Die dunkle Seite von Nachhaltigkeit? CALAS-Tagung beleuchtet die Auswirkungen von Nachhaltigkeitspolitik auf Lateinamerika
Klima-, Umwelt- und soziale Krisen spitzen sich zu, daher gewinnen Nachhaltigkeitspolitiken global und lokal an Bedeutung. Aber wie wirkt sich deren Umsetzung in und auf Lateinamerika aus? Damit befasst sich das Maria Sibylla Merian Center for Advanced Latin American Studies (CALAS) und stellte seine Forschungen Ende Januar 2023 bei den „Hofgeismarer Lateinamerikagesprächen“ zur Diskussion.
Im Interview: Prof. Dr. Hans-Jürgen Burchardt, Direktor des Maria Sibylla Merian Center for Advanced Latin American Studies (CALAS)
Bei CALAS befassen sich Forschende mit dem Thema „Krisenbewältigung“ – in und mit Lateinamerika und weit darüber hinaus. Warum ist der Transfer Ihrer Forschungsergebnisse hierzulande von so großer Bedeutung?
Pandemie, Klimawandel, Ukrainekrieg setzen uns alle unter Stress und bringen die Politik in einen dauerhaften Krisenmodus. Dazu kommt, dass diese Krisen nur global bewältigt werden können. Orientierung und Lösungen zu finden, braucht also internationalen Dialog und Zeit zum Nachdenken. Das kann Wissenschaft! Damit sie aber auch gehört und breitenwirksam wird, müssen wir unsere Kommunikation anpassen. Darum wird die Third Mission, also der Transfer von Forschungsergebnissen und internationaler Kooperation in die Gesellschaft, immer wichtiger. CALAS ist da mit verschiedenen Formaten (Podcast, Filmen, Tagungen, Science Slam etc.) Vorreiter.
Angesichts sich zuspitzender Klima-, Umwelt- und sozialer Krisen gewinnen Nachhaltigkeitspolitiken global und lokal an Bedeutung. Was bedeutet das für Lateinamerika?
Im Rahmen der aktuellen Nachhaltigkeitsstrategien gewinnt Lateinamerika für Deutschland und die EU enorm an Bedeutung. In der Region befindet sich ein Großteil der Rohstoffe wie Kupfer oder Lithium, die wir für klimaschonende Technologien wie Elektromobilität brauchen. Lateinamerika musste aber erfahren, dass der Export von Rohstoffen nicht immer zu Reichtum und Entwicklung führt, sondern auch Ungleichheit und Krisen provozieren kann. Um das zu verhindern, brauchen wir einen neuen Kooperationsmodus, der Umweltbelange berücksichtigt, sozialen und technologischen Fortschritt fördert und die sozial-ökologische Transformation in der Region unterstützt. CALAS arbeitet seit Beginn auf Augenhöhe mit den Partner:innen in Lateinamerika und zeigt, wie erfolgreich eine solche horizontale Zusammenarbeit für alle Seiten sein kann.
Ende Januar 2023 drehten sich die Hofgeismarer Lateinamerikagespräche an der Evangelischen Akademie Hofgeismar um die Chancen und Blockaden einer nachhaltigen Transformation in Lateinamerika. Welche Themen wurden besonders intensiv diskutiert?
Gegenüber den Chancen, die die Nachhaltigkeitsstrategien der Region zweifelsohne bieten, sind viele auch über die Gefahren besorgt: Rohstoffausbeutung bedeutet immer auch Umweltbelastungen, Wasserknappheit etc. Auf der Tagung wurde dies als die ‚dunkle Seite der Nachhaltigkeit‘ beschrieben, die wir in Deutschland noch zu wenig berücksichtigen. Klimaschonende Mobilität bei uns darf nicht mit zusätzlichen Belastungen dort erkauft werden. Wir brauchen internationale Kooperation und Lösungen – und manche frischen Ideen aus Lateinamerika sind da wirklich inspirierend.
Und welches Fazit ziehen Sie aus den Diskussionen?
Wenn wir die Klimakrise bewältigen und unseren Kindern & Enkeln eine lebenswerte Welt hinterlassen wollen, müssen wir auch die deutsche und europäische Wirtschaft und Gesellschaft umbauen. Da reichen keine kleinen Schritte, wir stehen am Anfang einer weltweiten epochalen Veränderung. Das ist noch nicht allen klar. Macht aber jetzt schon vielen Angst! Die gute Nachricht: Genug Ressourcen und Wissen sind da! Es geht es nur um das Wie und hier wird deutlich: Die Klimakrise ist vor allem auch eine Verteilungskrise. Wenn die 10 Prozent Reichsten der Weltbevölkerung fast 50 Prozent des CO2 emittieren, werden wir ohne sie mehr Klimaschutz nicht wuppen. Eine nachhaltige Transformation kann nur gelingen, wenn wir alle in die Pflicht nehmen, wenn wir alle mitnehmen und die soziale Frage nicht vernachlässigen.
Herzlichen Dank für das Interview, Herr Professor Burchardt!
(Das Interview erfolgte schriftlich am 2.3.2023, Fragen Katrin Schlotter)
CALAS (Centro Maria Sibylla Merian de Estudios Latinoamericanas Avanzados)
CALAS ist eines der BMBF-geförderten Merian-Zentren: Es hat seinen Hauptsitz in Guadalajara, México und unterhält zudem Regionalzentren in Argentinien, Costa Rica und Ecuador. Das von vier deutschen und vier lateinamerikanischen Universitäten aufgebaute Maria Sibylla Merian Center startete 2019 in seine Hauptphase, gefördert vom BMBF mit zwölf Millionen Euro. Interdisziplinär zusammengesetzte Forscherteams, zu denen im Wechsel bis zu 25 internationale Fellows eingeladen werden, erforschen dort gesellschaftliche Krisen in vier miteinander verbundenen Schwerpunkten: „Sozial-ökologische Transformation“, „Soziale Ungleichheiten“, „Gewalt und Konfliktlösung“ sowie „Identität und Region“. Im Mittelpunkt der Forschung steht, wie die Erfahrungen lokal, regional und global verflochtener Krisen und Veränderungsprozesse von verschiedenen Akteuren ausgelöst, wahrgenommen und reflektiert werden, aber auch welche Lösungsmöglichkeiten aus den jeweiligen Kontexten erwachsen.
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