Museum zu Görlitz, die Livrustkammaren (Leibrüstkammer) in Stockholm, das Museo Nacional del Prado in Madrid und das Haus der Europäischen Geschichte in Brüssel. Jede der am Projekt beteiligten Institutionen repräsentiert eine andere vom Dreißigjährigen Krieg betroffene Region. Sie alle eint die Absicht, eine langfristige und intensive Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Forschung, Museumsarbeit und Vermittlung zur Rolle der Kunst während des Dreißigjährigen Krieges zu etablieren. Nach der Ausstellung in Dresden im Residenzschloss (8. Juli bis zum 4. Oktober 2021) folgen: Tiroler Landesmuseen Innsbruck (2022), Universitätsmuseum Breslau (2023), Nationalmuseum Danzig (2023), Schlesisches Museum Görlitz (2023), Prag (2023), Haus der Europäischen Geschichte Brüssel (2024), Livrustkammaren Stockholm (2024), Kunstmuseum Olmütz (2026).
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