JUROP – Jugendliche und Europa: Zwischen Zusammenhalt und Polarisierung
Wie erleben Jugendliche in Deutschland Europa bzw. die Europäischen Union? Zu dieser Frage hat das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Verbundprojekt JUROP – Jugendliche und Europa: Zwischen Zusammenhalt und Polarisierung umfangreiche Studien durchgeführt.
Im Interview: JUROP-Verbundkoordinator Prof. Dr. Peter Noack, Dr. Katharina Eckstein (Projektleitung) und Dr. Astrid Körner von der Friedrich-Schiller-Universität Jena
Ist Europa bzw. die Europäische Union für junge Leute überhaupt ein relevantes Thema?
Peter Noack: EU und Europa gehören sicherlich nicht zu den Top-Themen, mit denen sich Jugendliche tagtäglich auseinandersetzen. Dennoch zeigt sich in unseren Ergebnissen, dass die jungen Leute, die wir befragt haben, durchaus eine Meinung zur EU und Europa entwickelt haben. D.h. sie stehen dem Ganzen keinesfalls gleichgültig oder gar verdrossen gegenüber. Fast alle (91.4%) der von uns befragten Jugendlichen gaben zum Beispiel an, dass sie einen Verbleib Deutschlands in der EU befürworten. Etwa zwei Drittel meinten sogar, Deutschland solle auf jeden Fall in der EU bleiben. Dennoch sehen die Jugendlichen auch bestimmte Aspekte kritisch und nehmen einen deutlichen Handlungsbedarf der EU im Hinblick auf bestimmte Themen wie Umweltschutz, Bekämpfung von Diskriminierung und Rassismus oder Abbau sozialer Ungleichheit wahr.
Die Gruppeninterviews, die unser Verbundpartner, das Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ Jena), mit Jugendlichen unterschiedlicher sozio-demographischer Hintergründe (z.B. Region, Schulform, kultureller Hintergrund) durchgeführt hat, zeigten jedoch auch, dass junge Menschen nicht immer wissen, welche Entscheidungen auf welcher Ebene getroffen werden. D.h. es ist den Jugendlichen oftmals nicht bewusst, für welche Themen und politischen Entscheidungen die EU überhaupt die Verantwortung trägt und für welche Entscheidungen die einzelnen Länder gefragt sind. Ganz generell scheint für Jugendliche der Transfer bzw. das Herstellen einer Verknüpfung zwischen der EU - als einer doch eher abstrakten Institution – auf der einen und dem eigenen Leben und alltäglichen Erfahrungen auf der anderen Seite nicht leicht zu sein.
Katharina Eckstein: Dabei darf man nicht vergessen, dass viele Regelungen und Vorteile, die eigentlich in der Zugehörigkeit zur EU begründet liegen, wie Reisefreiheit ohne innereuropäische Grenzen und Grenzkontrollen, für diese Generation etwas ganz Selbstverständliches sind, weil sie es gar nicht anders kennen.
Ihr Teilprojekt an der Friedrich-Schiller-Universität Jena richtete den Fokus auf die Einstellungen der Jugendlichen gegenüber Europa und der EU sowie deren europabezogenen Orientierungen und Verhaltensweisen und wodurch diese beeinflusst werden. Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Ergebnisse?
Astrid Körner: Zusammen mit unserem Verbundpartner, der Universität Duisburg-Essen, haben wir über 1.000 Schülerinnen und Schüler der 9. Klasse in Thüringen und in Nordrhein-Westfalen zu Beginn und zum Ende des Schuljahrs 2021/22 mit Hilfe eines Fragebogens befragt. Dabei haben wir uns unter anderem angeschaut, wie die Jugendlichen der EU und Europa gegenüberstehen und wir sehr sie sich auch mit Europa identifizieren. Dabei zeigte sich, dass die Jugendlichen der EU und Europa gegenüber positiv eingestellt sind und zwar relativ unabhängig von ihren sozio-demographischen Hintergründen. Gleichzeitig berichteten die Jugendlichen aber auch ein Gefühl der Entfremdung und der fehlenden Möglichkeiten, selbst Einfluss auf EU-bezogene Entscheidungen nehmen zu können.
Die Erfahrungen, die die jungen Menschen in der Schule machen, scheinen dabei durchaus auch eine Rolle zu spielen. Insbesondere die Wahrnehmung eines offenen und demokratischen Unterrichts- und Schulklimas sagte beispielsweise positivere Einstellungen und geringere Gefühle der Entfremdung vorher. Außerdem zeigte sich, dass ein diskussionsanregendes Klima in der Schule und im Unterricht auch die Entwicklung einer europäischen Identität fördern kann, das heißt wie stark sich Jugendliche mit Europa identifizieren, aber auch damit überhaupt auseinandersetzen. Das mag auf den ersten Blick erstaunen, da diese Aspekte selbst ja wenig mit der EU und Europa zu tun haben. Wir gehen davon aus, dass sie über Einflüsse auf die allgemeine politische Entwicklung der Schüler und Schülerinnen wirksam werden. Ein Blick darauf, was die Jugendlichen eigentlich unter „Europäisch sein“ verstehen, unterstreicht allerdings, dass es bei der Förderung von Identitätsprozessen wichtig ist, nicht nur die Stärke der Identifikation, sondern auch zugrundeliegende Deutungsmuster zu berücksichtigen.
Bei Ihren Forschungen haben Sie den Blick insbesondere auf Schulen gerichtet, als bedeutsamer Lernort und als Vermittlungsinstanz mit erheblicher Reichweite. Welche Herausforderungen und Bedarfe bestehen dort?
Katharina Eckstein: Gerade die Schule kann ein Ort sein, an dem der oben angesprochene Transfer und das Bewusstsein dafür, welche Relevanz die EU für das eigene Leben hat, geschaffen werden kann. Das heißt, die Herausforderung besteht darin, Europa und die EU sowie die zugehörigen Institutionen nicht nur auf abstrakter Ebene zu behandeln, sondern das Ganze auch greifbar und erlebbar zu machen. Das kann zum Beispiel geschehen, indem Räume und Möglichkeiten geschaffen werden, in denen die Jugendlichen die Bedeutung der EU für ihren Alltag reflektieren können. Welche lokalen Vorhaben werden beispielsweise durch Gelder der EU gefördert? Gibt es eventuell auch an der Schule Projekte oder Vorhaben, die durch EU-Mittel realisiert werden konnten? Oder welche Konsequenzen hätte es, wenn auf einmal an der deutschen Grenze sowohl der Waren- als auch Personenverkehr kontrolliert werden müsste? Dabei geht es keinesfalls um eine reine „Werbeveranstaltung“ oder „Anpreisung“ der EU und Europa, sondern um eine offene und ehrliche Diskussion, einschließlich natürlich auch kritischer Punkte und Aspekte, deren offene Behandlung sich Jugendliche hier wünschen und von der sie profitieren könnten. Das deckt sich auch mit Ergebnissen aus weiteren Forschungen zur politischen Sozialisation oder zum politischen Engagement Jugendlicher. Auch hier zeigt sich, dass es nicht notwendigerweise die formalen und curricularen Faktoren sind, die demokratisches Handeln stärken, sondern dass insbesondere indirekte Faktoren, wie ein offenes und demokratisches Diskussions- und Klassenklima, einen förderlichen Einfluss haben können.
Ein wichtiges Ziel Ihres Projektes war und ist, Ansatzpunkte für die Unterstützung und Förderung demokratiestärkender Einstellungen und Verhaltensweisen zu identifizieren. Wie ließe sich das Interesse der Jugendlichen an Zusammenhalt in der EU und Partizipation besser vermitteln?
Peter Noack: Wir arbeiten aktuell bereits an einem Transfer der gewonnen Erfahrungen und Erkenntnisse aus dem JUROP-Projekt. So sind wir unter anderem in weitere Forschungsinitiativen des Instituts für Psychologie an der Universität Jena involviert. Inhaltlich soll es hier nicht zuletzt auch um Radikalisierungstendenzen unter jungen Menschen im politischen Bereich gehen. Uns interessiert dabei vor allem die Empfänglichkeit für populistische Orientierungen, für die die EU und die deutsche Mitgliedschaft in der Union ja eine wichtige Zielscheibe darstellen. Außerdem beteiligen wir uns an einer Initiative zur Etablierung eines Graduiertenkollegs. Hier soll stärker die Seite der Einflussfaktoren auf politische Stimmungen und Überzeugungen beleuchtet werden, speziell die Rolle die Abstiegsnarrative dafür spielen.
Astrid Körner: Allerdings sind dies sozusagen binnenwissenschaftliche Vorhaben. Gleichzeitig sind unsere Erfahrungen aus Praxisveranstaltungen in einen Handreichungsband für pädagogische Fachkräfte überführt worden. In diesem wurden innovative und altersgerechte Praxisempfehlungen für die Behandlung von Europa-bezogenen Themen im schulischen Kontext zusammengefasst. Auch würden wir gern an dem Format eines Fachtags für Praktiker und Praktikerinnen festhalten. Aus unserer Erfahrung im Rahmen des JUROP-Projektes entstand hier ein wertvolles Forum zum Austausch und zur Vernetzung zwischen Wissenschaft und Praxis. Schließlich ist es uns auch ein zentrales Anliegen, direkt mit jungen Menschen in Kontakt zu bleiben und die partizipativen Forschungsansätze mit Jugendlichen, die ein weiteres Anliegen des JUROP-Projektes waren, weiterzuführen.
Besten Dank für Ihre interessanten Einblicke!
(Das Interview erfolgte schriftlich am 29. Juli 2024, Fragen: Katrin Schlotter)
JUROP: Jugendliche und Europa – Zwischen Zusammenhalt und Polarisierung“
Im Zentrum des im Rahmen des BMBF-Förderschwerpunkts „Zusammenhalt in Europa“ geförderten Projekts „JUROP: Jugendliche und Europa – Zwischen Zusammenhalt und Polarisierung“ standen die europa- und EU-bezogenen Orientierungen und Verhaltensweisen der Jugendlichen sowie individuelle und kontextuelle Faktoren, die darauf Einfluss nehmen. Besonderes Interesse galt zudem dem Kontext Schule als bedeutsamer Lernort sowie Vermittlungsinstanz mit erheblicher Reichweite. Ziel war und ist es, Ansatzpunkte für die Unterstützung und Förderung demokratiestärkender Einstellungen und Verhaltensweisen zu identifizieren.
Um diese Website bestmöglich an Ihrem Bedarf auszurichten, nutzen wir Cookies und den Webanalysedienst Matomo, der uns zeigt, welche Seiten besonders oft besucht werden. Ihr Besuch wird von der Webanalyse derzeit nicht erfasst. Sie können uns aber helfen, indem Sie hier entscheiden, dass Ihr Besuch auf unseren Seiten anonymisiert mitgezählt werden darf. Die Webanalyse verbessert unsere Möglichkeiten, unseren Internetauftritt im Sinne unserer Nutzerinnen und Nutzer weiter zu optimieren. Es werden keine Daten an Dritte weitergegeben. Weitere Informationen hierzu finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.