Mehr als Städtepartnerschaften – Kommunen als „Anker“ des Zusammenhalts in Europa
Wie können Kommunen die Idee des Zusammenhalts in Europa vermitteln? Und ginge da nicht noch mehr? Profunde Antworten gibt das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Verbundprojekt Kommunen als Anker des Zusammenhalts im europäischen Mehrebenensystem (KommZuEU).
Im Interview: Projektleiter Prof. Dr. Stephan Grohs, Professor für Politikwissenschaft an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer
Herr Professor Grohs, welchen Stellenwert nimmt Europa auf der Agenda der Städte und Gemeinden ein?
Die deutschen Kommunen sind in ihrer täglichen Arbeit ständig mit Europa beschäftigt – sei es in der Umsetzung europäischen Rechts, das einerseits Möglichkeiten schafft (etwa bei Förderprogrammen), andererseits aber auch Handlungsspielräume einschränkt (etwa im Vergabe- und Beihilferecht). Die Umsetzung europäischen Rechts bindet zudem erhebliche Ressourcen (etwa im Umweltbereich). Andererseits sind Kommunen selbst aktiv im europäischen Mehrebenensystem – zum Beispiel in der Einflussnahme auf Europäische Rechtsetzung, vor allem aber in der Zusammenarbeit mit anderen Kommunen. Das geschieht teils auf Ebene europäische Verbände von Kommunen oder dem Ausschuss der Regionen, teils bilateral mit Partnerkommunen innerhalb und außerhalb der Europäischen Union. Städtepartnerschaften haben viele Kontakte geschaffen und das Gefühl für Gemeinsamkeiten gestärkt.
Nichtsdestotrotz ist Europa nicht immer auf der kommunalen Agenda präsent. Europäisches Recht wird in der Umsetzung kaum als solches wahrgenommen, Fördermittel eher mitgenommen denn als gestalterisches Element herausgestellt und viele kommunale Partnerschaften leiden unter Nachwuchsmangel und wenig Sichtbarkeit. Insofern wundert es nicht, dass kommunale Entscheidungsträgerinnen und -träger Europa häufig eher nachrangig wahrnehmen.
Inwieweit können Europaaktivitäten von Kommunen zur Stärkung des Zusammenhalts in Europa beitragen?
Kommunen sind die politische und administrative Ebene mit der größten Nähe zu den Bürgerinnen und Bürgern – unabhängig von deren Herkunft. Ihnen wird daher häufig eine zentrale Rolle als „Anker“ des Zusammenhalts im europäischen Mehrebenensystem zugeschrieben. Traditionell war in der Nachkriegszeit der Austausch über Städtepartnerschaften wichtig, um gegenseitiges Kennenlernen und dem Abbau von Vorurteilen entgegenzuwirken, gerade im zentralen deutsch-französischen Verhältnis. Mittlerweile sind viele dieser traditionellen Partnerschaften eingeschlafen, vielleicht auch ein Zeichen der Veralltäglichung Europas. Dagegen hat die breite Welle der Solidarität mit ukrainischen Kommunen im Zeichen des russischen Angriffskriegs gezeigt, dass in Krisenzeiten kommunales Handeln Bürgerinnen und Bürger motivieren kann, ihren Beitrag für ein europäisches Miteinander zu leisten. Kommunen sind in der Lage hier Hindernisse aus dem Weg zu räumen, z. B. unbürokratische Hilfe zu leisten.
Aber auch nach innen spielt Europaarbeit eine wichtige Rolle, insbesondere in der Integration von Zugewanderten und deren Beteiligung am Gemeinwesen. Das Wahlrecht für EU-Bürgerinnen und -Bürger und die Beteiligung von Migrantenorganisationen bringt Europa in die Kommunalpolitik zurück.
Sie haben mehrere Fallstudien zur kommunalen Europaarbeit durchgeführt – was tut eine „durchschnittliche“ Kommune, um ihren Bürgerinnen und Bürgern Europa näher zu bringen? Und was könnte sie besser machen?
Das Spektrum der Europaarbeit ist wie oben gezeigt vielfältig. Dennoch gibt es klare Schwerpunkte. Die Arbeit in Städtepartnerschaften ist zentral. Eine fast ebenso wichtige Baustelle sind die zahlreichen europäischen Förderprogramme. Kommunen bauen hier zentrales Knowhow auf, um in der europäischen Förderkulisse handlungsfähig zu bleiben – oft auch in Zusammenarbeit mit anderen Kommunen. In Grenzregionen spielt der Austausch über Grenzen hinweg eine wichtige Rolle. Immer noch vernachlässigt wird die Präsenz auf europäischer Ebene. Zwar gibt es Vertretungen der kommunalen Spitzenverbände und der Kommunen einzelner Länder in Brüssel, doch spielen die europäischen Diskussionen im kommunalen Kontext noch eine nachgeordnete Rolle.
In den Kommunen ist eine Verankerung der europäischen Ebene immer noch stark von den persönlichem Engagement, lokalen Ressourcen und politischer Priorisierung abhängig. Dies führt zu einer großen Heterogenität an Ansätzen und wenig konzertiertem Handeln. Eine Stärkung der kommunalen Europaarbeit durch Anerkennung der bisherigen Leistungen und eine stärkere personelle und finanzielle Verankerung wäre wünschenswert. Forderungen nach einer „Pflichtaufgabe Europa“ sind aber eher unrealistisch.
Sie haben Ihr Projekt erfolgreich abgeschlossen. Wie tragen Sie Ihre Ergebnisse in die Öffentlichkeit?
Wir haben schon in der ganzen Projektlaufzeit eng mit den deutschen Kommunen zusammengearbeitet insbesondere mit der deutschen Sektion des Rates der der Regionen und Gemeinden in Europa (RGRE), dem Deutschen Städtetag, dem Deutschen Städte- und Gemeindebund und dem Deutschen Landkreistag und Ergebnisse und Positionen in verschiedenen Veranstaltungen präsentiert und diskutiert. In einer gemeinsamen Abschlusskonferenz mit der Schader-Stiftung wurden Ergebnisse mit Praxis und Wissenschaft diskutiert. In einer Working-Paper Reihe stellen wir Ergebnisse niederschwellig zur Verfügung und geben kommunalen Best-Practices Raum. Gleichzeitig werden die Ergebnisse in hochrangigen wissenschaftlichen Zeitschriften präsentiert. Eine zusammenfassende Monografie erscheint demnächst. Und wir freuen uns über Einladungen zu unterschiedlichen Veranstaltungen.
Besten Dank, Herr Professor Grohs, für die interessanten Einblicke!
(Das Interview erfolgte schriftlich am 10. August 2024, Fragen: Katrin Schlotter)
Das BMBF-Verbundprojekt „Kommunen als Anker des Zusammenhalts im europäischen Mehrebenensystem (KommZuEU)
Das BMBF-Verbundprojekt Kommunen als Anker des Zusammenhalts im europäischen Mehrebenensystem (KommZuEU) ging unterstützt von Praxispartnern der Frage nach, wie Kommunen als Anker des grenzüberschreitenden Zusammenhalts in Europa wirken können. Die Untersuchung erfolgte in drei empirischen Schritten und umfasste neben der schriftlichen Befragung aller deutschen Städte und Gemeinden mit mehr als 20.000 Einwohnerinnen und Einwohnern qualitative Fallstudien zu den Europaaktivitäten in Städten und Gemeinden sowie Untersuchungen zur Wahrnehmung und zu Effekten kommunaler Europaarbeit in ausgewählten Städten.
Laufzeit: 01.01.2021 bis 31.12.2023
Team: Prof. Dr. Stephan Grohs (Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer, Leitung), Benjamin Gröbe (Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer, Wissenschaftlicher Mitarbeiter), Dr. Renate Reiter (FernUniversität in Hagen, Leitung), Dorothee Riese (FernUniversität in Hagen, Wissenschaftliche Mitarbeiterin)
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