Mecila Civil Society Workshop 2024 in Berlin: GEMEINSAM END- LICH?
Zum Thema „Klima-Interdependenzen zwischen Europa und Lateinamerika“ richteten das Lateinamerika-Institut der Freien Universität Berlin und Mecila vom 18. bis 20. Januar den Mecila Civil Society Workshop 2024 in Berlin aus. Mecila-Sprecher Univ.-Prof. Dr. Sérgio Costa stellt die wichtigen Themen und Erkenntnisse vor.
Im Interview: Univ.-Prof. Dr. Sérgio Costa, seit April 2017 Sprecher des International Maria Sibylla Merian Centre for Advanced Studies Conviviality in Unequal Societies, gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung.
Bei Mecila untersuchen Sie vergangene und gegenwärtige Formen des gesellschaftlichen Zusammenlebens in Europa und Lateinamerika. Welchen Einfluss haben die Auswirkungen des Klimawandels auf die wechselseitigen Beziehungen?
Fragestellungen zum Klimawandel eignen sich ausgezeichnet, die Wechselwirkung zwischen Ungleichheit und Konvivialität aus einer transregionalen Perspektive zu untersuchen, denn die Auswirkungen der menschlichen Aktivitäten auf das Klima sind ortsungebunden: Gleichgültig wo auf der Erde klimaschädige Emissionen entstehen, haben sie bekanntlich Folgen für den gesamten Planeten. Aber die sozialen und Umweltschäden, die von diesen Aktivitäten hervorgehen, sind sozial und geographisch ungleich verteilt. Diese zunächst abstrakten Verflechtungen konnten anhand von konkreten Fällen im Rahmen unseres Workshops veranschaulicht werden.
Ein gutes Beispiel ist die Elektromobilität, die im Mittelpunkt der deutschen und europäischen Dekarbonisierungsstrategie steht. Besonders einschlägig hierfür waren die Beiträge einer Umweltaktivistin aus dem brasilianischen Jequitinhonha-Tal, nun unbenannt in Lithium-Tal, sowie von Vertretern der brandenburgischen Bürgerinitiative Grünheide, die gegen den Ausbau einer sog. Gigafactory für Elektroautos dort kämpft. Im Austausch zwischen Aktivisten und Forschenden wurde deutlich, dass individuelle Elektromobilität zwar zu einer besseren Luftqualität besonders in den Städten beiträgt, aber in der Gesamtbilanz ungeheuerliche soziale, Umwelt- und Klimafolgen sowohl in Lateinamerika als auch in Europa mit sich bringt.
Wie kann Mecila zu einem besseren Verständnis und Umgang mit Auswirkungen des Klimawandels beitragen?
Neben einer umfassenden Interdisziplinarität folgt das Mecila Centre seit seiner Gründung im Jahr 2017 dem Grundsatz der Transdisziplinarität. Damit erfasst sind methodische Ansätze, die die starre Trennung zwischen „Wissenssubjekten“ (Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler) und „Wissensgegenständen“ (untersuchte Gruppen) bewusst ablehnt. Es handelt sich vielmehr um einen dialogischen und kollaborativen Arbeitsprozess, in dem wissenschaftliche und praxisbezogene Herangehensweisen ineinandergreifen. Dieses Konzept gewann im Workshop konkrete und äußerst produktive Konturen. Es wurde dabei deutlich, dass indigene und andere sog. traditionelle Communities durch ihre Lebensformen und -philosophien, in denen Menschen und Natur nicht als getrennte Entitäten sondern als ein Kontinuum gesehen werden, einen genuinen Beitrag zum Verständnis und Überwindung der Klimakrise leisten. Die Wissenschaft wiederum beleuchtet die komplexen Zusammenhänge, die den Klimawandel ausmachen.
Ihr Workshop stand unter dem Motto „GEMEINSAM END- LICH?” Welche Themen wurden besonders intensiv diskutiert?
Die zwischen Europa und Lateinamerika geteilte Geschichte wurde bislang von Kolonialismus, Sklaverei und ökonomischer Abhängigkeit geprägt. Wir stellten uns im Workshop die Frage, ob der Klimawandel die Verhältnisse zwischen beiden Regionen grundlegend ändert. Die vorläufige Antwort ist: leider nein. Europa und insbesondere Deutschland zeigen sich in der Lage, die Kosten der Klimaanpassung sowie der eigenen Krisen zumindest kurzfristig zu exportieren. Dies wurde anhand der Diskussionen über den deutschen Kohlenimport aus Kolumbien besonders deutlich. Die Beiträge einer Umwelt- und Frauenrechtlerin des indigenen Volks Wayuu und eines Menschenrechtlers des indigenen Volks Yupka ließen prägnant erkennen, wie die nach dem Abbruch der russischen Lieferung wachsende Nachfrage aus Deutschland mit der Kontaminierung der Wasserquellen, der Zerstörung von Lebensräumen sowie mit Hungersnöten für verschiedene indigene Völker und Kleinbauer in Kolumbien untrennbar zusammenhängt. Im Übrigen sind die drastischen Folgen des Kohleabbaus und der entsprechenden Verbrennung für die Erderwärmung, unabhängig davon in welcher Weltregion dies stattfindet, bestens bekannt.
Was ist Ihr Fazit zur Veranstaltung? Gibt es Lösungsansätze?
Der Dialog zwischen Forschenden und Aktivisten um Klimafragen machte die Dringlichkeit deutlich, national engstirnige Scheinlösungen für die Klimakrise durch planetarische Perspektiven zu ersetzen. Dabei rückt die Bedeutung der Wechselwirkung sowohl zwischen den verschiedenen Weltregionen sowie zwischen Menschen und Natur für die Aufrechterhaltung des Lebens auf dem Planeten in den Mittelpunkt des Erkenntnis- und Handlungsinteresses.
Welche weiteren Veranstaltungen stehen 2024 an?
Besonders hervorheben möchte ich unsere Jahreskonferenz, die 07.10 – 11.10.2024 in São Paulo stattfindet. Weitere spannende Veranstaltungen von Mecila finden beinah wöchentlich statt, wie unserem Veranstaltungsprogramm zu entnehmen ist.
Herzlichen Dank für das interessante Interview, sehr geehrter Herr Prof. Costa!
(Das Interview erfolgte schriftlich am 7. Februar 2024. Fragen: Katrin Schlotter)
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