RADIS: Forschung zum radikalen Islam in Deutschland und Europa
Islamismus ist eine Gefahr für Europa. Um uns davor zu schützen, müssen wir Ursachen und Wirkungen des radikalen Islam verstehen. Hier setzt das Projekt RADIS an. Wie? Das erklären Extremismusforscher Julian Junk und Philipp Offermann im Interview.
Interview mit Dr. Julian Junk und Philipp Offermann, den Leitern des RADIS Transfervorhabens
Herr Junk, Herr Offermann, als Leiter des RADIS Transfervorhabens begleiten Sie eine Förderlinie, in der im RADIS Forschungsnetzwerk über 100 Forschende an verschiedensten Fragen rund um radikalen Islam arbeiten. Was sind Ihre Kernziele?
Junk: Unser Leitbild ist der dialogische Transfer – nach innen innerhalb des Forschungsnetzwerks und mit der Fachöffentlich nach außen. Die interne Vernetzung klingt vielleicht altmodisch, ist aber bei über hundert Forschenden in den zwölf Projekten essenziell, weil interdisziplinärer Austausch die Forschung insgesamt verbessert. Nun können die teils doch recht großen Verbundprojekte aufeinander Bezug nehmen, Synergien heben, voneinander lernen. Wie unsere Jahreskonferenz in Bielefeld gerade gezeigt hat, ist dies gelungen: Es ist ein richtig enges Netzwerk geworden, in dem man sich kennt, in dem man auch Konflikte aushält und produktiv wendet und in dem die Forschungsthemen aus ganz unterschiedlichen Disziplinen und mit unterschiedlichen Methoden umfassender erforscht werden können.
Offermann: Der Transfer in die Fachöffentlichkeit hat dann drei Facetten: Natürlich wollen wir erstens die gebündelten Ergebnisse, die innerhalb der Förderlinie erzielt werden, kommunizieren. Zudem wollen wir zweitens Handlungsoptionen für den politischen Raum, für Verbände und Praxispartner der Extremismusprävention und politischen Bildung ableiten. Wir nehmen den dialogischen Ansatz dabei ernst: So haben wir beispielsweise von Anfang an Projekte mit der Fachpraxis zusammengebracht, um die Forschungsdesigns entlang den Informationsmöglichkeiten und -bedarfen der Praxis anpassen zu können. Drittens bewegen wir uns alle in einem gesellschaftlich und politisch sehr sensiblen Feld, in dem es Fragen und Beratungsbedarfe gibt. Hier vermitteln wir Kontakte und suchen das Gespräch mit der Öffentlichkeit.
Über ein so komplexes Thema wie den radikalen Islam zu forschen und die Ergebnisse der Forschungen sichtbar und nutzbar zu machen, bringt sicherlich etliche Herausforderungen mit sich. Was gilt es zu beachten, wenn Radikalisierung erforscht wird? Und welche Verantwortung tragen Extremismusforschende?
Junk: In der Tat stellt uns das Forschungsfeld vor besondere Herausforderungen. In sogenannten Clustern, unseren projektübergreifenden Arbeitsformaten, aber auch auf unsere Jahreskonferenzen haben wir nicht ohne Grund unter anderem diese Herausforderungen immer wieder in den Fokus gerückt. Wenn Forschende beispielsweise in sich radikalisierenden Milieus über Interviews oder andere Methoden Daten sammeln, ist es ungeheuer wichtig, die forschungsethischen und datenschutzrechtlichen Abwägungen zwischen öffentlichem und wissenschaftlichem Interesse und den Rechten von Gruppen und Individuen zu berücksichtigen. Es ist wichtig, dass wir beispielsweise nicht zur Stigmatisierung von Gruppen und Individuen beitragen. Genauso wichtig sind aber die Rahmenbedingungen, unter denen die Forschenden selbst agieren: Letzte Woche erst diskutierten wir ausführlich die Herausforderungen von Wissenschaftsfreiheit in diesem Forschungsfeld. Auf der Jahreskonferenz im vergangenen Jahr und im Cluster Forschungsethik haben wir auch intensiv über die Belastungen für Forschende und die immer noch viel zu geringen Beratungs- und Schutzangebote für sie gesprochen.
Können Sie uns ein Beispiel nennen, wo eines der Projekte viel bewirkt hat? Etwa zur Bedeutung der Schulen bei der Prävention?
Offermann: Aktuell ist bei den meisten Projekten Halbzeit. Das heißt, umfangreiches Datenmaterial wird gerade ausgewertet: Beispielsweise haben einige der Forschungsverbünde umfangreiche Umfragen durchgeführt oder sind noch mitten in deren Durchführung. Es ist insofern ein wenig früh, über Wirkung der Projekte zu sprechen. Gleichwohl eint das RADIS Forschungsnetzwerk, dass die Forschung zwar Grundlagenforschung ist, aber immer die gesellschaftliche Relevanz mitdenkt und über umfangreiche Transferstrategien verfügt, teils unter enger Einbeziehung von Verbänden oder der Fachpraxis. Und wir haben schon einiges gemacht: Beispielsweise hat RADIS im Mai eine öffentliche Tagung in Berlin organisiert, bei der wir einige Empfehlungen für die neue Legislatur aus unserem Forschungsfeld formuliert haben. Eine Serie von Workshops diente dem Austausch mit Bedarfsträgern, so hatten wir beispielsweise einen hervorragenden Austausch mit der Stadt Chemnitz
Junk: Und in der Tat ist das Thema Schule für uns wichtig. Auch hier ein Beispiel: Im Rahmen des Deutschen Präventionstags haben wir uns mit dem Thema Schule und Umgang mit Islamismus auseinander gesetzt und aus einzelnen Projekten spannende Berichte aus der laufenden Forschung in den Präventions- und Pädagogikkontext einspeisen können. All dies wird Wirkung haben, aber geben wir den anspruchsvollen Forschungsprojekten noch etwas Zeit – denn das ist ein wichtiges Merkmal dieser Förderlinie: Die Projekte haben Laufzeiten von bis zu vier Jahren, um eben Zeit für intensive Forschung zu haben.
Auf dem RADIS-Portal bündeln und präsentieren Sie die Aktivitäten der Projekte, zum Beispiel in Blogs, eigens erstellten Filmen und Podcasts. Welche Formate der Wissenschaftskommunikation haben sich als erfolgreich erwiesen?
Offermann: Wir haben über die Jahre gelernt, dass eine enge Verzahnung von vielen Formaten einer der Schlüssel erfolgreicher Wissenschaftskommunikation ist. In der Tat dient die Website des Forschungsnetzwerks als eine Art Hub, auf dem alle Informationen zusammengetragen werden. Aber die einzelnen Formate erfahren auch selbst, richtig platziert, eine hohe Aufmerksamkeit. Wir setzen hier unter anderem auf audiovisuelle Formate: Die Projekte präsentieren wir in kurzen Filmen, in Podcasts und bald auch in einer Webtalk-Reihe. Sehr positive Rückmeldungen erhielten wir in der Vergangenheit zu unseren Blogreihen und planen nun ähnliches für RADIS: Das Format ist offen genug, um den Forschenden alle Freiheiten zu lassen – um einen Aspekt ihrer Forschung hervorzuheben, der es vielleicht so pointiert nicht ins nächste Paper schaffen würde; zur Reflektion über die eigene Forschung; aber auch zu aktuellen Ereignissen, die sich durch den Rückgriff auf die laufende Forschung gut einordnen lassen. Durch die Bündelung in einer Reihe ergeben sich eine gute Sichtbarkeit, aber auch die Nachnutzung etwa in Form eines kleinen gedruckten Buches, mit dem wir etwa im parlamentarischen Raum immer sehr gut ankommen dank der knappen und gut lesbaren Beiträge.
Wie helfen Sie Forschenden dabei, ihre Ergebnisse nutzbar zu machen, etwa für Politik, Verwaltung und Sicherheitsbehörden?
Offermann: Es ist immer wichtig, den Adressaten solcher Kommunikation einen Mehrwert zu bieten. Gerade im dicht getakteten Politikbetrieb gilt es, mit einem Hintergrundgespräch oder einem Parlamentarischen Abend einen Nerv zu treffen, ein aktuelles gesellschaftliches Problem zu adressieren oder Gesetzgebungsverfahren zu begleiten. Dabei müssen die Forschungsergebnisse gezielt aufbereitet werden für das Publikum: Da wird schon mal um eine Fußnote oder einen kontextualisierenden Absatz gerungen – der meistens in schmerzhaften Kürzungen endet.
Junk: Nicht zuletzt auf unsere Initiative hin haben sich inzwischen sehr gute Austauschformate zwischen verschiedenen großen Förderinitiativen des BMBF entwickelt. Unsere Präsenz auf der MOTRA Jahreskonferenz ist ein Zeichen dafür und in der Tat ist das RADIS Forschungsnetzwerk mit über zehn Beiträgen und teils ganzen Panels im Programm vertreten. MOTRA, aber auch das Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt, das Forschungsnetzwerk Antisemitismusforschung, die Wissensnetzwerke Rassismusforschung und Rechtsextremismusforschung sowie das Datenportal Rassismus und Rechtsextremismus waren alle auch bei unserer eigenen Jahreskonferenz vertreten. Diese Vernetzung ist kein Selbstzweck sondern dient auch der besseren Forschung in diesen wichtigen Feldern. Mich selbst reizt auf der MOTRA Jahreskonferenz eigentlich nicht ein Thema, sondern die Beleuchtung ganz verschiedener Radikalisierungsphänomene auf einer Tagung. Diese vergleichende Perspektive ist wichtig. MOTRA und die weiteren Konferenzen der anderen Förderlinien bieten hier essentielle Plattformen.
Was steht bei RADIS als nächstes auf der Agenda?
Offermann: Ab März veranstalten wir eine Reihe von Webtalks, die sich explizit an Schulangehörige richten. Das ist ein gelungenes Beispiel für die Vernetzungs- und Transferarbeit von RADIS: Durch den Austausch innerhalb der Förderlinie haben wir mit mehreren Forschungsprojekten gemeinsam Lehrerinnen und Lehrer, aber auch Schulleitungen und Schulsozialarbeit als Adressaten für manche der Forschungsergebnisse ausgemacht und bieten nun diese zusätzliche Veranstaltung an.
Sehr gespannt sind wir außerdem auf unsere Ringvorlesungen, die wir in den kommenden Semestern an den Universitäten Aachen, Frankfurt, Leipzig und Erlangen anbieten: Dieser Transfer von aktueller Forschung zurück an die Akademie findet nicht immer die nötige Beachtung.
Ihnen beiden herzlichen Dank für das Interview!
(Das Interview erfolgte schriftlich am 21.2.23, Fragen: Katrin Schlotter)
Das Transfervorhaben (RADIS)
Das Transfervorhaben RADIS, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert wird, vernetzt intern und extern miteinander die Forschungsprojekte der BMBF-Förderlinie „Gesellschaftliche Ursachen und Wirkungen des radikalen Islam in Deutschland und Europa“ und unterstützt die Forschungsprojekte bei der Identifizierung übergreifender Fragen, Herausforderungen und Thesen, die die großen Themen der gesamten Förderlinie abbilden. Laufzeit: 11/2020 - 10/2025
Überblick über die Forschungsprojekte der BMBF-Förderlinie „Gesellschaftliche Ursachen und Wirkungen des radikalen Islam in Deutschland und Europa“
Auswirkungen des radikalen Islam auf jüdisches Leben in Deutschland (ArenDt)
Religiöse Deutungsmachtkonflikte und Überbietungskämpfe im globalen Feld des Salafismus (Deutungsmacht)
Deutscher Islam als Alternative zum Islamismus? (D:Islam)
Strukturelle Ursachen der Annäherung an und Distanzierung von islamistischer Radikalisierung (Distanz)
Konfigurationen von gesellschaftlichen und politischen Praktiken im Umgang mit dem radikalen Islam (KURI)
Optimierte Krisenkommunikation nach Anschlägen mit Islamistischen Hintergrund in Deutschland (OKAI)
Ressentiment als affektive Grundlage von Radikalisierung (Ressentiment)
Radikaler Islam versus radikaler Anti-Islam (RIRA)
Ursachen und Wirkungen aus Sicht islamischer Theolog*innen (UWIT)
Wechselwirkungen islamistischer Radikalisierung im gesellschaftlichen und politischen Kontext betrachtet (Wechselwirkungen)
Monitoringsystem und Transferplattform Radikalisierung (MOTRA)
MOTRA ist ein über das Bundesministerium für Bildung und Forschung und das Bundesministerium des Innern und für Heimat geförderter Forschungsverbund im Kontext der zivilen Sicherheitsforschung. Das Vorhaben entstand im Rahmen der Einrichtung eines Spitzenforschungsclusters zur Früherkennung, Prävention und Bekämpfung von islamistischem Extremismus und Terrorismus und wird über die Laufzeit von fünf Jahren (12/2019 – 11/2024) einen zentralen Anlaufpunkt darstellen. MOTRA widmet sich der phänomenübergreifenden Erforschung von Radikalisierung.
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