Käte Hamburger Kolleg „Einheit und Vielfalt im Recht | Legal Unity and Pluralism“

Das Käte-Hamburger-Kolleg „Einheit und Vielfalt im Recht“ an der Universität Münster untersucht seit Juni 2021 Rechtsvielfalt aus historischer Perspektive. Mit seinen Forschungsbeiträgen möchte das KHK Diskussionsimpulse zur Bedeutung des Rechts für das gesellschaftliche Zusammenleben in Zeiten des Wandels setzen.

Collage

1. Reihe v.l.n.r.: Schlotheuber, Ludwig, Gosewinkel, Mösch; 2. Reihe v.l.n.r.Beck, Urbanik, von Thiessen, Seebröker, Oestmann

Lennart Pieper, Heiner Witte, Heinrich Heine Universität Düsseldorf

Prof. Dr. Ulrike Ludwig, Direktorin am Käte Hamburger Kolleg Münster „Einheit und Vielfalt im Recht“ (EViR)

Prof. Dr. Ulrike Ludwig

Heiner Witte, MünsterView

Vertreterinnen und Vertreter des Direktoriums und der Fellows beschreiben, was die Lerngemeinschaft am Kolleg besonders macht.

Warum ist Ihr Forschungsthema von großer Relevanz?

Prof. Dr. Ulrike Ludwig, Direktorin am Käte Hamburger Kolleg Münster „Einheit und Vielfalt im Recht“ (EViR): Ausgangspunkt unseres Kollegthemas ist die Beobachtung, dass Recht immer und überall plural verfasst ist. Parallel dazu sind aber fortwährend Tendenzen der Rechtsvereinheitlichung auszumachen. Gemeinsam mit den Fellows für ganz unterschiedliche gesellschaftliche Konstellationen der Frage nachzugehen, welche Formen von Rechtsvielfalt oder aber Rechtseinheit man wo beobachten kann, ist an sich schon spannend. Denn man lernt im Austausch nicht nur Neues kennen, sondern auch viel über den eigenen Forschungsgegenstand. In den gemeinsamen Diskussionen lässt sich zudem in neuer Weise danach fragen, wodurch Prozesse der Rechtsvereinheitlichung eigentlich in Gang gesetzt wurden und was umgekehrt zur Stabilisierung von Rechtsvielfalt führte. Der Clou unseres Kollegthemas besteht wie ich finde aber darin, Einheit und Vielfalt gerade nicht losgelöst voneinander zu fassen, denn häufig ist es eine eher Frage der Skalierung und der Perspektive, ob wir Rechtsvielfalt und -einheit sehen.

Oestmann

Prof. Dr. Peter Oestmann, Direktor am Käte Hamburger Kolleg Münster „Einheit und Vielfalt im Recht“ (EViR)

Worauf sind Sie in Ihrem Kolleg besonders stolz?
Stolz ist ein blödes Wort, wenn es um Wissenschaft geht. In alter Zeit war Stolz sogar eine Todsünde. Was mich am Kolleg begeistert, ist die gelebte Gemeinschaft mit Gastwissenschaftlern. Kollegen aus aller Welt kommen nach Münster, um mit uns über ihre Forschung zu sprechen. Dabei lernen wir nicht nur neue Inhalte und Perspektiven kennen, sondern vor allem interessante Persönlichkeiten. Der Austausch erfolgt auf Augenhöhe, ohne Besserwisserei und Konkurrenz. Dieser gelassene Umgang unter Gleichen ist an der Universität nur selten möglich. Doch am Kolleg ist genau dies eine alltägliche Erfahrung, die mich Tag für Tag aufs Neue motiviert. Hierfür ist es wichtig, dass es keine scharfe Grenze zwischen Arbeit und Freizeit gibt. Exkursionen, Opernaufführungen oder Stadionbesuche sind für die Stimmung genauso wichtig wie die gemeinsame Quellenlektüre, Vorträge oder Tagungen. Die Universität ist eine Lebensgemeinschaft, und ich bin froh, wie weitgehend das Kolleg dieses Ideal verwirklicht.

Heiner Witte, MünsterView

Hans Beck

Prof. Dr. Hans Beck, Münster-Fellow am Käte Hamburger Kolleg Münster „Einheit und Vielfalt im Recht“ (EViR)

What are you particularly proud of in your Kolleg?
As Münster Fellow, my perspective on the Kolleg is bound to differ from those of scholars who come to Münster from destinations afar, making this city their temporary home. I share with them of course the same sense of excitement about innovative exchanges facilitated by the Kolleg – exchanges rich in expertise, centered on common research questions yet grounded in diverse scholarly traditions. Integrated under the aegis of the Kolleg, these interactions often segue from casual conversations to durabe dialogues and robust research alliances; the measurable value for my own work has been priceless. All the while, I am also sensing how the Kolleg brings sustainable change to our university. Drawing cutting-edge scholars at different disciplines and stages in their career to here, the Kolleg demarcates a space where academic vigor, curiosity, and inspiration grow into one. In this sense, it is a landmark in ongoing processes of reframing research in the Humanities and Social Sciences.

privat

Seebröker

Benjamin Seebröker, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Käte Hamburger Kolleg Münster „Einheit und Vielfalt im Recht“ (EViR)

Worauf sind Sie in Ihrem Kolleg besonders stolz?
Es ist für mich eine besondere Freude, dass am Käte Hamburger Kolleg in Münster so viele Menschen mit unterschiedlichen Forschungsinteressen und persönlichen Hintergründen zusammenkommen und in einer ungezwungenen, sehr freundlichen Atmosphäre nicht nur gemeinsam an übergreifenden Fragestellungen arbeiten, sondern vielfach auch in einen engen persönlichen Austausch treten. Ob bei einem gemeinsamen Mittagessen, der wöchentlich stattfindenden Tea Time oder ganz privat am Wochenende – die Gespräche über individuelle Erfahrungen im Wissenschaftsbetrieb und mit akademischen Kulturen in anderen Ländern und Kontinenten, aber auch über viele Themen fernab der Wissenschaft empfinde ich als sehr bereichernd. Die dabei zu entdeckenden neuen Perspektiven und Einschätzungen regen dazu an, eigene Ansichten immer wieder zu überdenken und sich kritisch mit scheinbar Selbstverständlichem auseinanderzusetzen – und was, wenn nicht das, ist der Kern der Geisteswissenschaften?

Heiner Witte, MünsterView

Schlotheuber

Prof. Dr. Eva Schlotheuber, Fellow am Käte Hamburger Kolleg Münster „Einheit und Vielfalt im Recht“ (EViR)

Warum ist Ihr Forschungsthema von großer Relevanz?
Vielen gesellschaftlichen Prozessen liegen Rechtsphänomene zugrunde, die wir nur verstehen können, wenn wir den Prozess rechtlicher Normbildung verstehen. Im Kolleg forsche ich zum ersten Grundgesetz des römisch-deutschen Reichs, der „Goldenen Bulle von 1356“, die über 650 Jahre Gültigkeit behielt. Sie hat paradoxerweise gleichzeitig der Rechtsvereinheitlichung und – mit der Autonomie der Territorien – der Rechtsvielfalt Vorschub geleistet.
Verfassungen gehen in der Regel aus tiefgreifenden gesellschaftlichen Konflikten hervor. Mein Ansatz „Verfassung als Prozess“ versucht beides, die Fragilität gesellschaftlicher Entwicklung zusammen mit der zentralen Aufgabe von Verfassungen als gesellschaftlicher Ankerpunkt in den Blick zu nehmen. Wenn wir die zugrundeliegenden Konfliktlagen erkennen, geraten auch die formenden Kräfte der Entstehungszeit von Verfassungen in den Blick und wir können sie in ihrer Intention, Funktion und ihren eben oftmals widersprüchlichen Wirkungen besser verstehen.

Heinrich Heine Universität Düsseldorf

Gosewinkel

Prof. Dr. Dieter Gosewinkel, Fellow am Käte Hamburger Kolleg Münster „Einheit und Vielfalt im Recht“ (EViR)

Warum ist Ihr Forschungsthema von großer Relevanz?
Meine Forschung zu „Ausbürgern und Töten! Zur Ausschließung von ‚Staatsfeinden‘ aus der Rechtsgemeinschaft“ behandelt anhand der demokratischen Staaten Deutschland, Frankreich, Israel und USA ein zentrales Problem der rechtsstaatlichen Demokratie seit 1945: Inwieweit wird durch Ausbürgerungen und gezielte Tötungen von ‚Staatsfeinden‘ der angestrebte Zugewinn an Sicherheit des Staates mit der inneren und äußeren Destabilisierung als rechtsstaatliche Demokratie erkauft? Im Vergleich der vier Staaten zeigt sich die Vielfalt des Rechts in Traditionen und Mitteln, mit denen Demokratien auf eine grundsätzlich einheitliche staatsgefährdende Bedrohungslage, vor allem durch internationalen Terrorismus, reagieren.
Das Kolleg bietet mir die außergewöhnliche Chance, ein interdisziplinär angelegtes Forschungsprojekt mit VertreterInnen verschiedener Disziplinen, historischer Epochen und methodischer Zugänge konzentriert und in der gemeinsamen Fokussierung auf das Recht intensiv zu diskutieren.

Lennart Pieper, KHK EViR

von Thiessen

Prof. Dr. Hillard von Thiessen, Fellow am Käte Hamburger Kolleg Münster „Einheit und Vielfalt im Recht“ (EViR)

Warum ist Ihr Forschungsthema von großer Relevanz?
Normative Eindeutigkeit sehen wir als Normalfall an. Recht sollte demnach ein klares Regelsystem darstellen, Politik und Verwaltung von privaten Rücksichtnahmen frei sein und das Individuum seine Persönlichkeit unverstellt entfalten. Oder ist dies alles nur eine Fiktion, eine Lebenslüge der Moderne? Der historische Vergleich mit der Frühen Neuzeit, die durch kulturelle Ambiguität statt Eindeutigkeit gekennzeichnet war, ist erhellend. Soziale Rücksichtnahmen auf Verwandte, Patrone und Klienten bestimmten wesentlich das Handeln in Politik, Verwaltung und vor Gericht; unterschiedliche Rechtsquellen und -systeme standen nebeneinander; religiöses Denken durchzog alle Handlungsfelder. Zu untersuchen, wie frühneuzeitliche Akteure sich zwischen Geltungskonkurrenzen und normativen Widersprüchen bewegten und mit Rollen und Handlungserwartungen kasuistisch jonglierten, hält der vermeintlich so klar geordneten Normenwelt der westlichen Moderne den Spiegel ihrer eigenen Unvollkommenheit vor.

Lennart Pieper, KHK EViR

Mösch

Dr. Sophia Mösch, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Käte Hamburger Kolleg Münster “Einheit und Vielfalt im Recht” (EViR)

Why is your research topic of great relevance?
Rather than resorting to Western geographical and chronological frameworks, my project is a trans-cultural dynastic comparison based on the premise that there was a cultural flourishing under the Carolingian, Macedonian and Seljuk dynasties. In the Early and High Middle Ages, political advisers were legitimising power and propagating reforms. Some were religious leaders, others laymen or jurists. I expose cultural differences in the composition of these actors – treated in an oversimplified manner as ‘elites’ in scholarship – who defined the dynamics between political-religious authority and legal structures. A situational approach explores the question of institution and enquires into the motivation behind different attempts to define religious and political duties: was it ‘unification of law’? The aim of the project is to show differing conceptions of law and authority, and to suggest that the West should no longer be seen as the norm.

Heiner Witte, MünsterView

Urbanik

Dr. hab. Jakub Urbanik (he/him), University Professor, Fellow at the Käte Hamburger Kolleg Münster „Einheit und Vielfalt im Recht“ (EViR)

Why is your research topic of great relevance?
Legal plurality is about dialogue, dispute, and argument. Legal orders converse with one another in a community where more than one set of norms is at stake. This, if one looks closely, happens more often than expected: it is observable in Roman Antiquity, the Middle Ages, and Early Modern Era, which contained complex legal mosaics governing people’s lives, or indeed in our own day, where national statutes are interwoven with pan-national law and principles, commercial conventions, or religious canons. We constantly pursue competent rules to solve a problem. One wonders about the cognizance of the rules at play, about the legal awareness of law users and law authorities. Research on legal plurality after all, centres on the norms governing our society. The Kolleg is a place of dialogue, dispute, and argument. It is a unique space where, we, students of various branches of social sciences, converse with one another and learn to comprehend these mechanisms better.

Lennart Pieper

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