Empirische Befunde zu den Auswirkungen von Verschwörungsideologien auf den sozialen Nahraum
In Krisenzeiten haben Verschwörungsideologien Hochkonjunktur. Wie wirken sich völkisch-autoritär orientierte Verschwörungsideologien auf den sozialen Nahraum aus? Und was bedeutet das für die Bildungs- und Beratungsarbeit? Das erforscht das BMBF-Verbundprojekt „RaisoN – Radikalisierungsprozesse durch Verschwörungsideologien“.
Im Interview: Projektleitungsteam bestehend aus: Prof.‘in Dr. Schahrzad Farrokhzad und Prof.‘in Dr. Birgit Jagusch, Technische Hochschule Köln, Prof.‘in Dr. Gudrun Hentges, Universität zu Köln sowie Dr. Sarah Pohl, Beratungsstelle ZEBRA.
Zunächst eine kurze Frage vorab – was verstehen Sie unter völkisch-autoritär orientierten Verschwörungsideologien?
Prof.‘in Dr. Gudrun Hentges: Verschwörungsideologien sind integraler Bestandteil von extrem rechten bzw. völkisch-autoritären Weltbildern. Diese tragen zu Radikalisierungsprozessen in wachsenden Teilen der Bevölkerung bei, oftmals verbunden mit einer Ablehnung der liberalen Demokratie und einer Wissenschaftsfeindlichkeit (oder gar einer Leugnung wissenschaftlicher Forschungen). Dadurch ist der gesellschaftliche Zusammenhalt bis auf die gesellschaftliche Mikroebene des sozialen Nahraums betroffen und gefährdet.
Verschwörungsideologien sind Konjunkturen unterworfen und erleben insbesondere in Zeiten von multiplen Krisen eine Hochkonjunktur. So wurden im Zusammenhang mit der Fluchtmigration der Jahre 2015/16 und der Corona-Pandemie verstärkt antisemitische und rassistische Verschwörungserzählungen verbreitet. Es lässt sich sagen, dass völkisch-autoritär orientierte Verschwörungsideologien oftmals in engem Zusammenhang mit zutiefst demokratiefeindlichen Haltungen stehen, den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährden, Ungleichwertigkeitsvorstellungen gegenüber verschiedenen Menschengruppen verbreiten und mit rechtsmotivierten Gewalttaten einhergehen.
Wie wirken sich Verschwörungsideologien auf den sozialen Nahraum aus?
Prof.‘in Dr. Schahrzad Farrokhzad: Erste Analysen von Fachbeiträgen, Medienberichten und Selbsthilfeforen zeigen: Sofern sich Affinitäten zu Verschwörungserzählungen zu manifesten Verschwörungsideologien entwickeln, kann dies im sozialen Nahraum zu psychosozialen Belastungen und Konflikten führen – Freundschaften, Bekanntschaften und Arbeitsbeziehungen können in die Brüche gehen.
Von Verschwörungsanhängern und -anhängerinnen im sozialen Nahraum Betroffene stehen nicht selten hilflos davor und erkennen Verwandte und Freundinnen und Freunde nicht wieder, die nicht selten versuchen, Menschen im sozialen Nahraum zu „missionieren“. Bei den Auswirkungen von Verschwörungsideologien auf den sozialen Nahraum handelt es sich um eine Forschungslücke, zu deren Schließung das Projekt „RaisoN“ beitragen wird.
Sie führen empirische Erhebungen in sechs Bundesländern durch – welche Forschungserkenntnisse haben Sie bisher gewonnen?
Prof.‘in Dr. Birgit Jagusch: Wir haben im Februar und März 2024 eine quantitative Onlinebefragung mit knapp 700 Fachkräften der Beratung und politischen Bildung aus sechs Bundesländern durchgeführt. Gegenstand der Befragung waren die Erfahrungen der Fachkräfte mit dem Thema Verschwörungsideologien im Rahmen ihrer professionellen Tätigkeit.
Unsere Befragung ist besonders relevant, da es sich dabei um die erste Untersuchung zu diesem Thema handelt und sie neue Erkenntnisse liefert. So hat sich gezeigt, dass mehr als zwei Drittel der Befragten im Rahmen ihrer Arbeit mit Verschwörungserzählungen konfrontiert werden, die Ratsuchende oder Teilnehmende der politischen Bildung an sie herantragen. Die Fachkräfte gehen davon aus, dass das Thema in Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen wird.
Die Ergebnisse zeigen auch, dass sich Verschwörungsideologien massiv auf das soziale Umfeld der Verschwörungsanhängerinnen und -anhänger auswirken. Dies betrifft unter anderem die psychische Verfassung von Familienmitgliedern, Freundinnen und Freunden, Bekannten oder Kolleginnen und Kollegen. Kinder und Jugendliche sind von Verschwörungsideologien in ihrem sozialen Nahraum in Bezug auf ihre Persönlichkeitsentwicklung besonders gefährdet. Derzeit führen wir im Projekt vertiefende problemzentrierte Interviews mit den Fachkräften, um weitere Erkenntnisse zu generieren.
Im Projekt arbeiten Sie als einer der Praxispartner aus der Bildungs- und Beratungsarbeit mit den Forschenden zusammen. Was möchten Sie gemeinsam erreichen?
Dr. Sarah Pohl, Beratungsstelle ZEBRA in Baden-Württemberg: Die Zusammenarbeit mit den Forschenden ermöglicht es uns, den wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn mit dem Wissenstransfer in die Praxis zu verbinden. Im Sinne der partizipativen Forschung waren wir als Praxispartner von Beginn an in den Forschungsprozess eingebunden. Insbesondere bei der Entwicklung von Materialien für die Beratung und politische Bildung werden wir mit den Forschenden zusammenarbeiten, um im Sinne des Theorie-Praxis-Transfers bei der Entwicklung möglichst passgenauer Materialien für die Bildungs- und Beratungsarbeit zu unterstützen.
Besten Dank für das Interview Ihnen allen!
(Das Interview erfolgte schriftlich am 6. August 2024, Fragen: Katrin Schlotter)
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